Sarah Spiekermann: „Harari ist Science Fiction“
Die Eliten suchen seinen Rat: Yuval Noah Harari gilt weltweit als einer der einflussreichsten Denker. Doch sein Werk gerät in die Kritik. Ist der Bestseller-Autor ein „Wissenschaftspopulist“ und verkappter Transhumanist?
Die Eliten suchen seinen Rat: Yuval Noah Harari gilt weltweit als einer der einflussreichsten Denker. Doch sein Werk gerät in die Kritik. Ist der Bestseller-Autor ein „Wissenschaftspopulist“ und verkappter Transhumanist?
Was will Yuval Noah Harari? „Dieses Buch spürt den Ursprüngen unserer gegenwärtigen Konditionierung nach, um ihren Griff zu lockern und uns in die Lage zu versetzen, weit fantasievoller als bisher über unsere Zukunft nachzudenken“, schreibt der israelische Bestseller-Autor in seinem Buch „Homo Deus“ (2017). Was sich zunächst sehr freigeistig anhört, ist für Sarah Spiekermann bedenklich: „Man muss sich fragen, welche Phantasie hier bedient wird. Hararis Ideen kommen der IT-Industrie wie gerufen“, sagt die Professorin an der Wiener Wirtschaftsuniversität. „Der Mensch soll nicht durch Selbststeuerung und innere Führung, sondern durch technologische Eingriffe verbessert werden. Experimente, bei denen ein Chip ins gesunde Gehirn implantiert wird, entsprechen der Phantasie der IT-Industrie, und große Tech-Visionäre wie Elon Musk investieren heute genau in diese Geschichte.“
Spiekermann betreute ein Forschungsprojekt der WU, in dem 268 Textpassagen aus „Homo deus“ einer Inhaltsanalyse unterzogen wurden. Untersucht wurden Aussagen über Algorithmen, Künstliche Intelligenz (KI) und andere digitale Zukunftstechnologien. Den Ergebnissen zufolge erwies sich Hararis Zukunftsgeschichte als mehrfach problematisch: So überschätzt der Autor die Technologie, propagiert ein einseitiges, d. h. reduktionistisches Menschenbild und beschreibt die technologische Optimierung als Verpflichtung. Nicht zuletzt stellt er seine Geschichte als unausweichlich dar. „Die große Mehrheit der Textpassagen folgt der krassen Vision des Transhumanismus, der heute weltweit mit Unsummen gefördert wird“, berichtet Spiekermann. Der Transhumanismus ist eine Bewegung, die den Menschen von seinen biologischen Begrenzungen befreien will. Alter, Krankheit und sogar der Tod sollen technologisch überwunden werden. Kritische Stimmen sehen darin die „gefährlichste Idee der Welt“.
Packende Erzählung
Dass Hararis Bücher in 65 Sprachen übersetzt und mehr als 40 Millionen Mal verkauft wurden, ist nicht verwunderlich. Der israelische Historiker kann brillant erzählen und seine Leserschaft grandios unterhalten. Man nehme nur das erste Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ (2013): „Er versteht es, höchste historische Komplexität derart virtuos auf den Punkt zu bringen, dass man als Laie staunt und sich als Fachmann die Augen reibt“, bemerkte dazu FURCHE-Autor Christian Jostmann (siehe Navigator-Text links). „Seine Texte wie seine Vorträge wirken wie eine fulminante Abfolge von Geistesblitzen: kühne Abstraktionen, verblüffende Vergleiche, anschauliche Beispiele überschlagen einander förmlich (...).“
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