Bett dunkel Kissen - © Unsplash/Quin Stevenson

Symphonie im Gehirn und ihre Störungen

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Auch im Schlaflabor ist man den Träumen auf der Spur - vor allem im Sinne jener Menschen, die von "Schlaflähmung“ oder anderen Symptomen betroffen sind.

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Auch im Schlaflabor ist man den Träumen auf der Spur - vor allem im Sinne jener Menschen, die von "Schlaflähmung“ oder anderen Symptomen betroffen sind.

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Wenn sich das Traumgeschehen als Erzählung deuten lässt, dann befinden sich die Tinte und das Papier im träumenden Gehirn: Der jahrtausendealten Tradition der Traumdeutung steht die relativ junge naturwissenschaftliche Erforschung des Träumens gegenüber, die in den letzten Jahrzehnten intensiv vorangetrieben wurde. Jüngste Forschungen konnten einige der komplexen Vorgänge im Gehirn klären, die mit dem Träumen verbunden sind. Diese Prozesse beeinflussen nicht nur den Inhalt des Traums, sondern entscheiden auch darüber, ob wir uns überhaupt an das Traumgeschehen erinnern können.

So zeigten Studien mit Testschläfern, die gezielt aus Schlafphasen im Leicht- oder Tiefschlaf geweckt wurden, dass während des Einschlafens häufiger von aktuellen Tagesereignissen oder konkreten Situationen ("Ist die Eingangstür verschlossen?“) geträumt wird. Inhaltlich ähnlich, aber deutlich kürzer und sachlicher sind die Traumberichte im Tiefschlaf. Im so genannten REM-Schlaf (REM: "Rapid Eye Movements“) hingegen erleben wir bunte, bizarre und stark emotional geprägte Träume, die auch wesentlich länger und facettenreicher sind als jene aus anderen Schlafabschnitten. Das Aufwachen wiederum ist begleitet von kurzen Traumsequenzen, die häufig durch äußere Reize, zum Beispiel dem Läuten des Weckers, ausgelöst werden.

Träume als "Betriebsrauschen“?

Schlaf ist kein globaler Zustand, der das Gehirn für die Dauer mehrerer Stunden in einen todesähnlichen Zustand versetzt, sondern ein lokal und zeitlich begrenzter Prozess. Tagsüber hoch beanspruchte Hirnregionen wie der Hippocampus, der für die Abspeicherung von Gedächtnisinhalten wichtig ist, oder Zentren zur Steuerung motorischer Leistungen werden im Schlaf stärker deaktiviert als tagsüber nur wenig benutzte Areale. Andererseits sind Hirnareale wie das Limbische System, das bei der Verarbeitung von Emotionen eine wesentliche Rolle spielt, im REM-Schlaf hoch aktiv.

Dieser Mix aus mehr oder weniger (in-)aktiven Hirnregionen ist einer der Gründe, warum wir uns nur lückenhaft an Träume erinnern können. Einige Traumexperten gehen sogar so weit und bezeichnen das Erinnern von Träumen lediglich als einen "Betriebsunfall“ des Gehirns. Träume seien, so der Neuropsychologe Jan Born, nichts anderes als ein Betriebsrauschen des Gehirns, ein kakophonisches "Gebrabbel“ von Nervenzellverbänden während notwendiger restaurativer Vorgänge, die bevorzugt im Schlaf stattfinden. Dazu zählen in erster Linie Prozesse zur Festigung und Abspeicherung von Gedächtnisinhalten. Kein Wunder also, wenn dabei auch "Tagesreste“ als Traumgeschichte wiederzufinden sind. Fehlfunktionen oder Störungen in der Aktivierung und Deaktivierung einzelner Hirnregionen während des Schlafs können auch die Ursache von Angstträumen oder dem so genannten "Albdruck“ sein. Ein solcher Zustand tritt dann ein, wenn ein Teil des Gehirns gleichsam noch schläft - vor allem jene Areale, die für die Motorik zuständig sind, während andere Hirnareale bereits wach sind. Dieses als "Schlaflähmung“ oder Schlafparalyse bezeichnete Phänomen führt dazu, das Betroffene zwar die Umgebung wahrnehmen, sich aber nicht bewegen können. Begleitet wird dieser Zustand von dem Gefühl, ein zentnerschweres Gewicht laste auf der Brust oder dem ganzen Körper, wodurch man zu ersticken drohe.

Eine solche Situation hat Johann Heinrich Füssli in seinen beiden Bildern "Die Nachtmahr“ (1781; 1790) eindrucksvoll dargestellt, indem er einer schönen Schlafenden einen hässlichen Gnom auf die Brust setzte. Wohl verständlich, wenn Träume während dieser Episoden von Angst geprägt sind, oder von Situationen geträumt wird, in denen ein Weglaufen nicht möglich ist. Experten vermuten, dass diese höchst unangenehme Erfahrung bei etwa sechs bis zehn Prozent der Bevölkerung fallweise auftreten kann. Da die Symptome meist nach wenigen Minuten verschwinden oder sich durch Körperkontakt mit einem Bettpartner auflösen, gehen Betroffene deswegen nur sehr selten zum Arzt.

Motorisches Ausagieren

Das Gefühl, im Schlaf keine Luft zu bekommen und sich nicht bewegen zu können, hat auch schon Generationen vor uns beschäftigt und gab Anlass zu sehr unterschiedlichen Deutungen. In Mitteleuropa weit verbreitet war die Vorstellung von Kobolden oder hexenähnlichen Unwesen, die Menschen und Tiere im Schlaf heimsuchen - im bayrisch-österreichischen Raum zum Beispiel in Gestalt der lästigen Trud, über die es viele Sagen zu erzählen gibt.

Eine andere, nicht weniger unheimliche Störung hat zur Folge, dass im REM-Schlaf die Hemmung der Muskulatur versagt und wir unsere Träume motorisch ausleben. Hunde- und Katzenbesitzer kennen dieses Phänomen oft sehr gut: Begleitet von teils heftigem Augenrollen kommt es vor, dass unsere Kumpantiere im Schlaf fauchen, bellen oder auch heftig mit den Beinen zucken. Trotz dieses Schauspiels droht keine Gefahr: Der faszinierte Beobachter muss nicht befürchten, plötzlich von seinem geliebten Haustier attackiert zu werden.

Held für eine Nacht

Ganz anders verhält es sich bei Menschen, die unter einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung leiden. Da kann es schon vorkommen, dass im Traum der Bettpartner attackiert wird oder Mitbewohner als mutmaßliche Einbrecher verfolgt werden. Betroffen sind meist Männer ab dem 60. Lebensjahr. Obwohl diese Störung in der Allgemeinbevölkerung sehr selten ist, werden solche Vorkommnisse medial gern aufgegriffen und unter Titeln wie "Gewaltschläfer“ abgehandelt. Beunruhigend ist, dass diese Störung mit der Parkinson-Krankheit in Zusammenhang stehen könnte, da etwa 40 Prozent der Parkinson-Patienten auch darunter leiden.

Obwohl diese Schlafstörung medikamentös gut behandelt werden kann, verweigern Betroffene mitunter eine Therapie. So etwa ein Patient, der immer wieder davon träumte, ein tapferer Ritter mit unzähligen Abenteuern zu sein. Da er dabei sehr erfolgreich war, fühlte er sich auch noch im Wachen als Held und mochte daher nicht auf dieses Gefühl verzichten. Mit einer Einschränkung: Seit seiner Karriere als streitbarer Held musste er die Nächte allein verbringen, denn seine Frau fühlte sich im Wohnzimmer wesentlich sicherer.

Selbst wenn die Hirnforschung viele Traumphänomene klären konnte, hat der Traum nichts an seiner Faszination eingebüßt. Und nach wie vor ist er ein Rätsel: Selbst mit Hilfe ausgefeilter technischer Untersuchungsmethoden bleiben die wirklich grundlegenden Fragen nach dem Sinn und Zweck der Träume offen. Vielleicht sollten wir uns daher auch wieder mehr an der altägyptischen Auffassung des Träumens orientieren: Demnach kann der Traum als eine Art Reisebericht verstanden werden - von einem Ausflug, den wir jede Nacht in das Reich des Morpheus und Hypnos unternehmen.

Der Autor ist Schlafforscher an der Medizinischen Univ. Wien.

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