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Todesstrafe oder lebenslanger Kerker?

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Die Häufigkeit von Gewaltverbrechen in den letzten Monaten gerade nach der Sitzung des Nationalrats vom 24. Mai 1950, in welcher auf Grund einer geheimen Abstimmung die Regierungsvorlage auf weitere Anwendung der Todesstrafe bis 31. Dezember 1951 abgelehnt worden ist, hat in der Presse eine geradezu leidenschaftliche Erörterung der Frage hervorgerufen, ob denn die Abschaffung der Todesstrafe gerechtfertigt war.

Als vor Jahren der damalige Justizminister Dr. Gero eine Enquete wegen der Abschaffung der Todesstrafe einberufen hatte, hat sich die Mehrzahl der Teilnehmer gegen die Anwendung der Todesstrafe ausgesprochen. Auch in diesem Blatt wurde damals zu diesem umstrittenen Problem Stellung genommen. Ich darf auf die Ausführungen des bekannten Strafrechtslehrers Universitätsprofessor Dr. Ferdinand Kadecka verweisen, der zum Schlüsse kam, daß die Todesstrafe in jedem Falle abzulehnen sei, und daß die ausnahmsloseUn-antastbarkeit menschlichen Lebens als Grundsatz von bedingungsloser Gültigkeit in der menschlichen Gesellschaft aufzurichten sei.

Es sollen hier keineswegs nochmals die Meinungen für und wider die Todesstrafe erörtert werden; ich will nur versuchen, kurz die Geschichte der Todesstrafe darzustellen, ehe ich zum vorliegenden Problem Stellung nehme.

Bei den Römern wurde die Todesstrafe erst durch Enthauptung mit dem Beil und später durch Kreuzigung vollzogen. Im Mittelalter, besonders seit dem 13. Jahrhundert, erlangte die Todesstrafe eine ausgedehnte Anwendung, dies besonders bei Mord, Raub, Diebstahl usw. Zu dieser Zeit sind namhafte Gelehrte für sie eingetreten. Unter anderem hat Thomas von Aquin erklärt: „Wenn also ein Mensch für die Gemeinschaft zur Gefahr wird, ihr zum Verderben gereicht, dann wird er mit Fug und Recht getötet, damit das allgemeine Wohl gewahrt wird.“ In der Praxis wurde eine Einschränkung der Todesstrafe durch die Möglichkeit der Ablösung, der richterlichen Gnade sowie durch Zufälligkeiten bewirkt. Ging doch ein weit verbreiteter Brauch dahin, dem Verbrecher bei Mißlingen der Hinrichtung das Leben zu schenken. Erst die Aufklärung tritt zum Teil gegen die Todesstrafe auf. Montesquieu meint hiezu, daß sie erlaubt sei, weil auch den Verbrecher selbst das Gesetz schütze, das er übertrete; er könne sich deshalb nicht über seine Anwendung beschweren. Voltaire hingegen hält die Todesstrafe nur ausnahmsweise zur notwendigen Unschädlichmachung für berechtigt. Schließlich hat der österreichische Professor an der Universität

Mailand, Beccaria, die Todesstrafe, von Ausnahmezuständen abgesehen, als nicht berechtigt und nicht nötig, ja sogar nachteilig abgelehnt. Dieser Meinung hat sich Sonnenfels angeschlossen. Dies hat dazu geführt, daß in Österreich die Todesstrafe für das ordentliche Verfahren im Jahre 1781 abgeschafft wurde und bis zum Jahre 1795 auch abgeschafft blieb. In der Folgezeit war die Todesstrafe in Österreich in Geltung gestanden. Mit dem Gesetz vom 3. April 1919, StGBl. 215, wurde die Todesstrafe im ordentlichen Verfahren neuerlich abgeschafft und dies im Artikel 85 der Bundesverfassung ausdrücklich normiert. Auf Grund des Artikels 1 des Strafrechtsänderungsgesetzes 1934, BGBl. II, Nr. 77, ist die Todesstrafe wiederum eingeführt worden. Das mit Kundmachung des Staatsamtes für Justiz vom 3. November 1945 wieder-verlautbarte österreichische Strafgesetz hat das Strafrechtsänderunggesetz 1934 zur Gänze übernommen. Da die Bundesverfassung 1929 und damit der Artikel 85, welcher die Abschaffung der Todesstrafe festgelegt hat, mit 19. Juni 1946 in Wirksamkeit trat, bedurfte es eines neuen Verfassungsgesetzes, um die Todesstrafe weiterhin aufrechterhalten zu können. Dies geschah durch das allerdings rückwirkende Bundesverfassungsgesetz vom 24. Juli 1946, BGBl. Nr. 141, wodurch die Todesstrafe bis 30. Juni 1947 für zulässig erklärt wurde. In der Folge wurde diese Frist immer wieder hinausgeschoben, zuletzt durch das Bundesverfassungsgesetz vom 12. Mai 1948, Nr. 100, worin es heißt: „Die Todesstrafe bleibt im ordentlichen Verfahren auch nach dem 30. Juni 1948 zulässig, solange mit dem Tode bedrohte Verbrechen in gefahrdrohender Weise um sich greifen. Diese Bestimmung tritt am 30. Juni 1950 außer Kraft, wenn sie nicht früher durch ein Bundesgesetz aufgehoben wird.“

Daraus folgt, daß im ordentlichen Verfahren, seitdem die Bundesverfassung 1929 wieder vollständig in Geltung ist, also ab 19. Juni 1946, die Todesstrafe grundsätzlich abgeschafft war und nur ausnahmsweise, eben nur durch ein Verfassungsgesetz, auf eine bestimmte Zeit weiter für zulässig erklärt wurde. Man hat sich daher der Auffassung angeschlossen — eine Änderung des Artikels 85 Bundesverfassung 1929 wurde meines Wissens bisher niemals in Erwägung gezogen —, daß die Todesstrafe in normalen Zeiten nicht notwendig ist.

Es steht daher nur zur Debatte, ob die Nichtanwendung der Todesstrafe im ordentlichen Verfahren bereits derzeit angebracht war; denn das Bundesverfassungsgesetz vom 12. Mai 1948, BGBl. Nr. 100, hat ausdrücklich die Todesstrafe so lange für zulässig erklärt, als die mit dem Tode bestraften Verbrechen, gemeint sind vor allem Mord, Raub, Brandlegung und dergleichen, in gefahrdrohender Weise um sich greifen.

Zur Klärung des Problems sei es mir gestattet, auf das Wesen der Strafe und ihren Zweck zurückzugreifen. Der historisch alte Zweck (Kant und Hegel), den sich auch am Ende des 19. Jahrhunderts die klassische Schule unter Führung Bindings zu eigen gemacht hat, ist die Vergeltung. Ihre einseitige und starre Abstellung auf dieses Prinzip ist seit Iherings Werk: „Zweck im Recht“, überwunden.

Der Hauptzweck der Strafe liegt bereit, nach Montesquieu in der Verhütung der Verbrechen. Die Abschreckung durch die Strafdrohung

(Theorie des psychologischen Zwanges) hat der große Kriminalist Anselm von Feuerbach dahin formuliert, „daß der sinnliche Antrieb zum Verbrechen dadurch aufgehoben werden soll, daß jeder weiß, auf seine Tat werde unausbleiblich ein Übel folgen, welches größer ist als die Unlust, die aus dem nicht befriedigten Antrieb zur Tat entspringt. Zweck der Strafe ist die Abschreckung der Bürger durch das Gesetz, Rechtsgrund der Strafandrohung die Notwendigkeit, die Rechte aller zu sichern“. Diesen Erwägungen stehen zwei Erfahrungstatsachen entgegen, nämlich die, daß der Antrieb zum Verbrechen im Augenblick der Tat vehementer ist als die Wirkung künftiger Strafe, und schließlich die Hoffnung jedes Verbrechers, daß bei ihm der Tat die Strafe nicht unausbleiblich folgt, sondern die Tat oder zumindest seine Täterschaft nicht entdeckt wird.

Die österreichische Rechtsordnung hält demnach an der Todesstrafe als ultima ratio fest. Es könnte daher die Frage aufgeworfen werden, ob die Zeit, in der die mit dem Tode bedrohten Verbrechen in gefahrdrohender Weise um sich greifen, schon vorüber ist. Ich habe bereits in meinem im Jahre 1947 erschienenen Lehrbuch des Strafrechts darauf aufmerksam gemacht, daß Gründe der Generalprävention, also die sozialpädagogische Einwirkung auf die Gesamtheit in bewegten Zeiten, eine wenn auch nur zeitweilige Verschärfung der Strafpraxis notwendig machen. Wieviel mehr gilt dies für die Abschaffung einer bereits geltenden Strafe, wenn es auch die Todesstrafe ist, in unsicheren und gefahrdrohenden Zeiten, in welchen nur durch die Anwendung der schärfsten Strafen die menschliche Gesellschaft von ihren gemeinschädlichen und gefährlichsten Individuen behütet werden kann.

Schließlich hat die Strafe auch einen Sicherungszweck. Solange man nicht der Ansicht des italienischen Sozialisten Turati beitritt, wonach nur durch die revolutionäre Aufhebung der derzeit geltenden Gesellschaftsordnung, die er eine kapitalistische nennt, die Ursachen der Verbrechen beseitigt werden können, muß man wohl trachten, die Staatsbürger vor den Angriffen der Verbrecher zu sichern. Diese Sicherung kann im extremen Fall durch die Beseitigung des Verbrechers erfolgen. Der Sicherungszweck erfordert dies jedoch nicht notwendigerweise. Den gleichen Zweck erfüllt die lebenslange Kerkerstrafe.

Allerdings nur unter der Voraussetzung, daß sie wirklich lebenslang wäre, das heißt, daß der Verbrecher nicht vorzeitig nach einer gewissen Bewährungsfrist entlassen wird. Das Bundesgesetz vom 21. Juni 1950, BGBl. Nr. 130, lautet im 1: „Im ordentlichen Verfahren vor den Strafgerichten bildet statt der vom Gesetz angedrohten Todesstrafe die Strafe des lebenslangen schweren Kerkers die gesetzliche Strafe.“

12 des Gesetzes vom 23. Juli 1920, StGBl. Nr. 373, über die bedingte Verurteilung sieht vor, daß ein Strafgefangener, der zu lebenslangem

Kerker verurteilt ist, zur Probe entlassen werden kann, wenn er 15 Jahre verbüßt hat. Die Erfahrung lehrt, daß von der gesetzlichen Möglichkeit in der Regel Gebrauch gemacht wird.

Dies besagt, daß durch die neue Regelung in Österreich an Stelle der Todesstrafe tatsächlich nicht eine lebenslange Kerkerstrafe getreten ist, daß also die Gesellschaft vor solchen Verbrechern nicht dauernd geschützt ist, sondern daß diese Verbrecher nach Ablauf von 15 Jahren ihrer Strafverbttfiung wieder Gelegenheit haben, neue und schwerste strafbare Handlungen zn begehen.

Wenn man schon vermeint hat, auf die abschreckende Wirkung der Todesstrafe in dieser unsicheren Zeit bereits verzichten zu können, so hat man durch die Zulassung der bedingten Entlassung auch bei lebenslanger Kerkerstrafe, die an Stelle der Todesstrafe tritt, nicht nur den Abschreckungszweck der Strafe weiter beeinträchtigt, sondern auch den Sicherungszweck fast vollkommen außer acht gelassen.

Es wäre zweckmäßig gewesen, daß durch eine Novellierung des 12 des Gesetzes vom 23. Juli 1920, StGBl. Nr. 373, festgelegt worden wäre: bei Bestrafung mit lebenslangem Kerker wegen Mordes, Raubes, der Brandlegung usw. haben die Bestimmungen des 12, Abs. 1, nicht zur Anwendung zu kommen. Damit wäre dl abschreckende Wirkung der lebenslangen Kerkerstrafe bei bestimmten, nennen wir sie todeswürdigen, Verbrechen erhöht und der Sicherungszweck garantiert sowie schließlich dem Gedanken der grundsätzlichen Ablehnung der Todesstrafe Rechnung getragen worden. Wenn ein Großteil des Volkes die Abschaffung der Todesstrafe gebilligt und sich die Mehrheit des Nationalrats diese Meinung zu eigen gemacht hat, so geschah dies größtenteils offenbar in der Meinung, daß die lebenslange Kerkerstrafe auch tatsächlich lebenslang vollzogen werde. Bei wahrer Kenntnis der Rechtslage — nämlich Kenntnis von der probeweisen Entlassung nach 15 Jahren — würde sieh ein großer Teil der Bevölkerung, der sich bisher für die Abschaffung der Todesstrafe ausgesprochen hat, für die Belassung derselben entscheiden, aus dem Empfinden heraus, daß die menschliche

Gesellschaft vor ihren ärgsten Feinden dauernd geschützt werden sollte.

Damit den humanen Bestrebungen auch gegenüber dem Verbrecher — eine Humanität, welche der Verbrecher allerdings zu oft gegenüber seinen Opfern, ehrlichen und pflichtgetreuen Staatsbürgern, nicht walten läßt — in allen Belangen Rechnung getragen werde, sei auch auf 65, Abs. 2, lit c, Bundesverfassung 1929 verwiesen, wonach dem Bundespräsidenten im Einzelfall das Recht der Begnadigung der von den Gerichten rechtskräftig Verurteilten, die Milderung und die Umwandlung der von den Gerichten ausgesprochenen Strafen zusteht, und so auch das Recht eingeräumt ist, wenn es im Einzelfalle aus besonderen Gründen geboten ist, die lebenslange Kerkerstrafe in eine zeitliche zu verwandeln.

Zusammenfassend seien mir folgende Feststellungen gestattet: Es entspricht dem Gesetz des Fortschritts, die Todesstrafe abzuschaffen. Es war vielleicht noch nicht an der Zeit, diese Maßnahme zu treffen. Wurde sie jedoch getroffen, so entspricht es dem Gedanken der Rechtskontinuität — wie wird doch die Autorität des Gesetzes durch eine rasche Aufhebung bereits getroffener Maßnahmen untergraben —, an der bereits eingeführten Regelung der Abschaffung der Todesstrafe festzuhalten. Es ist auch nicht zweckmäßig, aus einer begreiflichen Psychose heraus eine Volksabstimmung über eine Frage einzuleiten, die einer ruhigen und leidenschaftslosen Abwägung bedarf. Es wäre jedoch nicht abwegig, die lebenslange Kerkerstrafe, welche an die Stelle der Todesstrafe tritt, durch die angeführten Maßnahmen zu einer tatsächlich lebenslangen zu madien.

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