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... und wer führt durch?

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Vor Pfingsten fand im Wiener Messepalast der VI. Weltkongreß für Kraftfahrtenedizin statt, der sich dadurch auszeichnete, daß er erstmalig Mediziner, Kraftfahrzeugtechniker und Verwaltungsjuristen zusammenbrachte und der Versuch unternommen wurde, das jetzt so aktuelle Thema der Sicherheit gemeinsam zu bearbeiten. In den Einleitungs-Vorträgen wandten sich die Mediziner gegen Schlagworte wie „Mörder am Volant“. Die meisten Verkehrsteilnehmer seien gut diszipliniert, die Rowdies seien die Ausnahme, aber leider sind wir alle überfordert. Das Schwergewicht bei den wissenschaftlichen Referaten lag eindeutig auf der Tatsache, daß vom heutigen Kraftfahrer tatsächlich zuviel verlangt wird und daß daran auch Behörden, Straßenbauer und selbst die Fahrzeugkonstrukteure schuld sind. Der riesige Schilderwald, in dem wir uns täglich bewegen müssen, ist ein anschauliches Beispiel dafür. Doktor H. Krammer, Wien, und Doktor K. Luff, Frankfurt am Main, warnten eindringlich vor der Überflutung mit neuen Verkehrszeichen. Luff wies darauf hin, daß drei, vier oder gar noch mehr verschiedene Zeichen an ein und derselben Stelle von den meisten Fahrern gar nicht mehr erkannt werden können. Menschliches Versagen trägt die Hauptschuld am erschreckenden Anwachsen der Straßenun-fälle, man schätzt, daß auf der ganzen Welt bis 1970 rund 20 Millionen Verkehrstote seit dem Beginn der Kraftfahrt zu beklagen sein werden. An die 800 Teilnehmer aus fünf Kontinenten und 30 Ländern, davon mehr als 200 Vortragende, waren in Wien versammelt. In drei Sälen des Messepalastes fanden an fünf Tagen Vorträge, Symposien, Kolloquien und Filmvorführungen statt: Von der Fahrerausbildung, der Führerscheinerteilung und dem Einzug über die Alkohol- und Lärmfrage bis zur aktuellen „Sicherheit durch Konstruktion“ wurde alles behandelt.

Ein Tag des Kongresses stand im Zeichen der „Sicherung der Fahrzeuginsassen und technischen Prophylaxe“. Dieser Themenkreis wurde von K. Wilfert aus Sindelflngen eingeleitet, der vom Spannungsdreieck „Mensch-Fahrzeug-Straße“ sprach, die aktive (unfallverhindernde) und die passive (Unfallfolgen mildernde) Sicherheit erläuterte und leider konstatieren mußte, daß sich die Mediziner rum Beispeil in der Formgebung von Auto-Sitzen noch nicht einig sind. Der neueste Sicherheitsfilm der Daimler Benz AG, der Presse am Vorabend des Vortrages vorgeführt, zeigte die beispielgebenden Bemühungen der Sindelfinger um die Verkehrssicherheit Aus dem Streifen ging hervor, daß Daimler-Benz in puncto Sicherheit tatsächlich führend ist. Die Schaubilder, die Wilfert zeigte, waren außerordentlich lehrreich, eindrucksvoll war auch eine Gegenüberstellung der zweckmäßigen und der unzweckmäßigen Bugausführung, welch letztere wir leider immer noch bei zahlreichen amerikanischen Wagen vorfinden. Prof. Eberan-Eberhorst von der TH Wien erklärte, daß sich der Mensch In den letzten 80 Jahren, seit es Autos gibt, nicht, die Technik aber sehr verändert hat. Die Bremswege haben um die Hälfte abgenommen, die Kurvensicherheit wurde um 25 Prozent gebessert, die Lenkmanöver sind bedeutend erleichtert worden, aber ein narrensicheres Auto werde es wohl nie geben.

Der Autokäufer sollte weniger Wert auf Chrom und Verzierungen, aber dafür um so mehr auf Sicherheit legen. Man kann tatsächlich allen, die vor der Anschaffung eines Fahrzeuges stehen, nicht warm genug ans Herz legen, den steifen Fahrgastraum, die verformbaren Front- und Heckpartien, Sicherheitstürschlösser und die extrem kurze (Barenyiische) Lenksäule zu verlangen. Einige Firmen nähern sich bereits in ihren Konstruktionen dem Idealauto: Mercedes, Volvo, Rover und Fiat haben in dieser Beziehung schon viel geleistet, allerdings muß man berücksichtigen, daß Sicherheit eben ihren Preis verlangt. Viel Raum nahmen die Referate über Sicherheitsgurten ein: Neben den Verfechtern dieses Zubehörs gab es auch Gegner, die auf die Nachteile von Gurten hinweisen. Sie wurden jedoch von den meisten Experten bejaht, weil sie verhindern, daß die Wagenin-sassen bei Unfällen herausgeschleudert werden. Man hatte nicht nur bei diesen Sicherheitsdiskussionen den Eindruck, daß viele brennende Probleme noch nicht ausgereift sind, denn es widersprachen einander nicht nur die Meinungen der Experten untereinander, es ist auch eine Tatsache, daß noch zahlreiche Lücken in der Biomechandk (Widerstandsfähigkeit des menschlichen Körpers) vorhanden sind.

Um nur einige Themen aus den allgemeinen Vorträgen, die jeden von uns angehen, hervorzuheben, sei auf die Ausführungen Doktors Herndlhofers, Wien, über Blutabnahme, Alkotest und klinische Untersuchung hingewiesen. Auch der Arzt sei überfordert, und selbst erfahrene Polizeiärzte können kraß irren: Ein Amtsarzt hatte eine „nicht merkbare Alkoholisierung“ festgestellt, die Blutabnahme jedoch ergab 3,1 Promille. Selbst“ bei hoher Alkoholisierung (2,5 Promille) zeigte ein Drittel von untersuchten Personen ein normales Gangbild, auch der Fingertest kann noch fehlerlos (50 Prozent) ausfallen. Die klassischen Symptome der Trunkenheit können auch andere Ursachen haben. Doktor Händel aus Deutschland stellte fest, daß Männer zwischen 18 und 25 Jahren eine Beteiligungsquote an Unfällen aufweisen, die weit über ihrem Anteil an der Gesamtzahl der Verkehrsteilnehmer liegt. Prof. Wagner aus Mainz konstatierte, daß die Zahl der Verkehrsteilnehmer, bei denen eine Arzneimittelabhängigkeit besteht, erschreckend steigt und der Anteil der Frauen dabei doppelt so hoch ist, wie der der Männer, und daß Anregungsmittel, Schlaf- und Schmerzpillen keine harmlosen Medikamente sind. Die Innsbrucker und Linzer Professoren Hittmaier (Auto und Urlaub) beziehungsweise Dr. Pilgerstorfer und Dibold gaben Ratschläge, wie weit man an einem Tage normalerweise fahren darf, ohne sich und andere in Gefahr zu bringen (bei Urlaubsfahrten, selbst auf Autobahnen, nicht mehr als 500 Kilometer) wobei die flritte Fahrstunde und der dritte Reisetag kritisch sind, und was man auf langen Autofahrten essem, oder vielmehr nicht essen sollte: Ein kräftiges Frühstück ist in Ordnung. Aber während der Fahrt, speziell vor Nachtfahrten, sind üppige Mahlzeiten unter allen Umständen zu vermeiden. Außer der Führerschein-erteilung gab es noch andere Punkte in der Schlußerklärung des Kongresses, die „international und einheitlich“ geregelt werden sollen: Diebstahlssicherung und Fahrzeugkontrolle, Mindestanforderung für die Sicherheitskonstruktionen, Versorgung von Unfallverletzten und Schutz gegen Uberforderung der Lenker, Alkoholprobleme. Es erhebt sich nun die Frage, welche Instanz alle d'cse „Empfehlungen“ durchzusetzen imstande ist

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