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Um die Herkunft des Menschenleibes

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Die ersten Sätze des so lesenswerten Aufsatzes, der von Professor Wilhelm Koppers in der „Furche“ Nr. 48 veröffentlicht wurde, gipfeln in der Formulierung, daß die Behauptung nicht vertreten werden könne, „es sei heute eine wissenschaftlich erwiesene oder auch nur wahrscheinlich gemachte Tatsache, daß der Mensch seinem Körper nach vom Tierreich abstamme“. Für den unvoreingenommenen Leser, dem die Erkenntnisse der modernen Biologie und Medizin nicht zur Verfügung stehen, liegt demnach der Schluß nahe, es trenne eine wesentliche Kluft den menschlichen Körper vom Tierreich. Nur diesem zu Unrecht möglichen Schlüsse, der, ohne irgendwie ausgesprochen zu sein, dem Leser des Artikels nahegelegt wird, sollen die folgenden Zeilen dienen.

Der oben zitierte Satz erhält als wesentliches Verbum das Wort „abstammen“. Abstammen (Stammbaum) bedeutet ursprünglich die nächste direkte verwandtschaftliche Bindung einzelner Individuen der Gattung Mensch (wie die Kinder von den Eltern abstammen). In einem weiteren Sinne, aber auch imimer noch in der Gattung Mensch, wird es gebraucht in Ausdrücken, wie: wir stammen alle von dem ersten Menschenpaar ab. Dk Deszendenztheorien oder „Abstammungslehren“ übernahmen das Wort „Abstammung“ aus der menschlichen Sphäre in die weitere der organischen Welt. Aus der fast unübersehbaren Fülle der Arten von Lebewesen lassen sich auf der einen Seite eine große Anzahl von Ähnlichkeiten unter den heute lebenden Arten erkennen und andererseits aus der Paläontologie die Tatsache ersehen, daß zu verschiedenen Zeiten der Erdgeschichte verschiedene Gruppen von Arten zeitlich einander folgten. Diese Folge verläuft — in sehr langen Abständen gesehen — in einer Wellenbewegung, wobei die

Tier- und Pflanzenklassen, -gattungen und -arten nacheinander zur Ausbildung kommen. Die Deszendenztheorien glauben nun in der Entwicklung “einer Art aus der anderen eine einheitliche These gefunden zu haben zur Erklärung der Ähnlichkeiten der verschiedenen jetzt lebenden Tierarten und dorn zeitlichen Auftreten dieser und anderer schon abgestorbener Arten in der Erdgeschichte. Sie benützt dafür das Wort „Abstammung“, wobei ganz allgemein nicht das Bild eines Stammbaumes, sondern, wenn schon ein bildlicher Vergleich benützt werden soll, eher das eines Strauches mit einzelnen geteilten und ungeteilten, lebenden und schon abgestorbenen Ästen das entsprechende wäre. Die Abstammung einer Art aus der anderen ist in keinem Falle eindeutig bewiesen. Nach Meinung der Mehrzahl der Autoren läge dies in dem Umstände, daß die Paläontologie einem Buche zu vergleichen sei, von dem für je hundert verlorengegangene Seiten nur ein kleiner Abschnitt von einigen Zeilen erhalten ist und eben die dazwischenliegenden Vorkommniss als nicht erhalten, erschlossen werden müßten. Eine andere Gruppe von Autoren — es sind dies besonders einige Vererbungsforscher — zweifeln daran, ob die Entstehung einer Art aus einer anderen infolge von ganz kleinen Änderungen der Erbmasse, den sogenannten Mutationen, die bis heute, allein beobachtet, nur zu verschiedenen Variationen, besten Falles Unterarten geführt haben, möglich sei Dagegen vermuten wieder andere, daß plötzlich entstandene sprunghafte Veränderungen in der Keimmasse die Entstehung der Arten erklären würde; sie können allerdings keinen Beweis in der jetzt erst höchstens ?C lahre alten systemitischen ErMorsch-ing. ^~'-igen. Gewisse Analogien mit der modernen Kern-

physik lassen die Möglichkeit solcher sprunghaften Veränderung der Erbmasse als nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen. Ob wir solche Änderungen, falls sie sich einmal tatsächlich als vorhanden erweisen sollten, dann a|s „Abstammung“ bezeichnen wollen, muß dahingestellt bleiben. Trotz diesem sehr wesentlichen Fehlen von entscheidenden Beweisen haben die Deszendenztheorien als Arbeitshypothese eine Fülle von Einzelheiten zu erklären vermocht und eine anschauliche Ubersicht gebracht.

Um es nochmals zusammenzufassen: „Abstammung“ im Sinne der Deszendenztheorien soll die Ähnlichkeit der Tierarten untereinander und ihr erdgeschichtliches Vorkommen erklären, ohne daß dabei die Entwicklung einer Art aus der anderen je das nahe verwandtschaftliche Verhältnis, das zwischen den frühesten Vertretern des Homo sapiens und den heutigen besteht, erreichen würde. Soweit zum Worte „Abstammung“.

Das „Tierreich“ umfaßt alle Arten von Tieren, sowohl die derzeit lebenden wie die schon ausgestorbenen. Daß der menschliche Körper mit den Vertretern der heute lebenden Affenarten mehr Ähnlichkeit habe als diese mit den Libellen zum Beispiel, um einen Vertreter aus der Klasse des Tierreiches zu nennen, weiß jeder. Daß der mensdiliche Körper nicht nur in seinem äußeren Anblick, sondern seinem inneren Aufbau nach sowie in seinen Funktionen in großem Ausmaße denselben Gesetzen folgt wie der Körper der Säugetiere, wird wohl kein Leser bezweifeln. Unsere ganze modern: Medizin wäre ohne diese Tatsachen undenkbar, denn alle Forschung an den Versuchstieren und die daraus gezogenen Schlüsse setzen diese Annahme voraus. Daß die Ähnlidikcit im feingeweblichen Bau stellenweise sogar zu einer Gleichheit gewisser Eiweißkörper bei den heute lebenden Affen und dem Homo sapiens gesteigert ist, haben die Entdeckungen der letzten Jahre über den Rhesusfaktor gezeigt. Die Ähnlichkeit des menschlichen Körpers mit den gewisser Vertreter des derzeitigen Tier-reidies geht also sehr weit, auf jeden Fall weiter als die zwischen verschiedenen Gattungen des Tierreiches.

Worauf beziehen sich nun die von Herrn Professor Koppers angeführten Beispiele? Der Einwand von biologischer Seite. ..ein auf den Menschen hin entwickeltes Wesen hätte ein unmögliches Gebilde (nicht Fleisch , noch Fisch) dargestellt“, leidet wie alle derartigen Versicherungen daran, daß wir uns Dinge kaum vorstellen können, die wir nodi nicht kennen. Zudem gibt es auch unter den heutigen Lebewesen gestaltlich wenigstens ähnliche unmögliche Bildungen, wie das Schjnabeltier, die schwer in irgendeine Klasse von Lebewesen eingereiht werden können. Die Natur ist eben doch viel reicher als unser ordnender Verstand, der immer nur nadihinkend die unendliche Vielfalt der Schöpfung Gottes erfaßt.

Die anderen Beispiele zeigen, daß es neben der Gruppe der derzeit lebenden anthro-pomorphen Affen eine Reihe von Skelettfunden ausgestorbener Wesen gibt. die. nach den geringen Resten zu schließen, in ihrem Knochenbau der Gattung Homo sapiens näherstehen als alle derzeitigen Vertreter des Tierreiches. Und zweitens zeigen sie, daß einige, wenn nicht alle dieser Lebewesen, zur gleichen Zeit wie der Homo sapiens auf der Erde weilten, zum Teil scheinen die erhaltenen Knochenreste von Lebewesen zu stammen, die von Vertretern der Gattung Homo sapiens getötet wurden (Sinanthropus pekinensis). Die letzten Umstände sprechen weder für noch gegen die Abstammung des Körpers der Gattung Homo sapiens von diesen jtertiären Lebewesen, und zwar in demselben Ausmaße, wie das heutige gleichzeitige Vorkommen von Wolf und Hund nichts aussagt über die Abstammung dieser beiden Caniden voneinander. Alle übrigen Bemerkungen über „Missing links“ usw. gelten I in demselben Ausmaße für alle Deszendenztheorien irgendeiner Art des Tier- oder Pflanzenreiches mit Ausnahme von ganz wenigen erhaltenen Beispielen, die eine lückenlosere Verfolgung gestatten.

Aus diesen Tatsachen den Schluß zu ziehen, es sei weder bewiesen noch auch nur eine wahrscheinlich gemachte Tatsach:, daß der Körper des Menschen vom Tierreich abstamme, erübrigt sich von selbst, auch ab-

gesehen davon, daß der Begriff „Abstammung“ nur mit gleidiartigen Kategorien in Verbindung gebracht werden kann, soll es sich nicht nur um ein Spiel von Worten handeln. (Um bei dem früheren Beispiel zu bleiben: das gleichzeitige Vorkommen von Wolf und Hund bewiese weder, nodi mache es wahrscheinlich, daß eine der beiden

Canidenarten aus dem Pflanzenreich abstamme.) *

„D i e Furche“ wird Herrn Professor Wilhelm Koppers, der seit einigen Wochen in der Schweiz weilt, wenn er es wünscht, Gelegenheit zu einer Replik geben.

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