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Skepsis gegenüber angeblichen Therapien

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Kaum etwas ist für einen Kranken schlimmer, als wenn sich eine jähe Hoffnung auf Hilfe oder gar Genesung, so schnell wie sie entstand, wieder in Luft auflöst. Gerade Massenmedien neigen aber dazu, kleine medizinische Fortschritte in Durchbrüche umzudichten oder neue Behandlungsmethoden, die sich nur auf einen bestimmten Teil der Betroffenen anwenden lassen, als hilfreich für die Gesamtheit der Patienten zu bejubeln. Dies mußten unlängst jene rund 8.000 Österreicher erfahren, die an Multipler Sklerose (MS) leiden, einer bisher unheilbaren Krankheit des Zentralnervensystems, die durch eine Autoimmunreaktion ausgelöst wird (siehe unteren Artikel).

Unter der Überschrift „Österreichische Neurologen ,fanden' MS-Therapie" berichtete die Austria Presse Agentur über eine Studie, laut der die Gabe von Immunoglobulin G „anscheinend die Schwere der Behinderung von Patienten sowie die Schubrate verringert". Die zum Teil falsche und mißverständliche Meldung tauchte auch in zahlreichen Tageszeitungen auf.

„Nach solchen Meldungen rufen 100 Patienten bei uns an und wollen in den Genuß der Behandlung kommen", beklagt Harald Kollegger, Leiter der MS-Ambulanz an der Universitätsklinik für Neurologie am Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Besagte Methode sei aber weder neu, noch in Osterreich entdeckt, noch so durchschlagend wie suggeriert werde. „Seien Sie gegenüber Heilverfahren und Therapien, die in der Presse auftauchen, skeptisch", warnt auch die International Fede: ration of Multiple Sclerosis auf ihrer Internet-Homepage.

MS ist eine Krankheit, die in verschiedenen Varianten auftritt. Sinnvollerweise behandelbar ist nur jene, die in Schüben verläuft. Dabei treten typische Symptome sprunghaft auf, bilden sich aber zum Teil - oder auch zur Gänze - wieder zurück. Ein Schub kann 24 Stunden dauern oder sich über Monate hinziehen. Nur rund ein Viertel der Patienten leiden an einer solchen schubweise verlaufenden MS.

Akute MS-Schübe werden mit hochdosierten Cortisonpräparaten behandelt, die über drei bis zehn Tage verabreicht werden. Gegenwärtig gibt es nur drei Mittel, die während schubfreier Perioden angewandt werden und eine gewisse Wirkung auf Häufigkeit und Schwere der Schübe haben. Alle drei bremsen die Autoimmunreaktion des Organismus, die für die Krankheit verantwortlich ist:

■ Immunoglobulin G.

■ Beta-Interferon, das seit Anfang 1995 in zwei Varianten erhältlich ist.

■ Copolymer-1, ein brandneues Arzneimittel, das erst Anfang dieses Jahres in den USA zugelassen wurde.

Alle drei Medikamente können laut entsprechender Studien das Auftreten neuer Krankheitsschübe um etwa 30 Prozent verzögern. Dieses Ergebnis muß jedoch bei genauer Betrachtung der Rahmenbedingungen relativiert werden: Die Anwendung der Präparate hätten nur bei Patienten mit schubförmigem Krankheitsverlauf und milden Symptomen „nach Jahren eine moderate Wirksamkeit", räumt Neurologe Kollegger ein. Sein Fazit: „Die Ergebnisse der entsprechenden Studien liegen teilweise hart am statistischen Signifikanzniveau." Angesichts der hohen Kosten der Medikamente würden nur jene Patienten behandelt werden, bei denen tatsächlich mit einer Besserung gerechnet werden könne.

Vor allem ein Mißverständnis tritt fast immer in den entsprechenden Jubelmeldungen auf, wie Kollegger erklärt: „All diese Präparate sind keine Therapeutika, sondern Prophylaktika." Damit stellt der Universitätsdozent klar, daß weder Immunoglobulin G, noch Reta-Interferon noch Copolymer-1 irgendetwas am gegenwärtigen Zustand des Patienten ändern, sondern höchstens einen gewissen Einfluß auf die weitere Entwicklung der Krankheit haben.

Völlig hoffnungslos ist die Lage der MS-Patienten jedoch nicht, denn wie die Zulassung neuer Medikamente belegt, ist in den letzten Jahren Bewegung in die MS-Forschung gekommen. Harald Kollegger: „Wenn man vor zehn Jahren gesagt hätte, in absehbarer Zeit käme es zu nennenswerten Fortschritten bei der Behandlung von MS, so wäre das gelogen gewesen. I leute aber ist das durchaus berechtigter Optimismus."

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