6668000-1960_45_26.jpg
Digital In Arbeit

Schatzkammern des Geistes

Werbung
Werbung
Werbung

Nach dem Staatsarchiv in Wien ist das Steirische Landeszentralarchiv das größte und wichtigste Archiv Österreichs. Es ist eine Schatzkammer des Geistes, eine unschätzbare Fundgrube für die geschichtliche Forschung. Die Bestände reichen vom neunten Jahrhundert bis zur Gegenwart. Seit dem denkwürdigen Aufruf Erzherzog Johanns vom 11. September 1811 an alle Werbebezirke der Mark und Kärntens, durch Einsendung von Handschriften und Urkunden die Grundlage zu schaffen, daß die Geschichte des Landes neu geschrieben werden könne, sind dokumentarische Grundlagen aller Art in Graz zusammengekommen. Die vorhandenen Materialien würden, aneinandergereiht, eine Länge von 25 Kilometern ausmachen. Der jährliche Zuwachs beträgt etwa 350 Meter. Es ist kein totes Gut — denn immer wird die Brauchbarkeit für die Forschung geprüft, und daß man hier gründlich Umschau hält, mag man aus der Tatsache erkennen, daß jährlich mehr als 100 umfangreiche Gutachten und Darstellungen durchgeführt werden müssen; die Auskunftstätigkeit reicht bis nach den USA und Australien, die Aushebungen für wissenschaftliche Benützung reichen an 60.000 im Jahr heran. An das Archiv ist ein Photolabor angeschlossen, das dauernd mit Aufnahmen von Akten, Plänen und Siegeln für das In- und Ausland sowie für den seit 1945 besonders ausgebauten Mikrofilmdienst beschäftigt ist. Seit dem Jahre 1951 gibt das Landesarchiv jährlich einen Mitteilungsband heraus, der außer dem üblichen Jahresbericht archivwissenschaftliche Beiträge enthält. Dazu kam in neuester Zeit eine gesonderte Reihe größerer Publikationen: der erste Band brachte das langgewünschte Gesamtinventar des Landesarchivs; der zweite Band wird unter dem Titel „Siedlung, Wirtschaft und Kultur im Ostalpenraum“ neue, wichtige Erkenntnisse bringen. Im steirischen Gedenkjahr 1959 ist übrigens auch die neue steirische Landestopographie begonnen worden, die bezirksweise die Grundlagen der Landesgeschichte von Grund auf neu erarbeiten wird.

Welche bedeutende Arbeit die Beamten des LandesarchW gemäß ihrer Verpflichtung, wissenschaftliche Forschung zu betreiben, überdies leisten, ist aus der Tatsache zu ersehen, daß von ihnen in den Jahren zwischen 1948 und 1959 insgesamt 185 wissenschaftliche Publikationen vorgelegt wurden. Dem Archiv sind einer Handbibliothek mit 9500 Werken und vielen periodischen Zeitschriften sowie eine Südostbibliothek, die an 5000 Bände umfaßt, angeschlossen.

In diesem Zusammenhang mag nur kurz das erneut an die Steiermark herangetragene Verlangen Jugoslawiens nach Auslieferung bestimmter Archivalien — die Liste umfaßt mehrere hundert Seiten — erwähnt werden. Es bedarf keiner Diskussion, daß eine Photokopie der verlangten, zumeist sich auf die vorhandenen Stücke aus der verlorenen Untersteiermark, aus Krain, Istrien, Triest und Görz wegen der Kosten von etwa 15 Millionen Schilling nicht in Betracht kommt. Es griffe an die Fundamente des Archivs, würde man die sinnvoll geordneten Bestände lichten. Wer Interesse wissenschaftlicher Art hat, findet jederzeit in Graz offene Türen; es steht den Nachfolgestaaten auch frei, für ihre Zwecke Photokopien auf ihre Kosten anzufertigen.

Die wertvollsten und markantesten Stücke jedes Zeitraumes sind in drei Räumen mit 3 5 Vitrinen in der Abteilung Hamerlinggasse des Archivs ständig ausgestellt. Niemand, der Graz besucht, niemand, der durch die Steiermark reist, sollte versäumen, diese Schatzkammer, welche längst eines Sternes in jedem Reiseführer wert wäre, zu besichtigen. Erst von hier aus, von den Urkunden der Karolinger, von den Privilegien der Päpste des Mittelalters, von den Protokollen der Landtage, von den Stadt- und Marktbüchern, den Zunftbüchern und Untertanenurbaren kann man die historische Funktion der Mark verstehen.

Das Landesarchiv ist aber nicht nur das wissenschaftliche Hauptinstitut der Steiermark, es ist auch deswegen wichtig, weil es die Zentralregistratur, einen unentbehrlichen Helfer der Verwaltung, angeschlossen hat. Die Aktenaushebungen der Zentralregistratur erreichen jährlich die Zehntausendergrenze. Die Amtsbücherei besitzt zusammen mit der Juristenbibliothek 20.000 Bände. Durchschnittlich werden zweitausend Entleihen beziehungsweise Aushebungen durchgeführt.

Die Joanneumsbibliothek — seit 1893 in einem eigenen Gebäude — ist aus umfänglichen Erwerbungen und beträchtlichen Schenkungen (die Sammlung Ritter von Heintl brachte 1858 allein 22.856 Bände) zu einer imponierenden Bücherei erwachsen. Unter der Bezeichnung „Steiermär-kische Landesbibliothek am Joanneum“ stellt dieses wissenschaftliche Institut gegenwärtig die fünftgrößte Bücherei Österreichs dar und verzeichnet einen Bestand von 480.000 Bänden, 90 Inkunabeln, 960 Handschriften und mehr als 1000 laufende Periodika. Nach den Benützer-zahlen gemessen, liegt die Steiermärkische Landesbibliothek in Österreich sogar schon an dritter Stelle im Bundesgebiet. Als verschiedene steirische Stifte — Vorau beispielsweise im Jahre 1940 — diktatorisch aufgehoben wurden, war die Joanneumsbibliothek Aufbewahrungsstelle für kostbare Inkunabeln und Handschriften, die, als die Steiermark hier zum Kriegsgebiet wurde, nach der Obersteiermark verlagert wurden. Die unermüdliche Sorgfalt der Beamten der Landesbibliothek hat diese Schätze für die Gegenwart gerettet; unversehrt sind sie, wie das genannte Stift Vorau, eine wahrhaft historische Stätte für die Literaturwissenschaft, bestätigt, nach Kriegsende zurückgekehrt.

Man kann vom Joanneum nicht sprechen, ohne seine Gesamtfunktion als Kulturfaktor zu würdigen. Zur Sammlung steirischen Kunstgutes sind, von der Bildergalerie angefangen, der später das Kupferstichkabinett und die Plastiksammlung angegliedert wurden, immer neue Abteilungen eröffnet worden. Die „Alte Galerie“, das „Museum für Kulturgeschichte und Kunstgewerbe“, die „Neue Galerie“ (im Herberstein-schen Stadtpalais) sind ebensolche Begriffe weit über die Grenzen der Steiermark hinaus geworden, wie das Landeszeughaus, die größte Sammlung mittelalterlicher Waffen in Europa, und das „Museum für Volkskunde“ mit dem „Steirischen Heimatwerk“. In dem vom Lande angekauften und zu neuem Glänze erweckten Schloß Eggenberg bei Graz wurden 1949 das einzige österreichische Museum für Biotechnik und 1953 ein Schloßmuseum eingerichtet. Hier befindet sich auch das nach dem zweiten Weltkrieg vom Joanneum übernommene Stadtmuseum Graz.

Mit seinen zwölf Abteilungen ist das Joanneum fest im Kulturleben der Steiermark verankert. Voriges Jahr wurde der Beschluß gefaßt, In Auswertung aller Bestände der Abteilungen eine zentrale Dokumentation des gesamten Wissens über die Steiermark zu beginnen, wozu die modernsten Mittel, wie der Film und das Tonband, und die erprobtesten Verfahren der Photographie eingesetzt werden. Damit wird sinngetreu die Dankadresse der steirischen Landstände vom Jahre 1811 erfüllt, in der es heißt, man gelobe, das „ihnen anvertraute Heiligtum der Wissenschaften zu bewahren, es, soweit die Kräfte reichen, stets zu bereichern und zu verschönern und es so in einem Zustand blühender Erhaltung ihren Nachkommen zu überlassen“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung