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Im Jahre 1904 stellte der große norwegische Meteorologe V. B j e r k n e s ein Programm für eine mathematische Wettervorhersage auf, das sich auf die Gesetze der Mechanik und der Physik gründete, indem er die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für eine solche streng mathematische Lösung des komplizierten Problems klar formulierte. Zwei Grundbedingungen enthält dieses Programm: 1. muß man mit hinreichender Genauigkeit den Zustand der Atmosphäre zu einem gewissen Zeitpunkt kennen, und 2. muß man, ebenfalls mit hinreichender Genauigkeit, die Gesetze kennen, nach denen der eine atmosphärische Zustand in den anderen übergeht.

1 Die erste dieser Bedingungen kann durch genügende Verfeinerung der Beobachtungsmethoden, beziehungsweise durch Vergrößerung des Beobachtungsnetzes sowie durch Heranziehung der Beobachtungen aus der freien Atmosphäre prinzipiell erfüllt werden.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist darin ein gewaltiger Fortschritt gemacht worden. Wenn also zur Zeit der Aufstellung des Programms durch Bjerknes vielleicht noch gewisse Schwierigkeiten bezüglich der hinreichend genauen Erfassung des Anfangszustandes der Atmosphäre bestanden, so muß betont werden, daß in der Beseitigung dieser Schwierigkeiten gewaltige Fortschritte gemacht worden sind. Eine Unzahl von Meldestellen der ganzen Erdoberfläche, ergänzt durch Schiffsbeobachtungen, Höhenobservatorien und Radiosendestationen, gestatten heute jedenfalls für große Teile der Erdoberfläche eine weitgehende Festlegung der „Anfangsbedingungen“. Bleibt also die zweite Bedingung des Bjerknesschen. Programms: die

Kenntnis der Gesetze, nach denen sich der atmosphärische Zustand entwickelt. Nun weiß man schon seit langer Zeit, daß hiezu ein im Prinzip universelle Geltung beanspruchendes Gleichungssystem von sieben tbermo-, beziehungsweise hydrodynamischen Gleichungen nach den Lehren der Physik zur Verfügung steht, das zur Bestimmung der sieben Wetterelemente: Luftdruck, Temperatur,

Dichte, der drei Windkomponenten (zwei für die horizontale Windströmung, eine für die vertikale!) und der Luftfeuchte hinreicht, wenn die Wärmezufuhr in dem betrachteten Zeitraum bekannt ist. Trifft die letztere Annahme nicht zu, so wären überdies noch diese Wärmezufuhr von der Sonne her und die Strahlungsverhälcnisse in der Atmosphäre und an der Erdoberfläche mit Hilfe gewisser Strahlungsgleichungen zu ermitteln, .worauf der deutsche Meteorologe Philipps 1939 besonders hingewiesen hat.

Im Jahre 1913 äußerte sich Bjcrknes in seiner Leipziger Antrittsvorlesung über „Die Meteorologie als exakte Wissenschaft“ sehr optimistisch, daß die Wettervorhersage durch die obige Formulierung ein in mathematischer Hinsicht bestimmtes Problem geworden sei, das mit Aussicht auf Erfolg Ln Angriff genommen werden müsse. Die Hauptschwierigkeit bestand in der Lösung des erwähnten, mathematisch sehr komplizierten Gleichungssystems. Bjerknes selbst und seine Schüler und Mitarbeiter haben in dieser Hinsicht gewaltige Pionierarbeit geleistet und immer wieder versucht, gewisse, gerade noch tragbare Vereinfachungen durchzuführen, um die Lösung der Gleichungen finden zu können. Viele wichtige Entdeckungen verdanken wir der Arbeit dieser Forscher, so vor allem die „Polarfronttheorie“, die die Entstehung der Tiefdruckgebiete als Wellenstörung an der Grenze zweier verschiedener Luftmassen erklärt. Zahlreiche andere Theoretiker bemühten sich, wenigstens Teilaufgabem des schwierigen Fragenkomplexes zu lösen, indem sie oft andere, von den Bjerknesschen Vorstellungen abweichende Theorien aufstellten. Unter diesen Gelehrten ragen besonders die Österreicher Margulies und E x n e r hervor. Aber der Erfolg, den man sich erhofft hatte, nämlich eine berechenbare Wettervorhersage, stellte sich nicht ein. Immer wieder türmten sich neue Schwierigkeiten auf, und trotz vielen grundlegenden Erkenntnissen war der Fortschritt nur gering. Immer wieder mußten an Stelle exakter mathematischer Formeln halbempirische Regeln treten, wenn man die theoretischen Resultate auf den praktischen Prognosendienst anwenden wollte. So kann es nicht wundernehmen, daß es auch an pessimistischen Stimmen nicht gefehlt hat, die der deterministischen Auffassung des Problems der Wettervorhersage eine indeterministische gegenüberstellten. Besonders klar hat diese Auffassung der deutsche Gelehrte W e n g e r, der als Nachfolger von Bjerknes nach Leipzig berufen wurde, ausgesprochen, indem er sagte: „Alles in allem erhält man dem Eindruck, daß die atmosphärischen Vorgänge, auf denen das Wetter beruht, nichts anderes sind als Mischungsvorgänge verschieden temperierter Luftmassen und daß diese, abgesehen von den Dimensionen, ähnlich verlaufen wie andere Mischungsprozesse, das heißt, es spielen dabei Turbulenzvorgänge eine eminente Rolle, von denen man wieder weiß, daß sie einen zufallsmaßi-

gen Charakter haben, also kleinen Ursachen große Wirkungen entsprechen können.“

Trotzdem halten aber sehr viele Meteorologen an der deterministischen Auffassung fest, etwa im Sinne der Ansicht von M. Planck, der bereits 1934 ausgeführt hat, daß in wissenschaftstheoretischer Hinsicht die sogenannten „statistischen Gesetzmäßigkeiten“ einer indeterministischen Weltauffassung nicht das Endziel, sondern nur ein Durchgangsstadium der Erkenntnis bilden, dem jedenfalls die deterministische Kausalanalyse übergeordnet ist. Planck sagt wörtlich: „Es liegt im Wesen jeder Statistik, daß sie wohl oft das erste, aber niemals das letzte Wort zu sprechen vermag.“

Wenn wir uns also zur deterministischen Auffassung beim Problem der Wettervorhersage bekennen, dann müssen wir den geringen Fonschritt, der bisher gemacht wurde, eben den ungeheuren mathematischen Schwierigkeiten zuschreiben, die nur durch geeignete „erlaubte" Vereinfachungen überwindbar erscheinen. Dabei ist das Problem seit den Tagen von Bjerknes noch komplizierter geworden, da man erkannte, daß gewisse früher nicht genügend berücksichtigte Faktoren, wie die kolloidphysikalischen Vorgänge und die Rolle der Sublimationskerne bei der Wolkenbildung, in der Gesamtlösung mit berücksichtigt werden müssen. Überdies hat der deutsche Theoretiker E r t e 1 in mehreren Arbeiten seit 1941 .nachgewiesen, daß die Lösung der exakten Wettervorhersage für ein Teilgebiet der Erdoberfläche ein mathematisch unbestimmtes Problem und somit eine exakte Lösung nur für die ganze Erdoberfläche zu erhoffen sei. Da wir aber gegenwärtig immer nur gewisse, allerdings ziemlich große Teilgebiete der Erdoberfläche dem meteorologischen Beobachtungsnetz erschlossen haben, wir also von einem richtigen „Weltwetterdienst“ noch weit entfernt sind, so erscheint auch aus diesem Grunde die Hoffnung auf eine baldige Lösung des Vorhersageproblems gering. Aber man hat gelernt, daß auch eine Approximation an die exakte Lösung sehr nützlich sein kann, wenn sie nur den Erfordernissen des praktischen Lebens einigermaßen entspricht. Und so wurden neuerdings von theoretischer Seite her wieder äußerst beachtliche Versuche unter nommen, mathematische Lösungen von Teilaufgaben des gesamten Fragenkomplexes zu finden. Diese neue Richtung ist eng mit dem Namen und der Schule des in den Vereinigten Staaten tätigen Gelehrten C. C. R o s s b y verknüpft. Rossby haue erkannt, daß gewisse dynamische Eigenschaften der strömenden Luft zusammen mit der ablenkenden Kraft der Erdrotation und dem globalen Charakter der Strömungsvorgänge zur Ausbildung langer Wellen in der freien Atmosphäre führen, die eine gewisse Beständigkeit aufweisen und durch ihren steuernden Einfluß auf den Wetterablauf in der Nähe der Erdoberfläche eine entscheidende Rolle spielen. Dadurch, daß in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren das Beobachtungsmaterial der freien Atmosphäre durch die Errichtung zahlreicher Radiosondenstationen stark angewachsen ist, konnte man die Rossbyschen Theorien an Hand von „Höhenwetterkarten“ studieren und überprüfen. Dies wurde vor allem von amerikanischen Forschern durchgeführt, wobei für die Prognosentätigkeit beachtliche Erfolge erzielt werden konnten.

Bei dem Versuch, das Problem dieser Teilaufgabe vollständig rechnerisch zu lösen, stand man aber immer noch vor großen mathematischen Schwierigkeiten. In allerjüngster Zeit wurde diesbezüglich ein neuer Vorstoß unternommen. Der Amerikaner Charney, der gegenwärtig an der Prince- ton University for Advanced Studies tätig ist, veröffentlichte Anfang Juli eine Arbeit, die den ersten Schritt zu einer numerischen Vorhersage der Luftdruckänderungen in der freien Atmosphäre für den Zeitraum von 24 Stunden darstellt. Wie Charney in Aussicht stellt, dürften in naher Zukunft gewisse vorläufig noch bestehende mathematische Schwierigkeiten durch Verwendung von „high speed electric Computers“, also durch moderne Elektronen-Rechenmaschinen überwunden werden. Es ist vielleicht noch zu früh, über diese Ergebnisse ein Urteil zu fällen, aber eines steht jedenfalls fest: Die Wissenschaft wird auf dem beschrittenen Weg weiter fortfahren und alle möglichen technischen Hilfsmittel einsetzen, um dereinst auch das Problem der mathematischen Wettervorhersage mit einer Genauigkeit zu lösen, die den praktischen Erfordernissen genügen wird.

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