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Treffpunkt Alpbadi

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WAS DAS GEBIRGSDORF ALPBACH von anderen Dörfern Tirols unterscheidet, ist die zyklische Wiederkehr der Intellektuellen. Mit diesem Satz leitete der Professor für Volkswirtschaft aus Frankfurt am Main sein Referat in Alpbach ein, das dem Problem des Fortschritts gewidmet war. Darin wies Professor Veit nach, daß die „Abwertung des Diesseits" in der ganzen bisherigen Geschichte des menschlichen Denkens stets sehr wirksam war, weil sie einer Üranlage des Menschen entgegenkommt: der Anzie-

hungskraft des Unerfahrenen und der Indifferenz gegen das Gegebene. Ein Intellektueller hört nicht gerne au. sagte , der Professor, wenn Ererbtes gepriesen wird. Trotzdem wies er -die ) „zuweilen auftretende Vermutung“ zurück, Intellektuelle seien „wurzellos oder ähnliches“. In Alpbach sei eben alles wurzelstark.

Die Alpbacher Hochschul Wochen wurden in einem Jahr gegründet — es war das Jahr 1945 —, das im allgemeinen für die Gründung kultureller Projekte nicht besonders geeignet erschien. Es ist trotzdem eine feststehende, aus dem kulturellen Bild Österreichs nicht mehr wegzudenkende Einrichtung entstanden, die in diesem Sommer bereits zum siebzehnten Male Wissenschaftler und Studenten, Politiker und Journalisten, Künstler und Schriftsteller aus Österreich, Europa und aus überseeischen Ländern für einige Wochen im kleinen Gebirgsdorf in tausend Meter Höhe versammelt. In diesen Wochen findet das statt, was jemand einmal als die alljährlich wiederkehrende Alpbacher Gebirgs- schlacht bezeichnete, die aber in Wirklichkeit weniger und zugleich mehr als eine Schlacht ist. Es ist eine Begegnung, die der Erkenntnis und der Auflösung von Gegensätzen gewidmet ist, die jeden menschlichen Kontakt zuerst erschweren und da: n nachhaltig befruchten kann

Der Gegensätze gibt es in Alpbach zahlreiche, und zwar auf den verschiedensten Ebenen. Daß viele von ihnen von den Teilnehmern erkannt, ja in die „Gesamtplanung“ eingebaut werden und daß ihre Auflösung in den meisten Fällen mit nicht geringem Erfolg immerhin versucht wird, spricht für die Alpbacher — mit oder ohne Anführungszeichen.

DIE ALPBACH BESUCHER definieren sich durch sich selbst, lautet ein Spruch, der -sich gar nicht schlecht zum Leitspruch Alpbachs eignen würde. So wäre es denn auch müßig, zu untersuchen, ob der in Alpbach stets vorhandene Drang, die bestehenden und erkannten Gegensätze aufzulösen, in diesem oder jenem Fall dem Forschergeist, dem früher so genannten „Ethos der Wissenschaft", der Intuition des Künstlers oder dem etwa vorhandenen Instinkt des Politikers entstammt. Das mag nämlich im Einzelfall stimmen, sonst kann es aber Vorkommen, daß dem

Wissenschaftler einmal gerade etwas wie künstlerische Intuition weiterhilft oder daß sich der „Nur-Politiker“ von angriffslustigen Wissenschaftlern belehren läßt.

Manche finden gerade an diesem, auch den nicht Eingeweihten sich offenbarenden Geist Alpbachs Anstoß und kommen im nächsten Jahr nicht wieder. Es gibt aber vermutlich nur wenige, die Alpbach mit Vorbedacht und für immer den Rücken gekehrt haben. Von den Gründern, welche die Alpbacher Internationalen Hochschul-

wochen zu dem gemacht haben, was sie, sind, ist noch keiner abgefallen. Sie stnd.iwcb -..Wie .vor -eine Gemeinschaft ; und.ein Freundeskreis, der auch selbst latente innere Gegensätze aufweistj-; von dem aber, vielleicht gerade deshalb, unvermindert jene Impulse ausgehen, die den Stil von Alpbach bestimmen und weiterhin erhalten helfen.

Es ist ein erstaunliches Phänomen, daß auf Alpbacher Boden die „Anziehungskraft des Unerfahrbaren“ nicht zur „Indifferenz gegen das Gegebene“ führt, sondern vielmehr den Wunsch auf dessen Erhaltung wachhält. Dieser — vielleicht nur scheinbare — Widerspruch gilt für die Bemühungen um die wissenschaftliche Diskussion, die stets von neuem „angelegt" Wird und trotzdem immer wieder das erste große Thema der Gründungstagung, „Wissenschaft und Gegenwart“, meint, ebenso, wie für die zahlreichen Anknüpfungspunkte auf „menschlicher“, gesellschaftlicher Ebene. Und damit verhielt es sich in diesem Jahr — die Veranstaltung -stand unter dem Motto „Wissenschaft und Zukunft“ nicht anders als an den früheren Jahren.

WIE IN DEN FRÜHEREN JAHREN, wurde auch in diesem Jahr das Generalthema in zahlreiche Einzelfragen unterteilt und sowohl durch Arbeitsgemeinschaften als auch in den sogenannten „Europäischen Gesprächen", die Alpbach tatsächlich weit über die Landesgrenzen hinaus berühmt gemacht haben, \behandClt. So haben Philosophen und Theologen, Naturwissenschaftler und Kunsttheoretiker die Frage der Zukunft jeweils im Licht und mit den Methoden ihres Forschungszweiges gedeutet. Es war dabei selbstverständlich, daß die Frage nach der Zukunft auch die nach der Gegenwart mit einschloß. „Die Zukunft ist die Dimension Gottes“, sagte der Theologe. Und ein Philosoph wurde zitiert: „Wenn die Universitäten die Funktion verlieren würden, radikal nach der Wahrheit zu fragen, wenn sie von der industriellen Gesellschaft zu Forschungsstätten für industrielle Stätten verwandelt würden, dann würde die industrielle Entwicklung selbst zum Stillstand kommen.“

Das europäische Gespräch, „Aspekte des wirtschaftlichen Wachstums“, wies in diesem Sinn auf die entscheidende Bedeutung geistiger Impulse als Voraussetzung jeder materiellen Entwicklung hin. Hunger ist dort, sagte der Ernährungsfachmann der Vereinten Nationen, wo nicht genug in den menschlichen Geist investiert worden ist. Der Wohlstand sei eine Frage des Bildungsgrades und nicht der Technik. Ohne das Werk der christlichen Mönche, die den Menschen im Mittel- alter die fatalistische Denkweise abgewöhnt haben, gäbe es keine hoch- entwickelte Wirtschaft in Europa. Es sei die große Aufgabe der europäischen Landwirtschaft, innerhalb eines Gesamtkonzepts zum allgemeinen wirtschaftlichen Wachstum mehr als bisher beizutragen, was nur durch intensive Erziehungsarbeit möglich sei. Der Anpassungswille der Bauernschaft sei je- döbh viülfäch ünterschätit.

Nach einer ausgedehnten Diskussion- übef Wähtungspröbleme stellte ein Bankfachmann aus Bayern fest, die Goldwährung wäre ein guter Regulator, aber der beste Regulator sei der Mensch. Selbst die Berichterstattung im Rahmen des Weltwährungsfonds, wie sie in diesem Herbst in Wien stattfinden wird, verfolge vor allem pädagogische Ziele. Eine Wachstumsrate der Wirtschaft könne nur garantiert werden, wenn sich die Betroffenen „anständig benehmen“, sich sparsam verhalten. Für die Wirtschaftsentwicklung könne nicht allein die Theorie, sondern vor allem die Reaktion der Massen bestimmend sein. Die vielzitierte internationale Solidarität müsse sich auch darin zeigen, daß man zur Währung eines Landes Vertrauen hat. Wenn die Währungsfrage falsch behandelt werde, führe das statt zur Integration zur Desintegration.

Das Wirtschaftsgespräch zeigte konkrete Probleme der Entwicklungsländer und der europäischen Integra-

tion auf. Bei den letzteren hatte der Politiker das Wort. Aber wo hört Wirtschaftspolitik auf und wo beginnt die Politik, fragte mit Recht und ganz im Sinne der Alpbacher Tradition des Ausgleichs von Gegensätzen ein Diskussionsredner.

DIE ZEITUNGEN, die in dem Gesellschaftsraum des Paula-Preradovic- Hauses in Alpbach auflagen, drückten durch ihre Schlagzeilen nur auf eine andere Weise dasselbe aus, was in den Alpbacher Diskussionen manchmal nur verschlüsselt, manchmal offen zum Ausdruck kam: die Sorge wegen der jüngsten Verschlechterung der Weltlage. In den Round-table-Veranstaltun- gen, ja da und dort sogar bei den mit fröhlicher Dorfmusik begleiteten gelegentlichen Tischgesprächen der be rühmten Alpbacher geselligen Abende klang der düstere Unterton dieser Sorge um die Gegenwart und unmittelbare Zukunft mit. Das hat, so schien es dem Besucher zumindest, in diesem Jahr die sonst immer zukunftsfrohe Stimmung in Alpbach irgendwie beeinträchtigt. Ob es sich dabei um eine unvermeidliche „Wachstumserscheinung“ oder um die ersten Vorboten einer Weltkatastrophe handelt — auf diese Frage versuchten vielleicht alle Vortragenden und Redner, jeder in seiner Sprache, eine schlüssige Antwort zu geben. Alpbach ist eben nicht nur das Tiroler Dorf hoch oben in den Bergen, mit der einzigen schmalen Zufahrtsstraße, die es mit der Außenwelt verbindet, sondern zugleich auch ein bestimmter Punkt der einen Welt. In einem Monat des Jahres nicht einmal der unbedeutendste.

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