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Unerwünschte Nebenwirkungen

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Ein Drittel der verschriebenen Arzneien wandert in den Müll", war kürzlich in einer Tageszeitung zu lesen. Ein in der Tiroler Gebietskrankenkasse (GKK) aufgestellter Container brachte nach einem Monat Sammeltätigkeit das sensationelle Ergebnis von 190 Kilogramm Medikamenten, was nach einer Hochrechnung der GKK eine Summe von 300 Millionen Schilling ergibt, die jährlich für Medikamente ausgegeben werden, die im Endeffekt gar nicht gebraucht werden. Pikantes Detail: Ebenso hoch war das vorjährige Defizit der GKK.

„Ein absoluter Schwachsinn", ärgert sich Walter Rettenmoser, Pressereferent der Osterreichischen Apothekerkammer, über diese Milchmädchenrechnung. „Wenn die Leute die Medikamente, die sie jahrelang zu Hause gesammelt haben, hinbringen, so ist das ein einmaliges Sammelresultat, das man nicht einfach hochrechnen kann."

Walter Hengl hingegen, stellvertretender Direktor der Tiroler GKK und Initiator der Sammlung, bleibt dabei: Seiner Meinung nach bestätigt die Sammelaktion nur einen schon länger anhaltenden Trend, Pharmaka, teils unbenutzt, zum Müll zu geben. Der Anteil an rückgegebenen Medikamenten beträgt in Tirol ein Drittel. Im Vergleich zu anderen Bundesländern hat Tirol somit die höchste Rückgabequote. Auf Bundesebene wird nur etwa jedes 20. Medikament entsorgt, wie aus einer Studie des Bun-desumweltamtes von 1993 hervorgeht. Im übrigen handle es sich bei der Innsbrucker Medikamentensammlung um ein Projekt, das noch fortgeführt und genau ausgewertet wird, sagt Hengl.

Allein diese Debatte macht deutlich, daß es an aufschlußreichen Studien über das Phänomen „Medikamentenmüll" mangelt, wie auch Walter Rettenmo- -ser feststellt. „In Osterreich gibt es bislang keine wissenschaftliche Erfassung des Arzneimülls." Erst für nächstes Jahr ist eine größere wissenschaftliche Studie zu diesem Thema geplant.

Trotzdem kann jetzt schon nach den Ursachen für den großen Rücklauf an Medikamenten gefragt werden. „Der Trend geht zum mündigen Patienten, der sich selbst behandelt", führt Otto Pjeta, praktischer Arzt sowie Medikamentenreferent der Osterreichischen Ärztekammer, als eine Hauptursache an. Patienten entscheiden oft alleine, wann sie ein Medikament absetzen oder ob sie es überhaupt einnehmen.

Auch die Beipackzettel mit den angeführten Nebenwirkungen eines Medikaments werden immer häufiger gelesen und wirken abschreckend auf den Verbraucher. Andererseits greifen viele Patien-| ten zu Natur-\ heilmitteln oder zu Selbst-I medikation. Die Selbstmedi-kation, das heißt das eigenverantwortliche Einnehmen von rezeptfreien Medikamenten, ist in Österreich allerdings nur beschränkt möglich, da der Anteil der re zeptpflichtigen Arzneimittel im Ver gleich zu anderen EU-Ländern außer gewöhnlich hoch ist. In den letzten zehn Jahren bewegte er sich zwischen 83,4 und 88 Prozent.

Auf der anderen Seite ist auch die Bereitwilligkeit, mit der viele Ärzte Medikamente verschreiben, zu hinterfragen. Tatsächlich stellen Medikamente „die einfachste Behandlungsform" für einen Arzt dar, wie Pjeta zugibt. Vielen Patienten wäre Aufmerksamkeit und Zeit lieber als ein Pulver oder eine Salbe. Für den Arznei-Müllberg macht auch Rudolf Brenner, Generaldirektor der Wiener Gebietskrankenkasse, die Ärzte ver-; antwortlich. Was die Patienten mit den Medikamenten machen, sei sekundär, meint er, der „Auslöser ist der Verschreiber".

Was können Ärzte wie Patienten; zur Verringerung des Medikamen-ten-Müllbergs beitragen? „Ein erster] Schritt ist, daß die Patienten eine Li-! ste derjenigen Medikamente erstellen, die sie zu Hause haben, um! unnötigen Verschreibungen vorzubeugen", rät Pjeta. Weiters sei es notwendig, daß der Arzt ausreichend über das verschriebene Medikament informiert.

Schließlich appelliert Pjeta an die Konsumenten, den Beipackzetteltext etwas zu relativieren und keine unnötige Angst vor den Medikamenten zu haben.

Die Autorin ist

freie Mitarbeiterin der furche

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