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Va banque!

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Der moderne Atomforscher ist ein ganz neuer Forschertyp, den man nicht mit den bisherigen Maßstäben messen kann. Bis zum zweiten Weltkrieg hat der-Forscher in der Entwicklung der Menschheit und der Wissenschaft eine ganz bestimmte Rolle gespielt, die durch eine völlige Abgeschlossenheit und Abgeschiedenheit von der Oeffentlichkeit, keinerlei Publizität, bescheidene Forschungsmittel und, bis auf geringe Ausnahmen, eine individuelle Tätigkeit gekennzeichnet ist. Oft mit der bittersten Not kämpfend, mit unzureichenden Laboratorien und nur dürftigen Mitteln ausgestattet, gegen Zweifel und Widerstände -aller Aft ankämpfend, in jahrzehntelanger intensiver Forschung und nur mit dem Ziel und Gedanken ihrer Aufgabe beseelt, wiesen diese Forscher von einst Demut, Einfachheit sowie einen tiefen Glauben an die moralischen Grundlagen und Ziele ihrer Forschungstätigkeit auf. Nur so konnten Erfindungen gemacht werden, die für immer in der Geschichte der Menschheit durch die Namen (um nur einige wenige hervorzuheben) Galileo Galilei, Friedlieb Ferdinand Runge, Paul Ehrlich, Robert Koch, Louis Pasteur und viele andere gekennzeichnet sind.

Seit der ersten Uranspaltung und seit den ersten Atombombenexplosionen hat sich jedoch das Gesicht des Forschers grundlegend geändert. Nicht mehr eine stille, einsame Arbeit in bescheidenen Laboratorien, sondern auf das modernste eingerichtete und mit allem denkbaren Luxus ausgestattete Forschungszentren, ja ganze Forschungsstädte, keinerlei materielle Sorgen, verlockende Angebote materieller Art, überaus große Spezialisierung in Forschungsgemeinschaften, Schlagzeilen der Zeitungen füllende Publizistik, eine Fülle von Kongressen und Konferenzen und eine unter dem Einfluß des „american way of living” oft ans Geschmacklose grenzende Fernseh-Publicity, die Forscher und Wissenschaftler zu Stars degradiert — all dies kennzeichnet die moderne Forschung und Wissenschaft im Atomzeitalter. Nicht mehr individuelle Einzelarbeit, die allerdings auch eine .Universalbildung und umfassende Kenntnisse auf allen Gebieten der Geistesund Naturwissenschaften voraussetzen würde, sondern spezialisiertes „Teamwork”, nii ht mehr Demut, sondern Stolz, nicht mehr Glaube an eine Sendung zum Wohle der Menschheit, sondern kalte Berechnung zeugen von einer engen Verbindung der modernen Atomforschung mit dem Materialismus, in der das Geistige vom Elektronengehirn verdrängt wird und die geistigen Grundlagen im Analogrechner untergehen.

Dabei ist es erstaunlich, wie wenig im Grunde trotz der enormen Investitionen an Kapital und des Einsatzes tausender Wissenschaftler in den Atomforschungszentren an echten Leistungen und Fortschritten erzielt wird. Es ist tatsächlich so, daß das Forschungskollektiv, eine Entwicklung der neuzeitlichen Atomforschung, und die überaus große Spezialisierung der einzelnen Wissenschaftler einen negativen Einfluß auf die geistige Grundlage der Atomforschung ausüben, ja sie richtig sterilisieren. Der moderne Atomforscher scheint vergessen zu haben, daß der göttliche Funke und die Gnade einer wahrhaft großen Entdeckung nicht durch Mammutforschungsstätten allein erzwungen werden können — ohne die geistigen Grundlagen einer tiefen Demut, Gläubigkeit und moralischen Verantwortung.

Bei internationalen Konferenzen und Zusammenkünften, zuletzt bei der 2. Internationalen Atomkonferenz in Genf im September 1958, hatte man Gelegenheit, diesen neuen Forschertyp zu studieren. Es ist auffallend, wie (bis auf geringe Ausnahmen) die Profile der Teilnehmer solcher Zusammenkünfte einander gleichen! Es gibt zwei Kategorien: däs Gesicht des Spielers und das Gesicht des Bankiers. Der Charakter des Spielers ist auf den Gesichtern der jüngeren Forscher abzulesen, die in der Mehrzahl sind und zum größten Teil kaum das 30. Lebensjahr überschritten haben, wogegen die Gesichter der älteren Atomforscher der Maske eines nüchternen, das Risiko wohlab- wägenden und dabei trotzdem um einen hohen Einsatz spielenden Bankiers gleichen.

Es ist eine Klasse für sich, eine neue „Elite”, die sich ihres Könnens und ihres Wissens wohl bewußt ist, eine neue „Aristokratie” der Wissenschaft, jedoch mit einem allgemein feststellbaren Defekt eines nicht genügend stark ausgeprägten Verantwortungsbewußtseins. Es sind meistens junge Forscher, eine neue Generation, die aus den Hochschulen direkt in gut bezahlte, Positionen ,in Forschungsinstituten kommt und bisher nicht viel Gelegenheit hatte, Lebenserfahrungen zu sammeln. Vielfach stehen sie noch unter dem Einfluß der hektischen und für eine solide Entwicklung nicht gerade günstigen Nachkriegsjahre. Dadurch wird die Forschung als ein rein materieller Selbstzweck betrachtet, und die modernst eingerichteten Laboratorien, der egozentrische Persönlichkeitskult, Publizistik und Publicity fördern diese Einstellung.

So kommt es, daß dieser neue Typ von Forschern und Wissenschaftlern alle Grenzen zwischen Gut und Böse verwischt, einen rein materialistischen Standpunkt einnimmt und ein williges Werkzeug in den Händen der Politik und der die sehr kostspielige Forschung finanzierenden Geldgeber geworden ist.

Unbestritten sind Forschung und Wissenschaft an sich nicht gut oder böse, da die Forschungstätigkeit und der Drang nach dem Wissen dem göttlichen Wunsch nach dem Erkennen und Begreifen aller Dinge entspricht und nicht allein nach ethischen Prinzipien beurteilt werden kann. Ebenso unbestritten aber sollte sich die Moral der Forscher auf die Verwendung und Nutzung der Erkenntnisse auswirken.

Deutlicher alä auf allen anderen Gebieten offenbart sich hier das Dilemma der modernen Wissenschaft und der politischen Macht. Der Forscher im Labor interessiert sich beispielsweise für die kritische Masse von Uran 235. Hierzu genügen Versuche in einem Ausmaß und mit Auswirkungen, welche die Menschheit nicht gefährden oder bedrohen. Der Politiker oder Repräsentant der politischen weltlichen Macht ist jedoch daran interessiert, eine Erprobung im Sinne sejnes politischen Machtgedankens und als politische Machtdemonstration zu veranstalten, wobei beispielsweise in Hiroshima 100.000 Menschen getötet wurden, ohne daß hierfür eine zwingende militärische oder gar wissenschaftliche Notwendigkeit bestanden hätte. Dieser Vergleich zeigt am besten das Dilemma. Und da in der robusten Tagespolitik für Ethik kein Platz ist, werden Forschung und Wissenschaft im Atomzeitalter der Politik solange unterliegen, als sie nicht durch die Erarbeitung ausreichend fundierter geistiger Grundlagen und mit dem Rüstzeug der Moral eigene, von der Politik unabhängige Wege und Entwicklungen beschreiten.

Auch’ die Kirchen aller Konfessionen bemühen sich im Atomzeitalter um neue Erkenntnisse und Klärungen. Sie sehen sich einer Reihe von Problemen gegenüber, die ein Umdenken und völlig neue geistige Grundlagen erfordern.

Nun ist hier weifig damit getan, wenn einfache Formeln geprägt werden, wie etwa rein positive oder negative oder abwartende Stellungnahmen zum Problem der Atomwaffen. Es bedarf vielmehr tieferer und weitgehenderer Umstellungen, die sich nicht so sehr mit reinen Aeußerlich- keiten, als mit den innersten Grundlagen des geistigen und religiösen Lebens des modernen Menschen im Atomzeitalter beschäftigen sollten.

Eįne weitere Malaise ist, daß auf den wenigsten Hochschulen oder Forschungsinstituten das Prinzip der absolut freien Lehre und Forschung aufrechterhalten wird, sondern in vielen Fällen die Atomforschung und die einzelnen prominenten Atomforscher für die nicht immer untadeligen Zwecke der Politik, insbesondere der Tagespolitik, mißbraucht werden, wie wir aus zahlreichen Beispielen des Tagesgeschehens feststellen können. Schließlich kann man nur in dar wenigsten Fällen von einer rein demokratischen Forschung sprechen und es verhallt der Ruf nach einer solchen immer wieder im leeren.

Am Ende aber steht die Frage: Wenn das Atomzeitalter das Gesicht des Forschers so weitgehend umformen, neuprägen konnte — welche Wirkungen wird es im weiteren Verlauf auf den Laien, auf den schlichten Menschen ausüben, der allen diesen Strömungen noch viel weniger geistigen und moralischen Widerstand entgegenzusetzen hat?

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