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In Japan ist Tee mehr als nur ein simples Getränk. Er ist Philosophie.

Wasser kochen, über den Tee gießen, trinken - besonders tiefsinnig ist die "europäische Teezeremonie" nicht. Anders die japanische: "Der Geist des Tees ist der Geist des Friedens, und die Kultur des Tees ist eine Kultur der Gastfreundschaft. Tee befähigt uns zum Aufbau und zur Pflege guter zwischenmenschlicher Beziehungen. Doch darf der Geist des Tees nicht auf den Teeraum begrenzt bleiben. Er ist von entscheidender Bedeutung für das harmonische Zusammenleben der Menschen im großen Gefüge der Natur", schreibt Sen Sôshitsu XV, Großmeister der japanischen Teeschule Urasenke, im Vorwort des Buches "Der Geist des Tees".

Der Teeweg (chadô), in Europa besser bekannt als japanische Teezeremonie, beschränkt sich nicht auf den Verzehr von Tee. Vielmehr ist er vom Zen-Buddhismus abgeleitete Lebensphilosophie, in der jeder Handgriff seine tiefere Bedeutung hat. Nichts geschieht während der durchaus fünf bis sechs Stunden dauernden Zusammenkunft unbedacht - die Gäste und der Gastgeber sollen jeden einzelnen Augenblick davon bewusst erleben.

Jahrzehnte bis zur Perfektion

Von der Einrichtung des Teeraumes über die Einladung und Bewirtung mit Speisen bis zur Zubereitung und Darreichung des Tees an die Gäste folgt die Zeremonie einem bis ins kleinste Detail seit Jahrhunderten festgeschriebenen Ritual. Schon der formale Ablauf, der akribisch beachtet und vom Lehrer an den Schüler weitergegeben wird, erfordert jahrelange Übung. Oberstes Prinzip ist dabei die absolute Harmonie des Ablaufs. Soll aber die Einladung über die reine Form hinausgehen und den Geist des Teeweges verwirklichen, ist jahrzehntelange Erfahrung nötig: "Tee ist ein Kunstwerk und braucht eines Meisters Hand, um seine edelsten Eigenschaften zu offenbaren", schrieb der Buchautor und Kulturvermittler Kakuzo Okakura Anfang des vorigen Jahrhunderts. "Wir haben guten und schlechten Tee, wie wir gute und schlechte Gemälde haben - gewöhnlich schlechte. Es gibt kein einziges Rezept, den Tee vollendet zu bereiten, ebenso wie es keine Regeln gibt, einen Tizian oder einen Sesso zu malen."

Der Teeweg vereint vier Prinzipien: Harmonie (wa) ist die Grundlage für die Gleichheit aller Menschen. In Hochachtung und Ehrfurcht (kei) begegnen einander Gastgeber und Gast und versichern sich gegenseitig ihres Wertes als Individuum, Reinheit (sei) steht nicht nur für die Sauberkeit der Utensilien, sondern auch für die Reinheit des Geistes und eine Freiheit des Handelns, die ihm entspringt. Und Stille und Gelassenheit (jaku) beschreiben einen ruhigen und gefassten Geisteszustand, der durch den beständigen Wandel aller Dinge nicht erschüttert wird. Zusammengenommen beschreiben die vier Prinzipien Nirwana, eine Welt des absoluten Friedens und der Harmonie.

850 Wege zum Tee

Für die Teezubereitung (temae) selbst werden alle benötigten Geräte in den Teeraum getragen und in einer genau festgelegten Anordnung auf die Bodenmatten gelegt. Allein in einem 1856 veröffentlichten Buch werden mehr als 850 Arten der temae und Methoden des Gebrauchs der Teegegenstände beschrieben. Manche Abläufe der Zeremonie sind schnell, manche langsam, aber alle folgen ihren eigenen Regeln. Auf sorgfältig geschnittener und gewaschener, glühender Holzkohle wird Wasser erhitzt. Schon eine zu schwache Glut kann dabei als Ausdruck eines kalten Geistes aufgefasst werden, was die Aufrichtigkeit gegenüber den Gästen unvollkommen wirken lässt.

Eine genau vorgegebene Menge pulverisierten Tees (matcha) wird mit dem Teelöffel, meist aus Bambus, aus dem Teebehälter in die Teeschale gegeben. Mit einer Schöpfkelle wird eine exakt vorgeschriebene Menge heißen Wassers dazugegeben - dreieinhalb Schluck pro Gast, das Wasser sollte bei starkem Tee zwischen 75 und 85 Grad Celsius haben, bei leichtem Tee etwas weniger. "In diesem Punkt kommt es auf die Erfahrung des Gastgebers an", schreibt Großmeister Sen Sôshitsu, "da die Temperatur sich immer auch nach den Unterschieden der verwendeten Kessel, den jeweiligen Witterungsbedingungen und der Qualität des Wassers richtet."

Die Mischung wird mit einem aus Bambus geschnittenen Teebesen aufgeschlagen. Der Umgang mit den verwendeten Geräten erfordert besondere Umsicht: "Wenn ihr einen Gegenstand aus der Hand legt, um den nächsten aufzunehmen, dann sollte dies in einem Geiste geschehen, als würdet ihr euch von einem geliebten Menschen trennen", heißt es in einem Lehrgedicht.

Strenge Regeln, gute Gäste

Aber nicht nur der Gastgeber folgt bei der Zubereitung einem genauen Ablauf; vielmehr muss auch der Gast zahlreiche Regeln kennen: nicht im unpassenden Moment zu sprechen, die Schale Tee nach einem besonderen Ritual in Empfang zu nehmen, sich vorher auf eine bestimmte Art zu verbeugen, mit Bedacht von dem Getränk zu kosten, es in einer festgelegten Weise weiterzureichen, die Utensilien, mit denen der Tee zubereitet wurde, ehrfürchtig zu bewundern.

Vor dem Trinken wird die Teeschale zwei Mal nach rechts gedreht. Der Gastgeber stellt die Schale mit der schönsten Seite vor den Gast und erweist ihm dadurch seine Ehrerbietung. Der Gast wiederum dreht die Schale, um - als Ausdruck seiner Bescheidenheit - eben nicht diese Vorderseite der Schale zum Mund zu führen.

Und wozu das alles?

"Viele Menschen fragen, wozu es derart verfeinerter Abläufe bedarf, um einfach nur eine Schale Tee zu bereiten", schreibt Sen Sôshitsu. "Doch nirgendwo auf der Welt finden wir ein Getränk wie pulverisierten Tee, das so ausdrücklich in einem Geist gegenseitiger Dankbarkeit von einem Menschen angeboten und von einem anderen entgegengenommen wird. Die Handlungen des Teeweges bieten den Menschen eine religiöse Unterweisung, die ihnen im Alltag eine Stütze sein kann."

Der Legende nach wurde einst der Teemeister Sen no Rikyû von einem Schüler gefragt, was der Sinn des Teeweges sei. Rikyû antwortete: "Wasser holen, Feuer anzünden, Wasser erhitzen, Teeschlagen und trinken, das ist alles." Als der Schüler bemerkte: "Das kann ich alles schon!", soll der Meister gesagt haben: "Dann möchte ich Dein Schüler werden ..."

DER GEIST DES TEES

Von Sen Sôshitsu XV

Theseus Verlag, Berlin 2004

136 Seiten, geb., e 26,90

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