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Spaghetti im zu kleinen Kochtopf

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Die seltsamen, dunklen Flecken auf der Sonnenoberfläche ließen Galileo Galilei keine Ruhe. Ohne erkennbaren Grand tauchten sie plötzlich auf; viele verschwanden nach wenigen lagen wieder, manche aber blieben mehrere Monate sichtbar - je größer sie waren, desto länger. Sie traten meistens in Gruppen auf und bewegten sich schwerfällig über den glühenden Feuerball. Fast dreißig Jahre lang beobachtete der italienische Asiionom die Sonnenflecken und bezahlte dafür mit seinem Augenlicht: 1637, fünf Jahre vor seinem Tod, erblindete er. Das grelle Licht der Sonne hatte seine Augen ruiniert.

Galilei, der als erster Mensch die vier größten Monde des Jupiter erspähte und Gebirge^ Täler und Krater auf der Oberfläche des Mondes ausmachte, blieb allerdings der Entdeckerruhm versagt: 1611, nur wenige Monate vor Galilei, hatte der junge holländische Astronom Johannes Fa-bricius die Sonnenflecken entdeckt.

Seit dem 18. Jahrhundert werden die Sonnenflecken ausgiebig beobachtet. Vor allem die Tatsache, daß die Häufigkeit der Flecken einem Zyklus unterworfen ist, gab den Astronomen Rätsel auf: Alle elf Jahre zeigen sich besonders viele dunkle Flecken auf der Sonnenoberfläche. Erst in den letzten Jahren bildet sich allmählich eine wissenschaftliche Erklärung dieses Phänomens heraus, die der Schweizer Astronom Sami Solanki Anfang dieses Monats auf einem Vortrag im Institut für Astronomie der Universität Wien zusammenfaßte:

Wegen der enormen Temperaturen - im Inneren der Sonne herrschen rund 15 Millionen, an der Oberfläche immerhin noch rund 5.300 Grad Celsius - lösen sich bei einem großen Teil der Materie, aus der die Sonne besteht, die (negativ geladenen) Elektronen vom (positiv geladenen) Atomkern. Treffen diese herumschwirrenden elektrisch geladenen Teilchen (Ionen) auf eine magnetische Feldlinie, so werden sie von ihr eingefangen und fließen die Feldlinie entlang. Es entstehen sogenannte Flußröhren. Durchstößt eine Feldlinie die Sonnenoberfläche, so strömen Ionen an ihr hinunter in Richtung Sonneninneres oder hinauf an die Sonnenoberfläche. Jene Ionenströme, die von Innen kommen, sind aufgrund ihrer höheren Temperatur weiß und hell. Die von der Oberfläche in die Sonne hineinführenden Materieflüsse sind relativ kühl (rund 4.000 Grad Celsius) und heben sich dunkel von der heißeren Umgebung ab - genau diese Ströme werden von der Erde aus als Sonnenflecken wahrgenommen.

Das Magnetfeld der Sonne - und aller verwandten Sterne - ist äußerst komplex. Neutronensterne und Weiße Zwerge etwa haben - ebenso wie die Erde - ein Magnetfeld wie aus dem Bilderbuch: zwei gegenüberliegende magnetische Pole, zwischen denen regelmäßige magnetische Feldlinien verlaufen. Auf der Erde richtet sich jeder Kompaß nach diesen Feldlinien. Auf der Sonnenoberfläche würde ein Kompaß zu nichts Nutze sein, denn dort herrscht ein chaotisches Wirrwarr wild wuchernder magnetischer Feldlinien. „Hairy Ball” („haariger Ball”) wird die Sonne unter Solarwissenschaftlern deshalb genannt, erzählt Solanki, der an der ETH Zürich lehrt.

Das solare Magnetfeld durchläuft einen 22 Jahre dauernden Zyklus. Zu Beginn des Zyklus kommt das Magnetfeld der Sonne einem regelmäßigen bipolaren Magnetfeld relativ nahe. Da die allermeisten magnetischen Feldlinien in der Nähe der Pole die Sonnenoberfläche durchstoßen, entstehen nur wenige Sonnenflecken. Das relativ regelmäßige Magnetfeld gerät jedoch durch die Rotation der Sonne zusehends durcheinander: Denn im Gegensatz zur Erde dreht sich bei einem Gasball wie der Sonne der Aquatorbereich schneller als die Pole. Die magnetischen Feldlinien werden daher wie auf einer Spule in der äußeren Hülle der Sonne aufgewickelt. Wie Spaghetti in einem zu kleinen Kochtopf kleben sie aneinander und ragen allerorts aus der Sonne hinaus. Nach fünfeinhalb Jahren erreicht diese Phase ihren Höhepunkt, erkennbar am massenhaften Auftreten von Sonnenflecken.

Mit der Zeit werden die Feldlinien aufgrund ihrer Aufwickelung zu lang - und damit zu schwach - um die Ionen weiterhin um sich zu scharen. Elektrisch gleich geladene Teilchen rotten sich zu riesigen Horden zusammen und beginnen in Richtung der Pole zu wandern. Die Sonnenflecken werden wieder rarer. Nach weiteren fünfeinhalb Jahren ist das Magnetfeld der Sonne wieder einigermaßen erdähnlich - allerdings sind die elektrischen Pole genau umgekehrt wie zu Beginn des Zyklus. Und wieder wickeln sich die magnetischen Feldlinien um die Sonne... Nach weiteren elf Jahren ist die magnetische Polung der Sonne dieselbe wie 22 Jahre zuvor. Der Zyklus kann von Neuem beginnen.

Dabei ergibt sich ein interessanter Zusammenhang: Je mehr Sonnenflecken, desto heller scheint die Sonne und desto heißer wird es auf der Erde. Denn während dem Sonnen-fleckenmaximum wird das Mehr an dunklen Flecken noch übertroffen von den heißen, hellen, mit gewöhnlichem Fernrohr nicht sichtbaren Materieströmen aus dem Inneren der Sonne. Eine Tatsache, die nicht optimistisch für diesen Sommer stimmt: Das nächste Sonnenfleckenmaximum wird erst im Jahre 2001 erwartet.

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