"Sehr zwiespältige Gefühle"

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Als Jude vertrieben, als Nobelpreisträger willkommen. Eric Kandel über Wien.

Die Furche: Herr Professor Kandel, Sie sind für den Kinostart Ihres autobiografischen Dokumentarfilms nach Wien gekommen …

Eric Kandel: Weil ich denke, dass die Scientific Community ihre Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen muss. Ich habe das versucht, zunächst mit dem Buch (Anm. Kandels Autobiografie ist 2006 erschienen), jetzt mit dem Film. Ich hoffe damit auch zeigen zu können, dass es kaum eine schönere Arbeit gibt, als Wissenschaft zu betreiben.

Die Furche: Daneben, heißt es, verfolgten Sie hier noch andere Ziele.

Kandel: Es ist ja nicht so, dass ich unbedingt nach Wien kommen müsste. Und wenn ich schon hier bin, möchte ich etwas bewegen.

Die Furche: Was genau?

Kandel: Es behagt mir nicht, dass die hiesige Universität - ein Ort der freien Rede - am Karl-Lueger-Ring liegt. Einige Leute werden sagen, Lueger hat auch viel für diese Stadt getan. Das stimmt vielleicht. Er war aber auch eindeutig ein Antisemit und Demagoge. Hitler, der damals in Wien war, hat etwa von Lueger die politische Rhetorik und den biblischen Antisemitismus gelernt.

Die Furche: Mit der Nazi-Herrschaft sind die Juden aus Wien verjagt worden. Im Film sinnieren Sie kurz darüber, wieder junge jüdische Intellektuelle nach Wien zu holen. Ein Wien wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ist das nicht allzu utopisch?

Kandel: Das mag ein wenig verrückt klingen. Aber ich könnte mir gut vorstellen, junge, begabte jüdische Wissenschafter mit Stipendien gezielt nach Wien zu locken. An amerikanischen Universitäten würde ich eine solche spezielle Förderung als zutiefst ungerecht empfinden, aber die Situation hier ist eine andere: Diese Stadt schuldet den Juden etwas.

Die Furche: Auch Sie und Ihre Familie wurden vertrieben. Nun engagieren Sie sich im beratenden Gremium des IST Austria, der Eliteuni, die in Gugging entsteht. Warum eigentlich?

Kandel: Anton Zeilinger hat mich darum gebeten und ich bin überzeugt, dass es auf Wien belebend wirken wird, hier eine Forschergemeinde von internationalem Ruf zu haben. Natürlich habe ich aufgrund meiner negativen Kindheitserfahrungen der Stadt gegenüber noch immer sehr zwiespältige Gefühle. Aber ich bin eben auch ein wahnhafter Optimist.

Das Gespräch führte Thomas Mündle.

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