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USA und Sowjets distanzieren die Welt

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„Gradmesser für menschlichen Mut und Unternehmungsgeist“ nannte John Kennedy einst das Weltraum-abenteuer, das die Menschheit bestehen würde: fünf Jahre nach seinem Tod ist der neue amerikanische Traum in Erfüllung gegangen. Drei Amerikaner haben an die Haustür des Nachbarplaneten geklopft — und das Prestige der reichsten Nation der Welt wieder zum Glänzen gebracht. Sie haben dem scheidenden Lyndon Johnson eine letzte Freude beschert

— und Richard Nixon ein freundliches Taufgeschenk bereitet. Sie haben von der offensichtlichen militärischen Niederlage in Vietnam ebenso abgelenkt wie von der Zerrissenheit im eigenen Land. Und obwohl im Astronauitenteam der NASA kein einziger Farbiger steht, bekennen sich wiederum tausende Neger in den Slums von Chikago und New Yoik zum Sternenbanner.

Amerika stellt ungeschmälert tm Banne des Großerfoiltges. Die Offenheit bei Vorbereitung, Flug und Landung macht Ich bezahlt. Die NASA, die um ihr hohes Budget bangte, kann aufatmen. Mehrere Senatoren haben bereits zugesagt sich für mehr Mittel zur Beschleunigung der laufenden Projekte einzusetzen

— obwohl man eigentlich noch gar nicht weiß, weis geschehen soll, wenn die ersten Menschen am Mond landen, was möglicherweise schon im Sommer 1969 erfolgen könnte. Denn derzeit stehen 400.000 Amerikaner im Dienste der Raumfahrt — als Techniker, Ärzte, Arbeiter in den Fabriken oder als Laboranten in den Versuchszenitren —, doch 100.090, die 1966 noch mit dabei waren, sind schon entlassen worden. Die NASA hat für die siebziger Jahre keine konkreten Ziele — weil man sich aus politischen Gründen so sehr auf den Mond konizentriert hat. daß man den übrigen Weltraum außer acht ließ und die möglichen itechnischen und wirtschaftlichen Konsequenzen der Mondausbeutung noch nicht abschätzen kann.

Und so stellte der Leiter des britischen Observatoriums von Jodreil Banks, Sir Lovell, auch fest, daß die Amerikaner zwar vor den Sowjets am Mond landen dürften, daß aber die Sowjets auf lange Sicht bei der-Erforschung des Sonnensystems d*n Sieg davontragen würden.

Denn in der Sowjetunion ist das Verständnis für die Anliegen dsr kosmischen Erforschung erheblich größer als in den USA Die Russen sehen nicht primär die wirtschaftlichen Aspekte, sondern arbeiten auf mehreren wissenschaftlichen Ebenc-n. Sie haben unter Ausnutzung eines erheblich höheren Prozentsatzes ihres Nationalprodukts eine systematische Jahrzehnte-Planung der Weltraumfahrt aufgestellt, nach der 6ie stufenweise vorgehen — und die laufend .beweist, daß der Standard der Sowjets dem der Amerikaner ebenbürtig ist. Sie haben ebensogute und zuverlässige Computer, ihre Metallurgie ist auf ebenso hohem Standard wie die der USA, sie haben zum Teil verblüffend einfache — und zuverlässigere — Techniken und wahrscheinlich noch bessere und leistungsfähigere Antriebsbrcnnstoffe. Die voraussichtliche Mondrakete der Sowjets hat eine um 30 Prozent größere Schubkraft als die von „Apollo 8“.

Dazu kommt, daß die Sowjets militärpolitische Erwägungen in ihre Weltraumüberlegungen stets stärker involvierten, als dies die Amerikaner taten. Niemand — auch nicht der US-Verteidigungsminister — weiß, ob die Sowjets nicht bereits Weltraumbomben als Satelliten kreisen haben, die auf jeden beliebigen Punkt der Erde abgelassen werden können. Denn die Funktion der derzeit kreisenden 3500 Flugkörper ist nicht kontrollierbar.

Zwar haben die Vereinten Nationen Ansätze eines künftigen Welt-raumreehtg erlassen. Der derzeitige österreichische Außenminister Waldheim hat als Vorsitzender des UNO-Weltraumausschusses seinerzeit den Erfolg einheimsen können, daß USA und Sowjetunion einem Abkommen beitraten, das den Weltraum und fremde Himmelskörper als nicht an-eignungsfähig erklärte. Überdies erklärten sowohl USA wie Sowjetunion, den Weltraum nicht militärisch nutzen zu wollen. Trotzdem bleiben die Möglichkeiten, die der Kosmos für die Militärtechniker bietet, noch immer äußerst vielfältig — und so lange bleibt die Unsicherheit weiter bestehen: Wer den Mond hat, hat auch die Erde.

Man wird also voraussichtlich noch weiterhin über Wert und Unwert des Mondabenteuers sprechen — und über die teuerste Parallelenltwick-lung, die sich die Menschheit angesichts der Millionen Hungernden und angesichts zahlloser ungelöster technischer Probleme auf der Erde leistete.

Immerhin darf jedoch gesagt werden, daß das wissenschaftliche „Fallout“ ergiebig sein dürfte. Schon heute verfügen USA und UdSSR über hunderte Patente, die in immer stärkerem Maße wirtschaftlich genutzt werden — und die das Primat der Patentbesitzer für alle Zeit zementieren dürften. Denn die Zukunft — das hat Servan-Schreiber den Europäern klargelegt.— wird der besitzen, der über die besseren w-s-senschaftlichen und technologischen Möglichkeiten verfügt — und über genügend qualifizierte Kräfte, die an Hand des gesammelten Wissens noch mehr Wissen produzieren können und es in wirtschaftliche Macht und militärische Potenz umzuwandeln verstehen.

So hat der Mondflug neuerlich klargemacht: USA und Sowjetunion verständigen sich nicht nur über den „heißen Draht“ miteinander — sie haben auch gleichartige Probleme, einen gleichartigen Standard und ähnliche Zukunftschancen: zur weiteren Teilung der Welt und zur weiteren Bindung ihrer Abnehmer, Zahler und müitärischen Zeloten.

Ist es ein Symbol? Fast zur gleichen Zelt, als sich die Apollo-Rakete von Kap Kennedy abhob, stritten sich die europäischen For-sehungsminister wiederum über die Zukunft von EURATOM.

Und von einem australischen Versuchsgelände ist kurz vorher der Kleinversuch gescheitert, einen Europa-Satelliten in den Weltraum zu schießen.

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