SCHREIBEND IN DIE INNENWELT

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ER GEHÖRT ZU DEN LEISEN IM LITERATURBETRIEB. AUCH SEINE FIGUREN VERABSCHEUEN DIE SELBSTINSZENIERUNG, WIDERSETZEN SICH DEM ZWANG, ETWAS DARSTELLEN ZU MÜSSEN.

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ER GEHÖRT ZU DEN LEISEN IM LITERATURBETRIEB. AUCH SEINE FIGUREN VERABSCHEUEN DIE SELBSTINSZENIERUNG, WIDERSETZEN SICH DEM ZWANG, ETWAS DARSTELLEN ZU MÜSSEN.

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Neun Bücher hat Franz Weinzettl, der als Psychotherapeut in Graz lebt, seit seinem Debüt "Auf halber Höhe" im Jahr 1983 veröffentlicht. Der damals 28-Jährige bewegte sich im Umfeld der Literaturzeitschrift manuskripte und fiel durch die bedächtige Sparsamkeit der Mittel auf. Dem Leser drängte sich der Eindruck auf, dass der Verfasser am liebsten hinter seinem Text verschwinden würde, so zurückhaltend und bescheiden gab er sich. Es machte sich einer klein, weil es um etwas ging, was dem Verfasser größer, mächtiger, bedeutender erschien als er selbst. Mit Literatur lassen sich kontemplative und spirituelle Erfahrungen machen. Die Bücher von Franz Weinzettl gehören dazu.

Innehalten und Verweilen

Zwischen der Erzählung "Abseits, auf den Gleisen" und der jüngsten Erzählung "An der Erde Herz geschmiegt" liegen sieben Jahre. Einen Vielschreiber hat man sich anders vorzustellen. Das liegt an der Methode Weinzettls, seine Texte zu verdichten, zu entrümpeln von allem, was bloßes Beiwerk und Zierrat ist. Zu erzählen gibt es nicht viel, weil die äußeren Vorgänge bescheiden bleiben. Landschaft, ein paar Begegnungen mit Menschen, das Innehalten und Verweilen, das Grübeln und In-sich-Versenken, das ist es eigentlich schon, was den Kern der Weinzettl'schen Welt ausmacht. Die Figuren nehmen sich selbst aus dem Spiel, verabscheuen die Selbstinszenierung, widersetzen sich dem gesellschaftlichen Zwang, etwas darstellen zu müssen.

All die Jahre und Jahrzehnte hat sich Weinzettl daran gehalten, an Souveränität jedoch hat er zugelegt. "Auf halber Höhe" war noch nach dem Prinzip eines Entwicklungsromans angelegt. Ein junger Mann zieht vom Land in die Stadt, kommt mit den kühlen Verhältnissen dort nicht zurande und durchläuft eine Schule der wahren Empfindung, die ihn mit sich selbst aussöhnt, indem er sich in das Reich der Kindheit fallen lässt. In starken Bildern wird ein Ort erschaffen, wo Geborgenheit noch möglich war. Die Verhältnisse sind bescheiden, aber die Menschen sind mit sich im Reinen. Das hat nichts mit Karl Heinrich Waggerls Lob der Armut zu tun, welches doch sehr ideologisch das Landleben als moralisch wertvoll instrumentalisierte. Weinzettls versöhnliche Verlebendigung von Kindheit und Jugend entspricht einem Versenkungsprozess ins eigene Ich, ist eine Selbstfindungstour, die den Menschen mit seiner Herkunft in Einklang bringt.

In "Abseits, auf den Gleisen" haben wir einen Mann und eine Bahnstrecke, das genügt. Der Streckenverlauf gibt die Richtung vor, der der Mann unbeirrbar folgt. Weit sperrt er die Augen auf, nimmt wahr, was immer ihm unterkommt, mehr aber noch dringt er ins eigene Seelenleben vor, denn alles, was ihm unterkommt, hat unmittelbar mit ihm selbst zu tun. In kleinen Textsplittern kommt man einem Menschen nahe, für den Gesellschaft ein entrückter Ort ist. Die Erfüllung liegt im Moment, und jeder Moment bietet eine Offenbarung. Weinzettl konfrontiert mit Konzentraten eines intensivierten Lebens.

Als Anlaufstelle eines in sich versenkten Bewusstseins fungieren im jüngsten Buch Friedhöfe. Der Reisende kommt in eine Stadt, Wien, Salzburg oder Linz und flaniert durch Gräberreihen. So verbringt er seine Zeit. Die Idee, sich aufzuraffen und einen Freund anzurufen, um sich mit ihm zu treffen, fällt ihm zwar als Möglichkeit ein, er schiebt sie aber umgehend weit weg von sich. Er möchte zu sich kommen, bei sich bleiben, jemand anderer findet keinen Platz in diesem literarischen Roadmovie in Richtung Innenwelt. Jedes Kapitel ein anderer Friedhof, jeder Besuch dort löst einen Sturzbach neuer Gefühle aus. Die Figur verkehrt mit den Toten lieber als mit den Lebenden. Sie sind ihm Ansprechpartner und Erinnerungsstützen. Er mag niedergeschlagen und ausgebrannt ankommen, verlässt er den Friedhof, fühlt er sich erbaut und gestärkt. Es sieht so aus, als wollte sich die Figur belohnen dafür, es unter Menschen so lange ausgehalten zu haben. Als "ein Ort zum Wohlfühlen" wird ein Friedhof aufgefasst, und es ist die Rede von der "Lust, sich noch einen weiteren Friedhof zu gönnen".

Nichts Morbides, Schauriges, Abschreckendes weisen diese Touren auf. Wir nehmen sie als Einübung in die Empathie, als Probeläufe in das Prinzip Einfühlsamkeit. Sie entsprechen der Frischzellenkur eines Ermüdeten und Überforderten. Wenig ist von der Wirklichkeit draußen zu erfahren. Die Droge Friedhof füllt den Gefühlsspeicher neu auf. Es genügt nicht, einmal kurz vorbeizuschauen als Passant, der durchatmet, die Friedhofsruhe spendet Kraft und Energie.

Wiederholung und Abweichung

Die Erzählung berichtet von einem Weinzettl'schen Paradoxon. All diese abgelegten, zur endgültigen Ruhe gekommenen Leben sind Stimulans für einen Menschen, der dringend den Anschluss an eine Wirklichkeit sucht, die ihm einen Mehrwert an Lebensgefühl zugesteht. Kein Träumer, kein Phantast, kein Spinner ist hier zugange, sondern jemand, der mehr will vom Leben. als ihm die Welt der Waren ermöglicht. Deshalb diese zwanghaften Versuche, den Begrabenen nahezukommen, sich deren Lebensgeschichten zu imaginieren, sie sich zu Gesprächspartnern zurechtzumodeln. Weinzettl-Bücher sind nicht nur Modifikationen oder gar Variationen eines Lebensgefühls, das jüngste Buch ist nach dem Prinzip der Wiederholung und Abweichung gestaltet. 33 Mal die gleiche Ausgangssituation, ein Mann betritt einen Friedhof und sucht sich seine eigene Spur durch das Gelände. 33 Mal ein anderes Ergebnis, weil jede Gräberstätte ihre eigene Identität aufweist und den Flaneur in Sachen Tod jeweils neu Witterung aufnehmen lässt. Weinzettl-Bücher fordern den Leser zur Gänze.

An der Erde Herz geschmiegt

Erzählung von Franz Weinzettl Edition Korrespondenzen 2015

175 S., geb., € 21,-

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