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Universität am Scheideweg

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Die sozialen, politischen, wissenschaftlichen und technischen Umwälzungen im vorigen wie in unserem Jahrhundert haben den Gesellschaftsund Kulturzustand von Grund auf verändert. Diese Verwandlung der menschlichen Welt verleiht auch der Gegenwartssituation der Universitäten ihren besonderen Charakter. Wie die Menschen, so müssen auch die hohen Schulen die Last der fortwirkenden Vergangenheit aushalten, wenn auch diese nur noch partiell als sinnvoll empfunden wird. Gerade daraus erwächst jenes Unbehagen, das notwendig eine gründliche Auseinandersetzung mit der hergebrachten Universitätsidee fordert. Dies ist aber keine Sache bloßer Impressionen: Vielmehr bedarf es dazu des wissenschaftlich begründeten Urteils, das den Weg zur Frage öffnet, wie die ideellen, wissenschaftstheoretischen, wissenschaftspraktischen, bildungstheoretischen und institutionellen Voraussetzungen der Universität unter dem Druck der stark praktisch gesellschaftlich und dynamisch akzentuierten Denkweise unseres Zeitalters neu konzipiert und gerechtfertigt werden können. Diese an den Lebensnerv der Universität greifende Problematik behandeln aus weltweiter Sicht die umfassenden und tiefdringenden Darstellungen des Werkes „Universität und moderne Welt. Ein internationales Symposion“, herausgegeben von Univ.-Prof. Dr. Richard Schwarz in der Buchreihe des Instituts für Pädagogik der Universität Wien „Bildung — Kultur — Existenz“ (Berlin, de Gruyter 1962).

Modernes Leben und Universitätsidee

In diesem Symposion ergreifen 29 Gelehrte von internationaler Geltung das Wort und behandeln aus ihrer Sicht die Problematik der Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen. Schon ihre Namen verbürgen den hohen Rang der Beiträge,' die außer den europäischen Ländern ebenso die Situation in Asien, Afrika, erika und Japan berücksichtigen, | aber auch die spezielle Thematik der j Katholischen Universität! und der Europauniversität abhandeln.

Die gefährdete Stelle der Hochschulen liegt für viele Autoren in dem paradoxen Verhältnis, das zwischen den zusammengeballten modernen Lebensmächten und der historisch verfestigten Universitätsidee besteht. Dies fordert notwendig eine kategorische Bestimmung der Strukturmerkmale, welche die Tektonik der Universität ausmachen. Eine Möglichkeit dazu erscheint gewiß in der Frage nach dem Llrsprung und der Breitenentfaltung der Universität im Ablauf der Geschichte. Durch sie erfährt die Idee, die sich immer dem Dienst an der Wahrheit verpflichtet wußte, ihre hinlängliche Legitimierung als universitäres Prinzip. Am Wahrheitsgedanken, der nach Karl Jaspers „in seiner Unbedingtheit jederzeit transzendent gegründet ist“, wird sich auch das Lebensgefüge der modernen Universität orientieren müssen, will sie eine Stätte der „Aristokratie des Geistes“ sein. Von Sorge und tiefem Verantwortungsbewußtsein erfüllt, schreibt dazu Richard Schwarz: „Hier an der Universität poli noch ein Hauch jener wesenhaft akademischen Lebensform lebendig bleiben, wonach das Leitmotiv der geistigen Welt, das kritisch begründete Vermögen zur .Stellungnahme als Sinnverstehen, als Werterleben, als Sichentscheiden zum prinzipiellen akademischen Bildungsziel schlechthin wird. Eine solche Lebensform also, wonach ein initiatives Problembewußtsein und ein spontanes Wahrheitsstreben bei allen nur noch kursmäßigen Massenausbildungen dennoch erhalten bleiben sollen …“ Geradezu erschütternd mutet unter diesem Blickwinkel die in maßloser Kritik auf dem 7. Deutschen Studententag zu Bochum (April 1963) vorgetragene Forderung an, die Idee der Wahrheit habe für die Universität kein Orientierungspunkt mehr zu sein. Wissenschaft erhalte ihre Legitimität einzig und allein durch ihre praktische Nutzanwendung in der Gesellschaft. Die Universität selbst wirc als „Trainingsinstitut“ für wissenschaftlich ausgebildete Praktiker verstanden.

Solche Stimmen in ihrer zeitbedingten Übertreibung zeigen das Span- nungsverhältnts zwischen wissenschaftlicher Forschung und Berufsausbildung, zwischen Menschenbildung und Spezialistentum in seiner ganzen Schärfe. Danach hängt alles davon ab, ob sich heute im Universitätsraum noch ein Bezugspol auffinden läßt, an dem wissenschaftliche Forschung, Berufsausbildung und Menschenbildung in echter Weise koinzidieren und in innere Verbindung treten können. Dieses Problem läßt sich aber nicht durch Ignorieren bewältigen, sondern, wenn überhaupt, nur durch das Bemühen, Wissenschaft und Bildung aus ihrer Entfremdung zu befreien und wieder einem kritisch gestalteten Bewußtsein einzuverleiben. Trotz der Proteste, welche von seiten des Leistungswissens und des modernen Spezialistentums dagegen erhoben werden, geht die Einstellung im weltweiten Ringen um die Neuformung der Universitäts- und Hochschulidee dahin, innerhalb der Wissenschafts- und berufsvorbereitenden Sphäre auch die menschenbildende Intention wieder zur Geltung zu bringen. In überraschender Weise stimmen namhafte Wissenschaftler, wie Alois D e m p f, Eduard Spränge r, Richard Schwarz, Wilhelm F I i t - n e r, Walter Heinrich, Adolf Portmann, Gustav Menschin g, Wilhelm Sjöstrand (Uppsala), Philippe M a 1 r i e u (Toulouse), Norbert M. L u y t e n (Fribourg), Juan Mantovani (Buenos Aires), darin überein, daß die berufsbildenden Aufgaben der Universitäten ihre eigentlichen wissenschaftlichen und menschenbildenden Aufgaben nicht verschütten dürfen. Selbst die praktischen Schwierigkeiten, die einer solchen Integration entgegenstehen, können an dieser Überzeugung nichts ändern.

Suche nach dem Grundsätzlichen

Der künftige Lehrer, Arzt und

Jurist soll gerade in seinem Spezial-! Studium als berufsvorbereitendem Studium das Ethos des Akademischen erfahren. Erst die Radikalität des Fragens und Suchens, die Suche nach dem Grundsätzlichen, die aber notwendig über den „Bereich des fachwissenschaftlich Bestimmbaren hinausgreift', schafft die Voraussetzungen für die Bildung solcher Menschen, die einmal als geistige Elite führend in Wissenschaft und Öffentlichkeit wirken sollen. In dieser Perspektive erscheint für den Studienraum nicht die perfektio- nistische Bewältigung der Stoffülle, sondern die Bemühung um die Erfassung des Geistes einer Disziplin als Zweck. So gesehen werden Wahrheit, Wissen, Wissenschaft, Beruf und Bildung auf der Universität nicht nur in sich verschlossene Ziele bleiben, sondem zueinander wieder in jenen leben- , digen Bezug kommen, der seit je für , die Forschergemeinschaft wesenhaft war. Weil aber dieser Bezug durch die ] Vorherrschaft des positivistischen Forschungsgedankens heute weithin verloren ging, ist in den europäischen wie ' außereuropäischen Ländern der Ge- danke seiner Wiedererweckung eine ' Fundamentalfrage geworden.

Einheit von Forschung und Lehre

Dahinter verbirgt sich auch das vielbesprochene Problem der Einheit von Forschung und Lehre. Man ist auf , weltweiter Ebene der Überzeugung, daß das Universitäts- und Hochschulstudium nur dann akademisch sein kann, wenn der Prozeß des Lernens immer auch das Selbstschaffen und Selbstfinden mit einschließt. Nichts liegt in der Wissenschaft fertig da, alles will in kritischer Haltung erarbeitet, durchdacht, angeeignet und eingesehen werden. Dies fordert aber notwendig die vom Wissenschafts- und Bildungsgedanken W. v. Humboldts bestimmte Einheit von Forschung und Lehre, die sich für die Universität überaus segensreich erwiesen hat. Daher verlangen fast alle Autoren der internationalen Universitätswelt für die obligatoriscne Verknüpfung von Forschung und Lehre überzeitliche und übernationale Gültigkeit.

Internationaler Forschungsraum

Die wissenschaftliche Forschung steht heute im Zeichen der fortschreitenden Spezialisierung und Differenzierung. Wo aber so viele Fachdisziplinen — eine jede für sich — unzählige Wissenschaftsresultate an das Licht bringen, die oft völlig unübersichtlich geworden, fast zusammenhanglos nebeneinanderstehen, wird es verständlich, wenn der Ruf nach Einheit der Wissenschaft im internationalen Forschungsraum immer stärker anschwillt, zugleich aber auch praktische Maßnahmen ergriffen werden, um diesem Notstand abzuhelfen. So werden etwa an schwedischen Universitäten über die Fakultäts- und Fachgrenzen hinaus jeweils mehrere Studenten an einer wissenschaftlichen Untersuchung beteiligt, wobei aber jeder der Beteiligten seine Dissertation von seinem Spezialfach her wissenschaftlich zu rechtfertigen hat.

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