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Schalldeckel oder Tauf .stemkrone?

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In dem Artikel: „Die Taufsteinkrone von St. Stephan” („Die Warte” Nr. 43 vom 23. Oktober 1948) gibt der Kunsthistoriker Dr. Karl Oettinger bekannt, daß es ihm im Frühjahr 1946 gelungen sei, „in dem Scballdeckel der berühmten Pilgram-Kanzel unseres Domes die Krone des Taufsteins in der Katharinen-Kapelle” wiedergefunden und „in den Grundzügen” rekonstruiert zu haben. Eine so dezidierte Erklärung eines Fachmannes schließt die Gefahr in sich, daß eine vorläufig noch unbewiesene Hypothese vom Laien als unumstößlich feststehende Tatsache hingenommen wird.

Oettinger gibt selbst zu, daß „seit der ersten Nachricht von dem Fund da und dort Zweifel ausgesprochen wurden, die auch in dem Katalog der Ausstellung ,Der Stephansdom” im österreichischen Museum nicht ganz überwunden sind”.

Die folgenden Ausführungen haben lediglich den Zweck, zur sachlich kritischen Beurteilung aller Für und Wider der Behauptungen Oettingers anzuregen.

Die Fesstellung Oettingers, daß die Krone den Stil der siebziger Jahre des 15. Jahrhunderts zeige, ist nicht neu. Bereits Ignaz Schlosser hat 1925 in seinem Buch „Die Kanzel und der Orgelfuß zu St. Stephan in Wien” auf Seite 15 über den Meister des Schalldeckels geschrieben: „Die meiste Verwandtschaft besitzt dieser Bildschnitzer, der ein so umfangreiches Werk am Anfang des 16. Jahrhunderts ausführte, mit seinen schwäbischen Kunstgenossen, die ein bis zwei Generationen vorher tätig waren.” Also bereits Ignaz Schlosser hat vor 23 Jahren die Entstehung des Werkes ins späte 15. Jahrhundert verlegt.

Neu ist die Annahme Oettingers, die Schnitzereien des Deckels seien salzburgisch. Der Autor hat bisher noch keine Beweise für diese Annahme vorgebracht. Erst der

Hinweis auf allerdings bisher noch unbekannte Salzburger Kunstwerke könnte Oettingers Annahme begründen.

Die Behauptung des Autors, daß die Maße des Steines und die des Deckel heute übereinstimmen, ist zwar richtig, doch ist dabei zu bedenken, daß diese Übereinstimmung erst durch Oettingers Rekonstruktion 1946/48 herbeigeführt wurde. Der Deckel hat bekanntlich schon früher drei Überarbeitungen erfahren: eine 1597, eine zweite 1652 und eine dritte 1878/80. Die Rekonstruktion 1946/48 ist somit die vierte Überarbeitung. Es muß erst einwandfrei bewiesen werden, ob die Neukonstruktion Oettinger-Schimann der ursprünglichen Erstform entspricht. Oettinger gibt selbst zu, daß es sich um eine moderne Rekonstruktion auseinandergenommener alter Teile handelt. Vor allem fehlt aber noch jeder genaue Bericht über die vierte Restaurierung von 1946/48. Heute ist es allgemeine Gepflogenheit, vor notwendigen Neuergänzungen zahlreiche Detailphotos anzufertigen, die ihrerseits die Notwendigkeit dieser Ergänzung und gleichzeitig die Richtigkeit der Rekonstruktion beweisen. Erst nach Vorlage dieses Bildmaterials kann zu dieser Frage eindeutig Stellung genommen werden.

Wenn Oettinger meint, allein schon die Form des Vierzehneckes schließe „jeden Zweifel” aus, daß der Schalldeckel mit seinen vierzehn Ecken in Wirklichkeit mit dem vierzehneckigen Taufstein eine Einheit bilden müsse, so ist diese Schlußfolgerung nicht zwingend. Die Figur des Vierzehneckes wurde öfter gebraucht, wie zum Beispiel im gleichen Saal der Stephansdom- ausstellung unter Katalog Nr. 261 zu ersehen ist.

Der heutige Zustand des Bildwerkes zeigt uns das Endergebnis nach vier Rekonstruktionen. Wir wissen nicht, was bei den alte-

ren Restaurierungen an Material verlorenging. Wir können lediglich später eingesetzte Ersatzteile von dem ursprünglich erstgeschaffenen Teilen abgrenzen. Die in Abbildungen festgehaltene Form des Schalldeckels vor der dritten Restaurierung 1878/80 und nach derselben sowie die jetzige Form nach der letzten Rekonstruktion 1946/48 weichen jedenfalls beträchtlich voneinander ab. Das gibt zu denken! Welche von diesen drei Formen dem ersten Schnitzwerk am nächsten kommt, kann heute nicht mehr entschieden werden, es sei denn, es würden sich noch Abbildungen oder Beschreibungen auffinden lassen.

Oettinger meint in diesem Zusammenhang, daß das Fußmaß des Deckels überall genau 32 Zentimeter betrage. Diese Annahme ist irrig. Von vierzehn Seiten hat nur eine dieses Ausmaß, während das der restlichen dreizehn von 31,2 Zentimeter bis 31,9 Zentimeter variiert. Ebenso wäre die Feststellung, daß die Messungen nach dem goldenen Schnitt und aus der Quadratur abgeleitet seien, nur dann beweiskräftig, wenn die Nachprüfungen an der ursprünglichen Form des Kunstwerks erfolgen könnten und nicht an dem neu rekonstruierten Objekt vorgenommen werden müssen, das offenbar im Sinne jener Maßverhältnisse ergänzt worden ist. Wozu also der Circuits vitiosus? Überdies müßte noch der starke Schrumpfungsprozeß des Holzes berücksichtigt werden.

Die bildliche Darstellung der vier Evangelisten mit Christus und den zwölf Aposteln, dem hl. Stephanus, zugleich mit den sieben Sakramenten und der Taufe Christi weist bestimmt n i e h t nur unbedingt auf ein Taufbecken hin. Diese Darstellungen könnten sich sinngemäß ebensogut auf jedem anderen liturgischen Objekt, wie zum Beispiel auf Altären, Kanzeln, Sakramentshäuschen, Paramenten usw., finden. Die Behauptung, daß die „Reste der alten farbigen Fassung” eine „Marmorierung” zeigen, „die sich dem Adneter Marmor des Steines angepaßt hat”, ist ebenso irreführend. Denn eine Marmorierung ist an dem Schnitzwerk heute überhaupt nicht mehr zu sehen. Der heute sichtbare Gesamtton ist durchwegs heller als die keineswegs einheitliche Farbe des Taufsteins.

Nach der unter Oettingers Leitung erfolgten Restaurierung sind jedenfalls alle Teile auf einen gewollten einheitlichen Gesamtton ganz neu abgestimmt und man kann sich daher von der ursprünglichen Farbwirkung des Schnitzwerkes keine klare Vorstellung mehr machen. Nur mehr ganz wenige Stellen zeigen ursprüngliche Farbreste, die immerhin darauf hinweisen, daß die ursprünglich beabsichtigte Wirkung nicht einen einheitlichen Steinton, sondern eine farbige Gesamterscheinung anstrebte. Also wieder ein Circulus vitiosus.

Der Taufstein ist 1476 bei einem uns sonst unbekannten Meister Ulrich Auer in Auftrag gegeben worden. Aus der Bestellung allein, wie sie bei Uhlirz („Die Rechnungen des Kirchmeisteramtes von St. Stephan zu Wien”, Wien, 1901/02) veröffentlicht ist, geht nicht hervor, daß für den Taufstein auch eine Bekrönung angefertigt werden sollte. Da sich jedoch die Urkunde im Brünner Landesarchiv befindet, kann diese derzeit im Original leider nicht eingesehen werden.

Oettinger glaubt auf dem Deckel die Jahreszahl 1476 lesen zu können. Wie aber die Photoaufnahme beweist, ist derzeit nur mehr die letzte Ziffer sechs klar zu erkennen. Dort, wo die Zahl, die das Jahrhundert angibt, gestanden ist, ist heute ein neues Stück Holz eingesetzt, das ungefaßt geblieben ist. An der Stelle, an der das Jahrzehnt angegeben war, sind heute Farbspuren einer Ziffer zu erkennen, jedoch in so fragmentarischem Zustand, daß kein unbefangener Betrachter mehr imstande ist, anzugeben, welche Zahl dort einmal gestanden ist. Nach dem heutigen Zustand kann hier jede andere Zahl gestanden sein, so zum Beispiel ebenso 1516, wie Schlosser und alle übrigen Gelehrten das Stück bisher datiert haben. (Siehe oben.) Ein Beweis gegen eine solche auch stilkritisch vertretbare Datierung ist von Oettinger jedoch nicht geführt worden. Oettinger nimmt der Gewohnheit jener Zeit entsprechend an, daß es sich bei dem Datum um das Stiftungsjahr handelt. Diese überraschende Behauptung könnte nur dann aufgestellt werden, wenn Oettinger uns wenigstens eine einzige gotische Plastik oder Malerei anführen würde, an der die ausgewiesene Jahreszahl nicht das Jahr der Fertigstellung, sondern das der Bestellung bedeutet. Übrigens steht Oettinger ein einziger Augenzeuge zur Verfügung, der vor Fertigstellung seiner Restaurierung die Jahreszahl 1476 selbst gelesen hat, nämlich der Bearbeiter des betreffenden Katalogteiles der Ausstellung im Österreichischen Museum. Warum stützt Oettinger sich nicht auf diesen für ihn so wichtigen einzigen Kronzeugen und bemüht zwei andere, die das Gegenteil behaupten? Ob allerdings diese vordem deutlich sichtbare, jetzt leider nicht mehr leserliche Zahl 1476 die ursprüngliche war, oder vielleicht anläßlich einer späteren Restaurierung beigesetzt wurde, kann auch der einzige Kronzeuge heute nicht mehr entscheiden. Dieser beklagenswerte Verlust ist jedenfalls durch die letzten Restaurierungsarbeiten entstanden.

Oettinger beschreibt eine durch die ganze Turmachse gehende Lochführung für eine Tragstange und meint, daß an dieser Stelle die Aufziehkette der Taufkrone befestigt gewesen sei. Diese Annahme würde zutreffen, wenn dies ein Taufdeckel gewesen wäre, denn ein solcher müßte allerdings eine Auf- ziehvorrichtung gehabt haben. Die Lochführung allein ist heute nicht mehr genügend beweiskräftig. Auch für einen Schalldeckel wäre eine solche sehr zweckmäßig gewesen, da auch in diesem Fall eine Stange in unserem Schnitzwerk irgendwo verankert sein müßte. Es wäre also durchaus verständlich, daß eine solche Stange, die das Schnitzwerk an einem Pfeiler festgehalten hat, oben angebracht war, das heißt, zuerst waagrecht vom Pfeiler zur Kronenspitze gelaufen und dann im rechten Winkel abwärts in die Krone geführt worden wäre. Eine ähnliche Aufhängeart beschreibt auch der Domherr von St. Stephan (1661—1693) Testarelio della Massa in seiner ältesten Beschreibung der Metropolitankirche zu St. Stephan mit den Worten: „…an einer eisernen Stange frei hanget.”

Als letztes Beweisstück führt Oettinger für seine Hypothese an, daß es gotische Schalldeckel überhaupt nicht gäbe, was falsch ist. So gibt Peter Breughel der Ältere, um nur ein Beispiel zu nennen, auf seiner Zeichnung, die sich im Amsterdamer Rijksmuseum befindet und mit „fides” bezeichnet ist, bereits im Jahre 1559 das Interieur einer gotischen Kirche wieder, auf der eine Kanzel zu sehen ist, die mit einem gotischen Schalil- deckel bekrönt ist. Oettinger kennt aber nicht nur keinen gotischen Schalldeckel am Kontinent, sondern gibt selbst zu, daß er am Kontinent keine zweite Taufkrone anführen könne. Das genannte Blatt Breughels zeigt aber nicht nur einen gotischen Schalldeckel, sondern auch eine gotische Taufdeckelkrone in Verwendung! Auch im Münster zu Ulm steht noch heute ein Taufbecken mit Krone und Aufziehvorrichtung. Ebenso sind auch in unserer Heimat noch Taufbecken mit gotischen Taufdeckeln auffindbar.

Oettinger behauptet, dem Stephansdom einen „ebenbürtigen Ersatz für das verbrannte Chorgestühl wiedergegeben”, ja, er glaubt, „ein einzigartiges Denkmal unserem Dom und unserer Heimat wiedergeschenkt” zu haben. Auch diese Ansicht ist irrig, denn dieses Denkmal war ja doch immer im Dom. Es hat nachweisbar über 300 Jahre als Schalldeckel über der Pilgram-Kanzel gedient. Über die Verwendung des Kunstwerks in den vorangegangenen 150 Jahren fehlt uns jede Nachricht. Es ist nun die Frage, ob es vom denkmalpflegerischen Standpunkt aus überhaupt zu rechtfertigen wäre, einer unbewiesenen Hypothese zuliebe ein Traditionsrecht, das sich das Schnitz werk in mehr als 300 Jahren erworben hat, aufzugeben.

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