"Unheimlicher Imageschaden eingetreten"

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Stornierte Gastprofessuren und Konferenzen in Österreich bleiben Einzelfälle. Der"klimatische" Schaden für die heimische Wissenschaft ist jedoch schwer abschätzbar.

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Stornierte Gastprofessuren und Konferenzen in Österreich bleiben Einzelfälle. Der"klimatische" Schaden für die heimische Wissenschaft ist jedoch schwer abschätzbar.

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Das Forschungszentrum Seibersdorf bemerkt "Distanz", ein Medizinerkongreß in Innsbruck kann nicht so viele Teilnehmer wie sonst begrüßen, ein HNO-Kongreß in Graz wurde wegen Sponsoren-Schwund abgesagt und Schladminger Kern- und Teilchenphysiker vermissen Kollegen aus Belgien, Großbritannien und Frankreich. Soweit ein Ausschnitt.

Die Reaktionen internationaler Wissenschafter und Universitäten auf den politischen Wandel in Österreich sind zum Teil heftig und nachhaltig, weiß Arthur Mettinger, Vizerektor für Lehre und Internationales der Uni Wien: "Konkrete Absagen oder Stornierungen gibt es noch wenige. Aber wir haben ein gravierendes atmosphärisches Problem und akuten Erklärungsbedarf."

Solche Erklärungen zur Lage der Nation gab es schon viele, wie ein bunter Auszug illustriert: Bereits am 1. Februar, also drei Tage vor der Angelobung der schwarz-blauen Regierung, legten die Österreichische Rektorenkonferenz und die Vorsitzenden der Universitätsgremien eine gemeinsame Erklärung vor. Inhalt des Schreibens: Die Hochschulen stünden für Offenheit, Internationalität und Toleranz. Heimische Politiker werden aufgefordert, einer drohenden Isolierung Österreichs entgegenzuwirken.

Drei Tage später richtete die Vizerektorin für Internationale Beziehungen der Universität Graz, Roberta Maierhofer, ein Schreiben an die rund 450 Universitäten weltweit, mit denen Graz kooperiert. Kernaussage des Papiers: Man wolle den internationalen Austausch und die akademischen Kooperationen fortsetzen und intensivieren. In der Folge verschickten auch andere Universitäten ähnliche Schreiben, um dem Szenario einer Isolierung und damit Provinzialisierung der heimischen Wissenschaft zu entgehen. Eigenständige Resolutionen zur politischen Lage wurden verfaßt, so etwa an den Universitäten Wien und Graz. An der Universität Innsbruck und der Technischen Universität Wien sind solche Papiere in Vorbereitung.

Erklärungsbedarf Besorgte Forscher sahen sich auch fernab der Hochschulen zu Erklärungen gedrängt. So appellierten österreichische Wissenschafter in einem offenen Brief an den Kärntner Landeshauptmann nach dessen neuerlichen Rundumschlägen: "Falls Ihnen an der Republik Österreich und ihren internationalen wissenschaftlichen Beziehungen auch nur das Geringste gelegen ist, fordern wir Sie aus erneut gegebenem Anlaß dringend auf, in Hinkunft derartige Äußerungen endlich zu unterlassen." Österreichische Sozial- und Wirtschaftswissenschafter wandten sich gegen die "Aktivierung von autoritärem und fremdenfeindlichem Gedankengut". Auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften gab in einem offenen Brief an die Bundesregierung eine Grundsatzerklärung zur Freiheit und Internationalität der Wissenschaften ab und zitierte zu diesem Zweck aus der "Fackel" von Karl Kraus: "Wir wollen nicht nebeneinander älter werden, ohne uns über die wichtigsten Mißverständnisse geeinigt zu haben."

Die Reaktionen der Adressaten seien zwiespältig gewesen, erklärt der Präsident der Akademie, Professor Werner Welzig: "Der Finanzminister hat sein Interesse an den Anliegen der Forschung unterstrichen, der erste Präsident des Nationalrates meinte, er verstehe das Anliegen voll, und auch die Außenministerin hat reagiert. Nur vom Bundeskanzler haben wir noch keine Antwort erhalten."

Auch die Österreichische Hochschülerschaft hat die Flucht nach vorn angetreten und Rechtfertigungsschreiben an alle europäischen Studierendenvertretungen geschickt. Die Reaktionen waren ebenfalls gespalten, schildert ÖH-Vorsitzende Martin Faißt: "In Osteuropa pflegt man ,business as usual' mit uns. Aber von Deutschen und Belgiern sind wir sehr offensiv auf das Thema angesprochen worden." Die konkreten Auswirkungen für Studierende hielten sich zum Glück in Grenzen, erklärt Faißt: "Bisher wurde kein Studentenaustausch abgesagt, doch die Studierenden werden sehr wohl im Ausland auf die politische Situation angesprochen. Gefahr sehe ich darin, daß in Zukunft das Interesse erlahmt, nach Österreich zu kommen. Da könnte vor allem bei den Joint-Studies einiges auf uns zukommen."

In die selbe Kerbe schlägt auch Diana Afrashteh vom Büro für internationale Beziehungen an der Uni Graz: "Niemand hat bisher einen Vertrag aufgekündigt. Doch es gab ein paar Anrufe von besorgten Eltern. Konkret hat die Mutter eines amerikanischen Studenten gefragt, ob er in Österreich sicher ist." Den engagierten Aufklärungsversuchen gegenüber der internationalen "scientific community" war nur teilweise Erfolg beschieden: Weiterhin sind die Universitäten mit besorgten Anfragen oder Stornierungsansagen internationaler Forscher konfrontiert. Wahr gemacht würden solche Boykottdrohungen jedoch nur selten, meint Franz Rammerstorfer, Vizerektor für Forschung der TU-Wien: "Es handelt sich bei solchen Absagen zumeist um Vermutungen, die sich dann glücklicherweise nicht erfüllen."

Eine Absage wurde jedoch Realität und zum hitzig debattierten Präzedenzfall in der Öffentlichkeit: Niels Birbaumer, Professor für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Universität Tübingen, lehnte bereits am 7. Februar per Brief eine Gastprofessur an der Universität Graz ab. Begründung des seit 30 Jahren in Deutschland lehrenden Österreichers: "Nach der Beteiligung der Freiheitlichen Partei Österreichs an der Regierung muß ich alle beruflichen Kontakte zu meiner Heimat bis zur Wiederherstellung einer human-aufgeklärten Demokratie aussetzen." Zugleich gab Birbaumer seinen österreichischen Paß zurück und beantragte die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Radikalität dieser Entscheidung stieß bei vielen auf Unverständnis und machte eine Erklärung notwendig. Und so kam Birbaumer unter der Bedingung, ihm seine "Sicherheit und umgehende Rückkehr nach Deutschland oder Italien" zu garantieren, nach Graz und begründete Mitte März im Rahmen einer Podiumsdiskussion seinen Schritt.

Er sei sich dessen bewußt, daß es "keine absolute Sicherheit über die Richtigkeit eines Schrittes" gibt, und seine "Zweifel bestehen weiter". Dennoch bleibe er bei seiner Entscheidung: "Man muß Kurz- und Langzeitstrategien des Widerstands unterscheiden. Kurzfristig schade ich Studierenden und Kollegen, und das macht mir zu schaffen. Doch für mich ist langfristig das andere die bessere Strategie." Ob sein Schritt irreversibel sei? "Ich werde diese Gastprofessur sofort antreten, sofern die FPÖ nicht mehr an der Macht ist, vorher nicht."

Vor allem "Bedauern" drang bei den Kommentatoren am Podium und im Publikum durch. Der Grazer Rektor Lothar Zechlin bedauerte "persönlich die Gefahr einer internationalen Isolierung. Man darf hier nicht schweigen oder sich beleidigt in die Ecke stellen". Der Grazer Bürgermeister Alfred Stingl meinte: "Dieser Schritt soll nicht unkommentiert zur Kenntnis genommen werden. Dieses Land kann es sich nicht leisten, daß Vertreibungen von Wissenschaftern stattfinden."

Altrektor Helmut Konrad konstatierte enttäuscht, Birbaumer sei "in dieser Situation der schwächere Verbündete." Und der Dekan der katholisch-theologischen Fakultät, Gerhard Larcher, beklagte in der Diskussion das "mangelnde Augenmaß zwischen wirklich totalitären und demokratischen Verhältnissen".

Absagen Den Vorschlag eines Universitätsprofessors und FPÖ-Sympathisanten aus dem Publikum, "wir als Mitglieder der ,scientific community' müssen zusammenstehen, egal wo wir politisch stehen", kommentierte Birbaumer später mit relativierenden Worten: "Die Wissenschafter sind nicht gescheiter als alle anderen Leute."

Eine Behauptung, die sich in jüngster Zeit für manche österreichische Wissenschafter im Ausland schmerzlich bestätigt. "Es ist vorgekommen, daß man zu Beginn einer Tagung die österreichischen Vertreter aufgefordert hat, eine Erklärung zur politischen Lage in Österreich abzugeben" berichtet der Vizerektor für Forschung an der TU Wien, Franz Rammerstorfer.

Auch die Germanistin Evelyne Breiteneder von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften kann von solchen "Klima"-Veränderungen für heimische Wissenschafter im Ausland berichten. Erst kürzlich, auf der 36. Jahrestagung des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim über "Neues und Fremdes im deutschen Wortschatz", habe sie ernüchternde Erfahrungen gemacht. "Ich fahre seit neun Jahren dort hin und kenne die Leute persönlich. Aber jetzt wird Österreichern mit Basismißtrauen begegnet, das geht durch alle Schichten. Wir merken das im Hotel, im Zug, beim Portier, überall. Zum Teil machen manche das ganz offen: Die stehen fünf Meter weiter und fragen, warum man den österreichischen Kollegen oder Verlag eingeladen hat."

Basismißtrauen Vor allem das Image Österreichs habe sich seit der schwarz-blauen Regierungsbildung radikal gewandelt, bemerkt Breiteneder: "Das läuft alles sehr irrational ab. Früher galten wir Österreicher als charmant, jetzt haben sich die positiven Zuschreibungen um 180 Grad ins Gegenteil gekehrt. Aber es gibt auch welche, die schulterklopfend kommen und sagen: Kopf hoch, ihr habt auch den Weinskandal überstanden." Beschönigenden Aussagen kann sie aus dieser Erfahrung heraus wenig abgewinnen: "Ich glaube, die Situation ist viel schlimmer, als angenommen wird. Es ist ein unheimlicher Imageschaden eingetreten. Man muß jetzt den Großteil eines Gesprächs damit verbringen, sich zu rechtfertigen. Ich kann allen Österreichern nur raten, über die Grenze zu fahren und die Stimmung selbst wahrzunehmen."

Andere hingegen erfahren diese Atmosphäre weiterhin positiv. So lobt die Vizerektorin für Außenbeziehungen der Universität Salzburg, Brigitte Winkleder, die "zunehmend kritische Betrachtungsweise der Wissenschafter im Ausland." Es sei überhaupt nicht notwendig gewesen, Partneruniversitäten zu beruhigen. Vor allem die positiven Rückmeldungen aus Frankreich hätten sie gefreut, erzählt Winkleder: "Von dort kamen recht witzige E-Mails."

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