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Strafe oder soziale Verteidigung?

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Der Ruf nach der Reform des Strafgesetzes will nicht mehr verstummen. Es ist daher die Frage berechtigt, ob eine Gesamtreform des Straf rechtes notwendig ist, ob eine Teilreform genügt oder ob schließlich eine Teilreform eine Sofortmaßnahme bilden soll, der nach geraumer Zeit eine Gesamtreform folgen muß.

Daß unser Strafgesetz alt, ja sehr alt ist, wird wohl von niemandem bestritten werden. Viele der Bestimmungen dieses Gesetzes gehen bereits auf das Josefinische Gesetzbuch vom Jahre 1787 zurück. Das Gesetz vom Jahre 1852 ist eigentlich nur eine Neufassung der Bestimmungen des Jahres 1803, so daß im großen und ganzen die strafrechtlichen Normen mindestens 150 Jahre alt sind.

Dieses überalterte Gesetz konnte nur durch Novellierungen und Nebengesetze sowie durch die Rechtsprechung und Lehre brauchbar erhalten werden. Der Novellierung eines Gesetzes ist insofern eine Grenze gesetzt, als auf dem Gebiet des Straf- rechtes bestimmte Prinzipien von tragender Bedeutung sind und eine Vermengung verschiedener grundsätzlicher Anschauungen gerade auf diesem Gebiet zu besonders unbefriedigenden Ergebnissen führen muß. Will man daher das Strafrecht grundlegend ändern, so kann es nur durch eine Neufassung geschehen. Dies ist auch der Grund, daß bereits der Verfasser des Strafgesetzes 1852, Dr. Hye, als Minister daranging, einen neuen Gesetzentwurf einzubringen. Solche Entwürfe lösten einander bis zum Zusammenbruch der österreichischungarischen Monarchie ab. Der letzte Entwurf wurde im Jahre 1912 dem Herrenhaus vorgelegt. Die Erste Republik beriet einen Strafgesetzentwurf, dessen Bestimmungen mit dem Entwurf des Deutschen Reiches abgestimmt waren, auch er wurde nicht zum Gesetz. Die Notwendigkeit für eine Neuregelung der strafrechtlichen Materie besteht demnach unverändert fort.

Nebengesetze strafrechtlicher Natur sind geeignet, die Materie noch unübersichtlicher zu machen. Ferner trägt das Nebeneinander von Zivil- und strafrechtlichen Bestimmungen in einem Gesetzgebungswerk, wie wir es auch oft antreffen, nicht dazu bei, die Besonderheit der strafrechtlichen Normen, vor allem ihre Strafbarkeit, dem Rechtsbewußtsein der Bevölkerung näherzubringen. Im übrigen soll das Strafrecht zumindest zum größten Teil in einem Strafgesetzgebungswerk kodifiziert erscheinen, um so die Bevölkerung mit der Gesamtheit der strafrechtlichen Normen bekannt zu machen. Für ein modernes Strafgesetz, dessen Bestimmungen über die Grundnormen der Sittenordnung hinausgehen müssen, bei dem es also die Veränderungen der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des 20. Jahrhunderts mit sich bringen, auch Verhaltungsweisen unter Strafe zu stellen — ich denke an das Gebiet des Wirtschaftsstrafrechtes —, die an sich den kriminellen Unrechtscharakter, wenigstens in den Augen der Bevölkerung, nicht vorweg in sich tragen, ist es notwendig, daß diese Normen dem Bewußtsein der Bevölkerung entsprechend nähergebracht werden. Richtigerweise wird wohl ein modernes Strafrecht, nicht wie es bisher geschieht, von der unwiderleglichen Vermutung der Kenntnis aller Strafrechts-

haltens und sonach auch auf die nach der Schwere der Rechtsgüterverletzung differenzierte Strafdrohung, ja sogar mit dem Verzicht auf die Verbindung von Gesetzesübertretung und Schuld verbunden?

Damit bin ich bereits zu dem Wesentlichen vorgestoßen.

Man wird zu unterscheiden haben, ob Schädlichkeit und Gefährlichkeit eine Vorausetzung für Maßnahmen der Sicherung oder Strafe als Folge schuldhaften Handelns festgelegt wird. Sagte nicht Papst Pius XII. in einer Ansprache am 3. Oktober 1953, „daß Voraussetzung jeder Strafbarkeit die S c h u 1 d ist und daß es eine Verirrung des Rechtsdenkens darstellt, zu. glauben, daß die Strafe ihre Begründung in der Hoheit des verletzten Rechtes finde?“ Er führt weiter aus, daß der Kern der Schuld die freie Auflehnung gegen die erkannten bindenden Normen sei, einmal geschehen, kann sie nicht wieder ungeschehen gemacht werden. Soweit aber der verletzten Ordnung Genugtuung geleistet werden kann, müsse sie geleistet werden. Es sei eine Grundforderung der Gerechtigkeit in der Welt des Sittlichen, den bestehenden und berechtigten Ausgleich, das Gleichgewicht zu bewahren. Der größte Ausgleich verlangt, daß der Täter durch die Strafe zwangsweise unter die Ordnung gebeugt werde. In der Seinsordnung ist die Strafe eine Folgerung aus der bis in die letzten Fugen des Geschöpf- lichen dringenden Bindung an den höchsten Willen. Es handelt sich nicht in erster Linie darum, die Rechtsgüter zu schützen, sondern das Recht selbst. Die Vergeltungsfunktion allein, so fährt der Heilige Vater fort, läßt schließlich den Richterentscheid des Schöpfers selbst verstehen: Einem jeden wird Vergeltung nach seinen Werken.

Durch diese Ausführungen wurde in klarer und eindeutiger Weise zum Ausdruck gebracht, daß die S t r a f e in erster Linie Vergeltung sei, ein rechtliches Uebel, das der

Staat dem Straffälligen als rechtlichen Aus gleich für die Straftat auferlegt und alles andere, wie Generalprävention und Spezialprävention, eben nur Nebenwirkung der Strafe ist. Damit sind als Voraussetzung der Strafbarkeit die Schuld und als Vergeltung die Strafe erkannt. Keineswegs soll jedoch deshalb sichernden Maßnahmen zur Bekämpfung der Gefährlichkeit und damit der Modernisierung des Strafrechtes durch Einbau entsprechender Sicherungsmittel gegen Gewohnheitstrinker und Rauschgiftkranke sowie gegen Gewohnheitsverbrecher entgegengetreten werden.

Die beispiellose Entwicklung der Technik und die innere Umwälzung auf allen Gebieten des Lebens, die gesellschaftliche und soziale Umschichtung der Bevölkerung und schließlich und endlich die politische Entwicklung seit dem Jahre 1803 bzw. 1852 haben eine andere Bewertung der geschützten oder zu schützenden Rechtsgüter zur Folge. Manche Deliktstatbestände sind veraltet. Der Aenderung der strafrechtlichen Dogmatik, der Verfeinerung juristischer Begriffe und der jahrhundertelangen Erfahrung der österreichischen Rechtsprechung muß im neuen Gesetze Rechnung getragen werden. Schließlich muß auch berücksichtigt werden, daß die Meinung darüber, was k r ijn i n e 1- 1 e s U n r e c h t ist, im Laufe der Zeit einen Wandel durchgemacht hat Die Ausscheidung der Uebertretungen, vielleicht sogar mancher Vergehenstatbestände aus dem kriminellen Strafrecht und Ueberweisung an das Verwaltungsstrafrecht wird notwendig sein, um den geänderten Anschauungen der Rechtsgüterbewertung Rechnung zu tragen. Die Gefahren, welche die Technik heraufgeführt hat, die rasche und krasse Rechtsgüterverletzung durch Maschinen, erfordern von der menschlichen Gemeinschaft einen erhöhten Schutz und entsprechende Kriminalisierung solcher Verhaltungsweisen.

Damit wurde nur angedeutet, wie wichtig die Stellungnahme zu einem neuen Gesetzentwurf sein wird und wie notwendig es durch den langen Zeitablauf geworden ist, endlich ein neues Strafgesetz zu schaffen. Ueberlegung und Zeit wird dieses große und bedeutsame Werk erfordern, so daß vorläufig als Ueberbrückung mit einer T eilreform das Auslangen gefunden werden muß. Gleichzeitig damit sollte auch die Gesamtreform bereits b e- ginnen. Für jede Reformarbeit ist aber nicht nur eine Fülle des Wissens, sondern auch Kraft und Tiefe des Strebens erforderlich, ja sie bietet die einzige Gewähr für die Vollendung schwieriger Werke. Und daß die Strafrechtsreform tatsächlich schwierig ist, glaube ich bewiesen zu haben. Dem Strafrecht kommt es überdies mehr als anderen Rechtsgebieten zu, einen harmonischen Ausgleich zwischen der Welt des Sollens und der des Seins, dem Leben in seiner vielfältigen Gestalt und der Norm als Schutzwali jeder gesellschaftlichen und staatlichen Gemeinschaft herzustellen und eine Verbindung zwischen der Gerechtigkeit einerseits und den Erfordernissen der Ordnung sowie Sicherheit und damit der Zweckmäßigkeit anderseits zu finden. Dies möge das Ziel der notwendigen Reform des Strafrechtes sein: Justitia est ars aequi et boni.

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