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Umwelt und Forschung: Brotfabrik Meer?

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Eine Reise nach Helgoland und darüber hinaus zu den ungeheuren Möglichkeiten der Ozeane, die in Freundschaft genutzt werden können. Und eine dringende Warnung vor der Raubgier des Menschen.

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Eine Reise nach Helgoland und darüber hinaus zu den ungeheuren Möglichkeiten der Ozeane, die in Freundschaft genutzt werden können. Und eine dringende Warnung vor der Raubgier des Menschen.

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Helgoland. Jedes Haus ein Geschäftsladen. Whisky, Cognac, englische. Zigaretten, holländischer Tabak, schottische Decken, norwegische Pullover Alles zollfrei! Kaufen Sie billig ein!

Bunte Häuser, an den steilen roten Sandsteinfelsen geduckt. Ein schmaler Streifen Land zwischen Fels und Meer. Boote tuckern zwischen Hauptinsel und Badedüne hin und her.

Rauschend wälzt sich das Meer den flachen Strand herauf. Eine Welle nach der anderen, jede ein paar Millimeter höher: Flut. Wenn sich die Welle totgelaufen hat und das Meer einen Augenblick Atem holt, hört man jedesmal ein leises Klappern: Das sind die mitgeschwemmten Steine, die zu tau- senden aneinanderstoßen.

Ebbe. Olivgrüne, dünne Bandnudeln— Seetang. Da und dort ein runder, milchig glänzender, in der Sonne zerfließender kleiner Schleimkreis, mit einem braunen Tupfenmuster rundherum: Das Ende einer Qualle. Gestrandete, zerschlagene Krabben. Seeigel. Und Muscheln, viele, kleine Muscheln Meer — lockende Welt, ewiges Geheimnis

Ewiges Geheimnis? An der Flanke des Helgoländer Felsens, neben dem Inseldorf im „Unterland”, durchbricht ein langgestreckter, zweiteiliger Bau den Helgoländer Baustil, zu dessen Grundmaximen die Forderung zählt: Klein und niedrig! Der langgestreckte Bau beherbergt die Biologische Anstalt. Hier wird — wenn man so sagen darf — das Kunterbunt des Meereslebens auf Flaschen gezogen. In den kühlen Kellerräumen hat der Hummer sein sauberes, gekacheltes Becken, hier werden in Wannen Seeigel und Meeresschnecke und manches Getier, das an der Grenze zum Pflanzenreich siedelt, aufbewahrt, und die Einsiedlerkrebse sind, ganz gegen ihren Namen, zum Zusammenleben auf engstem Raum gezwungen — glücklicherweise gibt es genug leere Schneckenhäuser, in die sie sich zurückziehen können.

Wissen in Kinderschuhen

Unser Wissen vom Leben in den Meerestiefen steckt noch in den Kinderschuhen. Ein beträchtlicher Teil der größeren Meereswesen ist bekannt und beschrieben. Aber die Kenntnis ihres Körperbaues bedeutet noch nicht, dass man auch die Funktionen der einzelnen Organe und die Geheimnisse des Zusammenlebens im Meer genau kennt.

Nun sind die Meereswesen ihrer günstigen Umwelt, gegen die sich ein Großteil des Getiers nicht durch dicke Körperhaut und sonstigen Schutz absondern musste, entsprechend, zum Teil ganz besonders übersichtlich gebaut. Im Gegensatz zur verwickelten Anlage vieler Landwesen ist der Körper des Meeresgetiers ein offenes Buch, in dem es nur zu lesen gilt. Seine Sprache freilich gilt es zu enträtseln. Dafür kommen die Ergebnisse der Meeresbiologie nicht nur dieser Wissenschaft, sondern auch unseren Kenntnissen vom Leben überhaupt, auch außerhalb des Meeres, zugute.

Meeresbiologie ist heute physiologische Grundlagenforschung. Oder sagen wir lieber: Jenes Teilgebiet, das sich mit Körperbau und Körperfunktionen gewisser Meerestiere beschäftigt. Darum lässt man denen, die sich mit diesen Problemen befassen, heute auch lieber etwas zukömmen, als noch vor dem Krieg. Damals war Meeresbiologie nur interessant, soweit sie der Fischerei von Nutzen sein konnte.

Die deutsche Meeresbiologie ist auf der Insel Helgoland zu Hause. 1892 wurde sie begründet, nur zwei Jahre, nachdem Deutschland das Eiland im Austausch gegen Sansibar von den Engländern erworben hatte. Helgoland ist der ideale Platz für die deutsche Meeresforschung: Die deutschen Nordseeküsten fallen häufig auf weite Strecken trocken, daher kommen die Küstengewässer für einen großen Teil der Meeresfauna als Lebensraum nicht in Frage. Außerdem liegt Helgoland bereits außerhalb der Elbemündung, die gewaltigen Süßwassermassen, die der Fluss Stunde für Stunde ins Meer trägt, wirken sich hier nicht mehr aus.

Einst: Eine Forschungsanstalt, die ihren Rahmen, ein einstiges Wohngebäude, längst gesprengt und ihre einzelnen Abteilungen in 13 einzelnen Gebäuden mühsam genug untergebracht hatte. 1937 wurde der große, allen Bedürfnissen entsprechende Neubau fertig — acht Jahre später lag er samt seiner kostbaren Bibliothek und seinen Sammlungen in Trümmern. Erst 1959 konnte eine neue biologische Anstalt auf Helgoland ihrer Bestimmung übergeben werden.

Die eigentliche Fischereiforschung ist längst in Cuxhaven untergebracht. Dafür wurden auf Helgoland einst vernachlässigte Forschungsrichtungen großzügig mit Raum und Gerät bedacht. Eine der interessantesten davon ist die Planktonforschung. Der Außenstehende ahnt kaum etwas von der Fülle der Fragen, die sich auf diesem Gebiet stellen — geschweige denn von der allgemeinen Wichtigkeit der Konsequenzen aus meeresbiologischen Erkenntnissen.

Zu sehen ist nicht viel. Studierstuben. Ein Mann sitzt über seinen Papieren und rechnet So, wie die Tätigkeit manchen Forschers, besteht heute auch die des Planktonforschers zu einem beträchtlichen Teil in statistischer Rechnerei.

Laboratorien, wie hundert andere: Flaschen, Gläser, Röhrchen; Brenner, Dreifüße und Kolben im verglasten Abzug, der schädliche Dämpfe ins Freie schafft; Mikrowaagen und allerhand Gerät, das seine Bestimmung dem Außenstehenden verbirgt.

Die Frage nach den eigentlichen Ergebnissen der Forschung begegnet einem milden Lächeln. Die Ergebnisse der Arbeit sind Zahlenkolonnen, die auch der Fachmann bestenfalls zu Feststellungen destillieren kann, in denen die Worte „wenn” und „aber” und „möglicherweise” die Hauptrolle spielen.

Die Frage nach den eigentlichen Ergebnissen der Forschung begegnet einem milden Lächeln. Die Ergebnisse der Arbeit sind Zahlenkolonnen, die auch der Fachmann bestenfalls zu Feststellungen destillieren kann, in denen die Worte „wenn” und „aber” und „möglicherweise” die Hauptrolle spielen.

Da ist die Frage nach dem Wert der Proben, die dem Ozean laufend an verschiedenen Stellen und aus verschiedenen Tiefen, entnommen werden. Wie weit ist das Meer einheitlich, und wie weit nicht? Vor allem aber: Wie steht es um den Stoffkreislauf im Meer? Unter der Bezeichnung Plankton fasst man bekanntlich alles tierische und pflanzliche Leben von einer bestimmten Größe abwärts zusammen — alles, was sich in den feinmaschigen Planktonnetzen fängt, von Wesen, die man mit den Fingern anfassen kann, bis zu mikroskopischen Tieren und Pflanzen, lebenden und toten Plankton — ein ewiges Entstehen Sterben und in die Meerestiefen Sinken. Plankton entsteht nur dicht unter der Meeresoberfläche. Und entsteht in der flachen See eher noch reichlicher als dort, „wo das Meer am tiefsten ist”.

Nun ist das Plankton aber die Lebensgrundlage für alles, was sich tief unter der Meeresoberfläche herumtreibt, an Bekanntem und an Unbekanntem, denn die großen Fische näh von noch kleineren und diese vom Plankton, soweit es nicht — so wie etwa für den Wal — auch für die großen Tiere direkt die Nahrung abgibt.

Es mag viele Leute geben, denen solche Forschungen müßig erscheinen. Das Meer scheint heute unerschöpflich. Man muss nur nehmen. Man muss nur immer bessere Netze knüpfen; immer größere Fangschiffe bauen, diese mit immer besseren Echoloten und sonstigen Einrichtungen zum Aufspüren der Fischschwärme ausrüsten.

Die Ressourcen des Meeres enden

Seit Jahrtausenden ist das Meer für viele Völker die Hauptnahrungsquelle, für die ganze Menschheit bedeutet es den Lieferanten einer wichtigen Zubuße zum täglichen Brot. Aber es werden der Menschen immer mehr. Eines Tages wird der Erdboden allein sie nicht ernähren können. Dann erst wird der Mensch zum großen Griff nach den Reichtümern des Meeres ansetzen.

Die Meeresforscher wissen schon heute, dass das Meer nicht unerschöpflich und dass Raubbau auch auf den Ozeanen gefährlich ist. Sie wissen: So, wie der Boden, so gibt auch das Meer dem Menschen um so mehr Brot, je mehr er über die Lebenszusammenhänge im Meer weiß.

Sie betreiben, als Wissenschaftler, natürlich Forschung um der Forschung willen. Aber sie wissen auch, dass von ihren Erkenntnissen einst die Rettung der Menschheit vor dem Hunger abhängen kann.

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