
Seltene Erkrankungen: Waisenkinder der Forschung
Bis zu vier Jahre lang warten Betroffene von seltenen Erkrankungen auf die richtige Diagnose. Wie man ihre Situation durch "Diagnoselotsen" und Telemedizin verbessern könnte.
Bis zu vier Jahre lang warten Betroffene von seltenen Erkrankungen auf die richtige Diagnose. Wie man ihre Situation durch "Diagnoselotsen" und Telemedizin verbessern könnte.
Heute ist Josefine sieben Jahre alt, Luis neun. Beide kamen mit einer seltenen Erkrankung auf die Welt: DBA ist die Abkürzung von Diamond-Blackfan-Anämie – eine Blutkrankheit, bei der keine roten Blutkörperchen gebildet werden können. Die Folge: Die Geschwister leiden an Sauerstoffmangel, ermüden somit rascher und sind anfälliger für Infektionserkrankungen. Auch eine Wachstumsstörung hat sich eingestellt. Alle drei Wochen müssen die beiden zur Bluttransfusion oder zur „Bluttankstelle“, wie sie sagen, in die St. Anna Kinderklinik in Wien. Aufgrund der Bluttransfusionen wird in ihrem Körper fremdes Eisen abgelagert, das nicht abgebaut werden kann. Daher müssen die Kinder zusätzlich Medikamente einnehmen, um einer Eisenüberladung des Gewebes entgegenzuwirken.
DBA: Forschung zur Molekularbiologie
Diese Fallgeschichte ist nur eines von mehreren Schicksalen, die im neuen Buch „Seltene Erkrankungen. Aspekte aus Ethik und Praxis“ zu finden sind. Anlässlich des Tags der seltenen Erkrankungen wird es am 27. Februar am Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) in Wien präsentiert. Mit dabei ist auch Boris Marte, der Vater der betroffenen Kinder. Zusammen mit seiner Frau hat er 2018 die Initiative „dbaexperiment“ ins Leben gerufen, um Geld für Forschung zur DBA zu sammeln. Man weiß, dass dieser Krankheit eine genetische Mutation zugrunde liegt; doch bleibt unklar, was zu ihrem Ausbruch führt. Auch im Erbgut des Vaters findet sich diese Mutation, wiewohl er selbst nicht erkrankt ist: ein Rätsel, das nun auf der Ebene der Molekularbiologie gelöst werden soll. Die DBA ist derart selten, dass sie noch kein Interesse seitens der Pharmaindustrie auf sich gezogen hat. Das ist exemplarisch für Krankheiten, deren Behandlung nur geringe Absatzchancen verspricht: Derzeit gibt es für 95 Prozent der seltenen Erkrankungen keine spezifische Therapie. Oft ist es nur das rastlose Engagement der Betroffenen, das dazu führt, dass überhaupt Forschungsprojekte in Gang gesetzt werden.
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