"Unser Planet leidet an Fieber"

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Großformatige Aufnahmen von Landschaften, meist aus der Vogelperspektive, sind das Markenzeichen von Edward Burtynsky. Es sind freilich keine natürlichen, sondern tiefgreifend veränderte Landschaften: Der kanadische Fotokünstler zeigt damit gern auf jene Wunden im System Erde, an denen der Mensch seine Spuren hinterlassen hat - mit schmerzlichen Folgen für das Ökosystem. Bei der Debatte rund um ein neues Erdzeitalter (Anthropozän) stieß der Künstler auf eine wissenschaftliche Theorie, die er selbst seit mehr als 30 Jahren in seinen Arbeiten zur Anschauung bringt, indem er den globalen menschlichen Einfluss auf die Natur in einer bereits gigantischen Dimension dokumentiert.

Gemeinsam mit den Filmemachern Jennifer Baichwal und Nicholas de Pencier hat Burtynsky letzten Herbst das Anthropozän-Projekt in Kanada präsentiert: eine Art Gesamtkunstwerk, unter anderem bestehend aus Foto-Ausstellungen, Film-Installationen und Darstellungen in virtueller Realität. Das Projekt will einen kritischen Moment in der Erdgeschichte dokumentieren. Ab 15. Mai wird die Anthropozän-Ausstellung erstmals in Europa, in der MAST Foundation in Bologna zu sehen sein. Das vorliegende Interview mit Burtynsky wurde schriftlich und in englischer Sprache geführt.

DIE FURCHE: Herr Burtynsky, was war für Sie die Inspiration, ein solch monumentales Projekt wie das zum Anthropozän in Angriff zu nehmen?

Edward Burtynsky: Seit mehr als zehn Jahren bin ich mit dem Begriff des Anthropozäns vertraut. Als wir den Film "Watermark" finalisierten, meinte meine Kollegin Jennifer Baichwal, dass "Anthropozän" der Titel unseres nächsten Projekts werden sollte. Ich zweifelte, ob ein Projekt mit einem solchen Begriff überhaupt funktionieren würde. Würde jeder gleich wissen, was das überhaupt bedeutet? Jennifer schlug vor, dass wir den Begriff aufgreifen sollten, um ihn gewissermaßen zu "evangelisieren" - also fest im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Das schien mir dann tatsächlich eine gute Mission zu sein.

DIE FURCHE: Es scheint, als ob das Anthropozän-Projekt ganz natürlich aus Ihren früheren künstlerischen Arbeiten herausgewachsen ist ...

Burtynsky: Jeder Aspekt des Projekts - der Film, die Ausstellungen, das Buch, auch das edukative Programm, das wir bald vorstellen werden -ist eine organische Entwicklung aus dem Themenfeld heraus, auf dem ich meine ganze Karriere aufgebaut habe. Jennifer Baichwal, Nicholas de Pencier und ich wählten das Anthropozän unabhängig davon, ob der Begriff nun im Rahmen der geologischen Zeitskala offiziell anerkannt wird oder nicht (siehe auch Seite 6) - und zwar deshalb, weil die Vorstellung der den Planeten dominierenden Spezies Mensch als Kulmination unserer bisherigen Kooperation bei den Filmen "Manufactured Landscapes" und "Watermark" erschien. Natürlich sahen wir die Herausforderung, das sperrige Thema "Anthropozän" zu transportieren, aber wir wollten den "harten Fakten" unserer kollektiven menschlichen Verstrickung ins Auge schauen, und wir wollten die Zuseher inspirieren, hierzu die wirklich "harten Fragen" zu stellen.

DIE FURCHE: Ist das Anthropozän-Projekt auch biographisch inspiriert?

Burtynsky: Nicht unbedingt, es sei denn, man bezieht sich auf den Begriff "Anthropozän" selbst -dessen Wortwurzel ist ja das griechische "anthropo", also "Mensch". In gewisser Weise ist dann die Epoche des Anthropozäns und somit alles, was in unserem Kunstprojekt visualisiert wird, für jeden Zeitzeugen, für jede Zeitzeugin biographisch prägend. Zur Eröffnung der Ausstellung in der "Art Gallery of Ontario" gab es daher den treffenden Slogan "Komm und sieh die Kunst, die du mitgeholfen hast zu erschaffen!"(engl.: Come see the art you helped create). Ob im großen oder im kleinen Maßstab, wir sind doch alle irgendwie am Anthropozän beteiligt!

DIE FURCHE: Wie sehen Sie Ihr Selbstverständnis als Künstler -irgendwo zwischen Reportage, Dokumentarfotographie, künstlerischer Forschung und gesellschaftlichem Engagement?

Burtynsky: Der Begriff des "engagierten Künstlers" passt schon ganz gut, wiewohl ich für den Großteil meiner Laufbahn stets einen nicht-didaktischen Ansatz verfolgt habe. Den Zusehern und Zuseherinnen habe ich niemals vorgeschrieben, was sie zu sehen oder fühlen hätten. Nie habe ich mit dem Finger auf jemanden gezeigt und Anschuldigungen gemacht. Als Künstler, der sich an der Front von besonders in Mitleidenschaft gezogenen Landschaften bewegt, kann ich freilich nicht ignorieren, was gerade passiert. Ich kann nicht untätig daneben stehen. Hinzu kommt meine tiefe Affinität zur unberührten Natur. In den letzten Jahren ist die ökologische Krise unseres Planeten immer dringlicher geworden, also ist mein eigener Zugang zu Umweltthemen ebenfalls dringlicher geworden.

DIE FURCHE: Was wollen Sie mit Ihrer künstlerischen Arbeit zum Anthropozän bewirken?

Burtynsky: Den Begriff im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, war, wie gesagt, das ursprüngliche Ziel. Wenn ich heute vor Publikum spreche, merke ich, dass immer mehr Menschen mit diesem Begriff etwas anfangen können. Die Kunstwerke und der Film bringen viel visuelle Aufmerksamkeit für die verschiedensten Themen des Anthropozäns, von der Verstädterung und Versiegelung bis hin zur Plastikflut. Die Menschen beginnen, die einzelnen Punkte zu verbinden und verstehen zunehmend das Ausmaß unseres kollektiven menschlichen Einflusses auf die Erde. Wenn man einmal versteht, wie man die Welt um sich herum verändert, kann man damit anfangen, positive Anpassungen vorzunehmen.

DIE FURCHE: Sie sind für das Anthropozän-Projekt rund um die Welt gereist: Wie hat sich das in Ihrer Arbeit und in Ihren Ansichten niedergeschlagen?

Burtynsky: Mir wurde klar, wie die Geschwindigkeit und das Ausmaß des Ressourcenverbrauchs in schwindelerregendem Ausmaß zugenommen haben. Somit wird es immer dringlicher, diese menschlichen Effekte zu verstehen und zumindest die schlimmsten unserer Aktivitäten und Verhaltensweisen abzuschwächen.

DIE FURCHE: Welche Orte waren da am eindrucksvollsten für Sie?

Burtynsky: Ich fand etwa die Kaligruben in Russland extrem anregend, weil das Fotographieren dort unglaublich herausfordernd war, mehr als 300 Meter unter der Erde. Bei der Verbrennung von Elfenbein in Kenia dabei zu sein, war emotional ebenfalls sehr fordernd - aber auch inspirierend für die Botschaft, die die Menschen vor Ort vermitteln wollten: ein Aufschrei gegen den Elfenbeinhandel und gegen die drohende Auslöschung der afrikanischen Elefanten.

DIE FURCHE: Haben Sie eigentlich eine Vorstellung davon, wie das Leben auf der Erde in hundert Jahren aussehen könnte?

Burtynsky: Menschen, die bewusst Resilienz gegenüber externen Herausforderungen ausgebildet haben, werden zweifellos eine bessere Ausgangsposition haben. Für jene, die das nicht getan haben, wird das Leben schwieriger sein. Die kollektiven Veränderungen, die wir in den nächsten zehn bis 20 Jahren durchlaufen, sind wohl der entscheidende Faktor, wie schwierig das Leben dann sein wird.

DIE FURCHE: Wenn Sie ein Arzt wären, was würden Sie der Menschheit angesichts von Klimawandel und ökologischer Krise verschreiben?

Burtynsky: Die Erde hat Fieber und muss wieder abkühlen. Wir sind ihre Betreuer. Wenn wir uns puncto "Lebensstil" gar nicht verändern, dann wird unsere Prognose nicht gerade günstig sein.

DIE FURCHE: Sind Wissenschaft und Technologie hier die geeignete Therapie?

Burtynsky: Das ist etwas komplizierter: Wissenschaft und Technologie haben uns in diese missliche Lage gebracht, und wir brauchen ihre Mittel, um wieder herauszukommen. Wir können nicht einfach zu einem ländlichen Leben zurückkehren; wir sind eine urbane Spezies geworden.

DIE FURCHE: Ihre Fotographien im Anthropozän-Projekt zeigen schillernde und formschöne Bilder von Minen, Abholzungen, Steinbrüchen oder Industrieanlagen. Damit soll "eine provokative und unvergessliche Erfahrung" bei den Zusehern hervorgerufen werden, wie es in der Projektbeschreibung heißt. Aber ist es nicht gefährlich, menschengemachte Zerstörung zu ästhetisieren - und in ein Kunstwerk zu transformieren? Burtynsky: Das ist eine Kritik, die mir als Künstler von Anfang an vorgehalten wurde. Meine Antwort ist immer dieselbe: Es gibt einen guten Grund dafür, dass so viele Menschen die Nachrichten ausschalten oder wegschauen, wenn Tragödien passieren: Das ist einfach hässlich, schrecklich und beängstigend. Die Landschaften in meinen Fotographien können zwar ebenfalls schreckliche Dinge zum Vorschein bringen, aber sie ziehen die Menschen in ihren Bann, weil sie einen ästhetischen Appeal verströmen. Es gibt diesen Moment der Ehrfurcht und Entdeckung, wenn man etwas ursprünglich Schönem begegnet. Wenn man ein bisschen Zeit damit verbringt, wird einem klar, worum es eigentlich geht. Aber selbst wenn die Zuseher das realisieren, wenden sie sich nur selten wieder ab. Die Landschaften in meinen Fotographien zeigen ja keine Desaster, sondern "Business-as-usual". Die Zuseher beschäftigen sich weiterhin damit -trotz der oft unbequemen Wahrheiten, die dahinter stehen.

DIE FURCHE: Mit Ihrem Kunstwerk möchten Sie aufdeckerisch sein, nicht aber anklagend -warum eigentlich nicht?

Burtynsky: Anklagend zu sein, würde uns alle nur zu Heuchlern machen. Jeder ist doch auf die eine oder andere Art in die Probleme des Anthropozäns verstrickt. Es geht nicht darum, Menschen zu beleidigen oder kränken, indem man etwas bekrittelt, was zu ihrem normalen Alltag gehört. Vielmehr möchten wir Aktionen inspirieren, die zu positiven Lösungen führen.

DIE FURCHE: Ihr Dokumentarfilm "Anthropocene: The Human Epoch" ist an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft angesiedelt. Wie erleben Sie dieses Spannungsfeld?

Burtynsky: Die Wissenschaft spielt bei allen Aspekten des Anthropozän-Projekts eine gewichtige Rolle. Bevor wir überhaupt loslegten, verbrachten wir ein Jahr damit, die wissenschaftlichen Fakten zu den diversen Facetten des Anthropozäns festzuhalten. Um das Kunstprojekt wahrheitsgetreu zu gestalten, haben wir auch häufig die internationale Expertengruppe der "Anthropocene Working Group" konsultiert.

DIE FURCHE: Beim Anthropozän-Projekt haben Sie verschiedenste Kunstformen wie Fotographie, Film und virtuelle Realität (VR) kombiniert. Welche Erfahrungen konnten Sie mit innovativen Technologien wie "Augmented Reality" und "3D-Modelling" sammeln?

Burtynsky: "Anthropocene" ist das bislang größte Projekt, das ich je in Angriff genommen habe, sowohl konzeptuell als auch puncto Umsetzung. Die multidisziplinäre Natur des Ganzen war notwendig, um das Publikum voll einbinden zu können. Beim Anthropozän-Projekt gibt es viel Information zu verarbeiten, und jede Facette, jedes Medium wirkt, um das ganze Bild vor Augen zu führen. Fotographie und Film sind dabei eher traditionelle Zugänge, aber mit virtueller Realität und "Augmented Reality" werden die Dinge neu greifbar. Sie machen ein neues Set von Erfahrungen und Emotionen zugänglich - ich denke da zum Beispiel an die 3D-Darstellung des letzten männlichen weißen Nashorns namens Sudan, das letztes Jahr gestorben ist. Die nördliche weiße Subspezies der Nashörner ist im Ökosystem funktionell ausgestorben; weltweit gibt es nur noch zwei Exemplare. Wir waren in der Lage, dieses Tier in einem gleichsam "ewigen Moment" festzuhalten. Und die Zuseher können diesen Moment nun tatsächlich mit ihm verbringen.

DIE FURCHE: Manche Bilder zeigen im Kontrast zu den anderen Aufnahmen im Anthropozän-Projekt auch völlig unberührte Natur: Was bedeutet Wildnis für Sie und was wollten Sie damit bezwecken?

Burtynsky: Diese Bilder stehen für Hoffnung -man sieht, dass die Biodiversität noch immer unter uns wächst und gedeiht. Plätze zu finden, wo man aus einem Bach noch trinken kann, werden aber zunehmend seltener. Die Fotographien sollen zeigen, was es zu beschützen lohnt.

DIE FURCHE: Glauben Sie, dass die heutigen Konsumgesellschaften durch gesetzliche Verbote stärker reguliert werden sollten -zum Beispiel, wie mancherorts bereits angedacht, durch verordnete Reduktion von Flügen, Tempolimits, Fahrverbote et cetera?

Burtynsky: Gesetzliche Regulierungen können uns beim Erreichen der Klima-und Umweltziele einen guten Dienst erweisen. Aber unsere Regierungen müssen Anreize schaffen für Verhaltensweisen, die eine positive Wirkung haben, und abschreckende Maßnahmen etablieren für Verhalten, das grundsätzlich schlecht für unseren Planeten ist.

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