Schluss mit der Kurpfuscherei

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Gesundheitsseiten im Internet boomen und gehören zu den am meisten abgefragten Pages im weltweiten Netz. Doch Vorsicht ist mehr als geboten: 80 Prozent der Informationen sind falsch oder veraltet.

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Gesundheitsseiten im Internet boomen und gehören zu den am meisten abgefragten Pages im weltweiten Netz. Doch Vorsicht ist mehr als geboten: 80 Prozent der Informationen sind falsch oder veraltet.

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Das Internet boomt bekanntlich und bringt neben seinen zahlreichen Vorteilen auch Nachteile mit sich. Ein drastisches Beispiel dafür ist der Gesundheitsbereich. Nach Sex ist Gesundheit das am meisten nachgefragte Thema im Internet.

Auch die Zahl der "Internetpatienten" wächst kontinuierlich. Rund 69 Prozent der Ärzte sehen sich nach einer Umfrage mit Patienten konfrontiert, die bereits Informationen zu ihren Beschwerden und Krankheiten im Netz gesucht haben. Doch Vorsicht ist hier mehr als geboten: Denn Studien belegen, dass 70 bis 80 Prozent der Gesundheitsinformationen aus dem Netz falsch oder veraltet und daher im besten Falle harmlos sind. "Die Qualität dieser Informationen ist höchst fragwürdig", meint Günther Leiner, Nationalratsabgeordneter und Präsident des European Health Forum Gastein, das Ende September in Salzburg abgehalten wurde.

Nun sucht man europaweit nach Lösungen, die Konsumenten vor falschen Gesundheitsinformationen schützen sollen. Die Überlegungen gehen in Richtung Selbstregulierung mit Hilfe von Qualitätsgütesiegeln. Leiner: "Das soll den Patienten vor Kurpfuscherei im Netz schützen."

Die Möglichkeiten reichen von Diagnose- und Behandlungsvorschlägen für Kinderkrankheiten bis hin zum virtuellen Krankenhaus. Immer häufiger werden auch Medikamente im Internet angeboten, eine gefährliche Entwicklung. Denn der Kunde erhält oft das Falsche, in Österreich verbotene Medikamente und das meist zu überhöhten Preisen. Die aktuelle Studie des Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen (ÖBIG) "E-Pharma - Arzneimittelvertrieb im Internet" kam zusammengefasst zu dem Schluss: Medikamente über das Internet bestellen ist teuer und gefährlich.

Bei Testbestellungen im Zuge der ÖBIG-Studie wurden drastische Mängel festgestellt: einige Pillen wurden in Plastiksackerln geliefert, bei einigen konnte der Hersteller nicht identifiziert werden. In einem Extremfall kam eine angebliche "Pille danach" ohne Gebrauchsinformation und Angabe der Zusammensetzung an. Die Analyse ergab eine Kombination von Koffein, Vitamin B6 und vermutlich einem Steroidhormon, das nicht näher definiert werden konnte und jedenfalls in Europa unbekannt war.

Zukunft Telemedizin Geschätzte 100.000 Webseiten bieten bereits Informationen jedweder Art zu Gesundheitsfragen an und die Zahl wächst täglich. Mehr als 13 Prozent der Österreicher hatten 1999 einen Internetanschluss. Nur zwölf Länder weltweit haben eine höhere Dichte.

Das Internet bietet aber auch Vorteile auf dem Gesundheitsmarkt: Hochspezialisierte Mediziner können ihr Know-how über das Internet vermarkten, umgekehrt können Patienten Fachleute auf der ganzen Welt konsultieren. Doch bei Österreichs Ärzten happert es noch an der Grundausstattung. So liegt die Dichte der mit einem Computer ausgerüsteten Ärzte in Österreich, regional unterschiedlich, zwischen 30 und 50 Prozent.

Allerdings wird angesichts immer komplexerer Untersuchungen und unüberschaubarerer Datenmengen eine Auswertung und gegebenenfalls Diagnosestellung mittels Computer immer häufiger werden, meint Leiner.

Die Telemedizin gewinnt in Zukunft immer mehr an Bedeutung. Daten werden zwischen Kliniken und Ärzten, aber auch mit Kostenträgern ausgetauscht. Auf diesem Weg kann sich etwa heute schon ein Experte in Berlin zu Befunden äußern, die in einer Landarztpraxis erhoben wurden. Denkbar ist, dass in naher Zukunft eine schwierige Operation in London von Spezialisten in Wien mit Hilfe eines Operationsroboters durchgeführt wird.

Die Vernetzung verschiedener Leistungsträger eröffnet einerseits bedeutende Einsparungspotentiale zum Beispiel durch die Vermeidung von Doppeluntersuchungen. Andererseits bietet die jederzeitige Zugriffsmöglichkeit auf Patientendaten auch neue Missbrauchsmöglichkeiten.

Ein weiteres Thema in Gastein im Zusammenhang mit dem Internet war "Sucht und Sex". Neben Spaß und Information hat das Internet auch seine Tücken: Neueste Forschungen ergaben, dass surfen abhängig machen kann. "Immer mehr Menschen werden süchtig nach dem Internet", stellte auch der Münchner Universitätsprofessor Ulrich Hegerl fest. Sie zeigen ähnliche Symptome wie Alkohol- oder Drogenabhängige: 4,6 Prozent der Befragten spürten starkes Verlangen nach dem Gebrauch des Internets, vergaßen darüber die Zeit, isolierten sich und hatten Probleme in der Partnerschaft und bei der Arbeit.

Internetsucht und Sex Internetsucht, so Hegerl, sei aber keine eigenständige Krankheit, sondern ein Zeichen für andere bestehende psychische Störungen wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen. Besonders gefährdet seien Menschen mit großer Selbstunsicherheit, die Probleme mit Menschen hätten. Im Internet können sie jederzeit und anonym mit anderen Menschen Kontakt aufnehmen und erhalten sofortiges Feedback. Süchtige sind - wie auch der Großteils der Internetbenutzer - hauptsächlich Männer, im Schnitt 28 Jahr alt.

Gerade für Menschen mit großer Selbstunsicherheit und einem unerfüllten Sex- und Liebesleben bietet das Internet eine vergleichsweise einfache Möglichkeit, im Chat oder per E-Mail andere Menschen kennen zu lernen. Zudem erleichtert die Anonymität, sexuelle Wünsche auszudrücken - ein Korb von jemandem, den man nicht kennt, enttäuscht weniger. Wenn sich die Phantasien allerdings decken und ein Treffen zustande kommt, sind die Hemmschwellen bereits niedriger als bei "normalem" kennen lernen. Amerikanische Studien belegen, dass Sexualkontakte, die durch das Internet initiiert wurden, ein höheres Risiko hinsichtlich sexueller übertragbarer Krankheiten darstellen.

Die Auswertung von Befragungen ergab, dass Menschen, die Sex über das Internet suchen und finden, mehr Sexualpartner haben als andere. Immerhin 22 Prozent hatten in der Vergangenheit sexuell übertragbare Krankheiten. Daraus kann ein erhöhtes Risiko zukünftiger Infektionen mit solchen Krankheiten, einschließlich HIV, abgeleitet werden. Nur 44 Prozent der Befragten hatten während ihres letzten Sexualkontaktes ein Kondom benützt und sich beziehungsweise den Partner einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt.

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