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Strabenverkehrs(un)ordnung

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Ein großes Netz unterirdischer Straßenbahnlinien zu bauen, das eine merkliche Verbesserung des städtischen Verkehrs erzielen könnte, beansprucht Jahrzehnte. So lange können wir aber das jetzige Verkehrschaos nicht beibehalten. Wir brauchen organisatorische Maßnahmen, die in kurzer Frist voll wirksam werden.

Welch großen Erfolg eine organisatorische Maßnahme erzielen kann, die noch dazu praktisch nichts kostet, haben wir in Wien an dem segensreichen — und erstaunlich mutigen! — Parkverbot in Schienenstraßen erlebt. Mit einem Schlag wurde der Verkehrsfluß beschleunigt. In letzter Zeit werden allerdings Verstöße dagegen kaum noch geahndet, wodurch diese Maßnahme weitgehend verwässert worden ist.

Ahnlicher Ertolg ließe sich durch weitere organisatorische Maßnahmen erzielen, die in zahlreichen anderen Städten bereits seit Jahren Selbstverständlichkeiten sind.

Die gutdurchdachte, hochspezialisierte Verkehrsregelung auf der Schiene (Fahrplan, weichenabhängige Signale) weiß sehr wohl die „Verkehrsteilnehmer“ zu werten und gibt den eiligen Fahrgästen des Expreßzuges oder der leichtverderblichen Fracht des Eilgüterzuges den Vorrang vor dem bummelnden Nahgüterzug. Anders auf der Straße. Der Straßenbahnzug mit 200 Fahrgästen muß auch dann warten, wenn ein Kleinwagen auf den Schienen steht oder wenn die automatische Ampel rotes Licht zeigt, obwohl auf der kreuzenden Straße kein Fahrzeug zu sehen ist. Nebenbei bemerkt:Es ist eine arge Zumutung, von einem erwachsenen Menschen zu verlangen, eine Straße, auf der weit und breit kein Auto zu sehen ist, nur deswegen nicht zu überqueren, weil eine rote Lampe brennt.-Ja, sogar Einsatzfahrzeuge (Rettung, Feuerwehr) müssen, auch bei sinnlosem Rotlicht der automatischen Ampel warten! Deutlicher kann doch nichts zeigen, daß die'Straßenampeln keine Ordnungseleunente sind, sondern — nach Victor Gruen — „Irrlichter der Großstadt“.

Der Straßenbahnverkehr ließe sich weiter durch generelles Verbot des Linksabbiegens in allen Schienenstraßen wesentlich beschleunigen. Im allgemeinen wäre den öffentlichen Verkehrsmitteln der „absolute Vorrang“ einzuräumen (so gefordert von der „Süddeutschen Zeitung“). In unserer Straßenverkehrsordnung 1960 blieb der Straßenbahn wenigstens noch ein bescheidener Vorrang erhalten; andere Länder, sogar Ostblockstaaten, haben ihn fast vollständig abgeschafft; sie stellen einen mit 200 Personen besetzten Straßenbahnzug dem — nach offiziellem Durchschnittswert — mit 1,7 Personen besetzten Auto gleich! Umsonst mahnen die Stadtplaner seit Jahren, die Menschen und nicht die Fahrzeuge zu zählen! München und Frankfurt am Main schaffen derzeit aus eigener Initiative weltgehenden Vorrang für die Straßenbahn, ohne auf eine neue Straßenverkehrsordnung zu warten.

Ein generelles Verbot für Dauerparken im Stadtzentrum käme dem öffentlichen Verkehr sehr zugute. Die Dauerparker zwingen die Kurzparker zum Halten in zweiter Reihe (eigentlich verboten, wie jede Uber-tretung der Kraftfahrer jedoch weitgehend geduldet), wodurch der Verkehrsfluß behindert wird. In Wien konnte man sich noch nicht einmal zu einem Verbot des Dauerparkens in der Inneren Stadt entschließen, wo es doch bereits in allen Bezirken innerhalb des Gürtels notwendig wäre!

Entsprechend dem eigenen Gleiskörper gibt es in vielen Städten speziell abgegrenzte Fahrspuren, die dem Autobus — mancherorts zusammen mit dem Taxi (Mailand) — vorbehalten sind. Wien hat diese sehr nützliche Einrichtung bisher leider nicht aufgegriffen.

Die Straßenbahn — welcher populäre Begriff hier allgemein für das tote Wortgebilde städtische Verkehrsbetriebe steht — könnte aber auch aus eigener Initiative zu menschenwürdiger Beförderung der Fahrgäste beitragen.

Hier sind ebenfalls technische Maßnahmen durchaus nicht so wirksam wie organisatorische und psychologische. Das Straßenbahnpersonal zählt zweifellos zu jenen Repräsentanten der Stadt, mit denen die Bürger am meisten Kontakt haben. Daher sollten sie den Fahrgästen besonders höflich und rücksichtsvoll begegnen, um dem Bürger die Wertschätzung, die er bei den Mandataren der Stadtverwaltung genießt, erleben zu lassen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Für das bezahlte Fahrgeld finden Schaffner nur selten ein „Danke“, während sich selbst der primitivste Zeitungsverkäufer für nur einen Schilling jedesmal selbstverständlich bedankt. Das Ausreden auf die Personalknappheit kann nicht anerkannt werden, denn auch die ÖBB leiden darunter und dennoch haben sie einen vorzüglich geschulten, höflichen und zuvorkommenden Schaffnernachwuchs herangebildet, dessen hohe Qualität international anerkannt wird.

Man gibt sogar zu, den öffentlichen Verkehr vernachlässigt zu haben, und fordert, ihn nun wieder „attraktiver“ zu gestalten. Als die elektrische Straßenbahn um die Jahrhundertwende aufgekommen war, zeichnete sie sich sogar durch hohe Attraktivität aus. Die Fachleute meinten damals, damit sei die Ära des individuellen Verkehrs überwunden. Leider blieb während der letzten fünfzig Jahre der öffentliche Verkehr organisatorisch in der Glöckerlbahnmentalität stecken, die technische Verbesserungen paralysiert hat. Dadurch hat er mehr und mehr an Attraktivität eingebüßt, und man muß heute nachholen, was in einem halben Jahrhundert versäumt wurde. Die miserable Organisation des öffentlichen Verkehrs hat viele gerade zum Anschaffen eines eigenen Fahrzeuges gezwungen.

Wieder meint man jedoch, mit technischen Verbesserungen allein das Auslangen zu finden. Diese sind nur ein Teil — und noch dazu der kleinere — des Problems. Was nützen Straßenbahnwagen mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern je Stunde, wenn der tatsächliche Durchschnitt nicht wesentlich über Fußgängergeschwindigkeit liegt? Entscheidend sind organisatorische Maßnahmen im Zusammenwirken von Stadtverwaltung — siehe vorigen Abschnitt — und Straßenbahndirektion.

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