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Digital In Arbeit

Verständigung - Mensch und Maschine

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Nichts charakterisiert den Wandel des Begriffs der Maschine in den letzten Jahrzehnten besser als die Verfeinerung der Verständigungsmittel zwischen Mensch und Maschine. Die alte Maschine wurde ein- und ausgeschaltet; und wenn es eine hochentwickelte Maschine war, dann hatte sie Räder, Knöpfe und Hebel für verschiedene Einstellungen. Das Auto ist ein gutes Beispiel dafür: Lenkrad, Gaspedal, Fußbremse und Kupplung bilden die Grundlage für den Betrieb; Zündschlüssel, Blinker, Lichtschalter, Hupe und Handbremse sind bereits sekundäre Betriebsmittel. Ge- schwindigkeits- und Wassertemperaturanzeiger dürfen als typische Informationssender der Maschine gelten. Und man sieht: Die alte Maschine ist nicht besonders gesprächig.

Was könnte denn die Maschine eigentlich dem Menschen sagen, was könnte sie verstehen? Um dięs zu beantworten, muß man zuerst einen Blick auf die Nachrichtenmittel des menschlichen Körpers machen, und auf die verschiedenen Codes, die darin benutzt werden. Die wichtigsten Medien der Nachrichtenübermittlung zwischen Körper und Umwelt sind elektromagnetische und mechanische Schwingungen; Auge und Ohr sind die bedeutendsten Empfänger dafür, sprechender Kehlkopf und schreibende Hand die wichtigsten Sender. Der Tastsinn ist eine oft unterschätzte Ergänzung, weiters haben Geruchs-, Schmerz- und Temperatursinn Bedeutung. Innerhalb des Körpers ist die Nachrichtengabe genormt: Alle Nervenleitungen führen die gleiche Art von chemisch-elektrischen Impulsen. Nicht vergessen als Informationsvorgang darf man die Regeneration und die Fortpflanzung, die außerdem wegen ihrer vollautomatischen Natur ein Modell für die Automation darstel- len.

Die Nachrichtenmittel des Körpers benutzen zwei Familien von Codes, analoge und digitale. Die Sinnesorgane geben die Veränderung der aufgenommenen Größe (Schalldruck, Lichtstärke usw.) in die Nervenleitung als Veränderung der Nervenimpulsfrequenz weiter; der Zusammenhang ist meist logarith- misch. Gesehene Ganzheiten, die Buchstaben und Wörter und die Laute hingegen haben Ja-Nein-Charakter, ein Element wird empfangen oder nicht: Im digitalen Fall gibt es die Zwischenstufen des Analogfalles nicht.

Die Nachrichtentechnik hat eine Reihe von Analogeinrichtungen geschaffen, welche die menschlichen Nachrichtensender und -empfän- ger nachahmen und verlängern, verstärken Und verfeinern. Sie übertragen menschliche Nachrichten über Zeit und Raum. Telephon, Rundfunk, Tonfilm, Schallplatte und Fernsehen können so verstanden werden. Aber diese inzwischen klassisch gewordenen Nachrichtenmittel dienen der Verständigung zwischen Mensch und Mensch, man nennt sie auch lieber Geräte als Maschinen, und sie gehören nur an den Rand des heutigen Themas. Eine Verständigung mit der Maschine kommt bei ihnen nur ausnahmsweise zustande. Sogar bei ihnen selbst werden nur Schalter und Zeigerinstrumente benutzt, um mit ihnen Informationen auszutauschen. Wie weit dies führt, kann man in der Pilotenkabme eines modernen Großflugzeuges respektvoll bewundern. Man fragt sich, ob ein Mensch den gebotenen Nachrichtenfluß noch bewältigen kann. Was fehlt, ist die Nachrichten Verarbeitung: Das Ausscheiden der irrelevanten Information.

Eigentlich war es das Wähltelephon, das einen neuen Weg der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine beschrift: das Wählen mit Hilfe der Nummemscheibe. Hier wird der Maschine — dem Vermittlungsautomaten — der Auftrag erteilt, die Verbindung zu einem Teilnehmer herzustellen, und das Verständigungsmittel ist ein Code, der nicht nur den Teilnehmer bezeichnet und seinen Wohnbezirk erraten läßt, sondern bei der Fernwahl auch Staaten, Länder und Städte auszudrücken gestattet. Der erteilte Befehl wird vom Vermittlungsautomaten mit ganz geringer Wartezeit ausgeführt, und der Automat hat Ruf-, Frei- und Besetztsignale, um den wählenden Teilnehmer über seine Arbeit und ihre Erfolge zu informieren.

Die elektronische Rechenanlage hat das Wähltelephpn nicht nur in dieser Hinsicht zum Vorbild. Ihre Schaltungen haben strukturelle Verwandtschaft zu jenen für den Aufbau der Wählverbindung und für die automatische Gebührenverrechnung. Die Fortentwicklung der Bauteile vom Relais über Röhren zu Transistoren hat nur das Gesicht, nicht aber die Strukturen verändert.

Allerdings brauchten die Rechenmaschinen nicht gleich am Beginn der elektronischen Entwicklung wirkungsvolle sprachliche Mittel. Die ersten Computer waren gigantische und blitzschnelle Zahlenschaufler, die wenig mehr zu sagen hatten als ihre numerischen Ergebnisse. Zahlendrucker sind eine Grundlage für Resultatmonologe, nicht aber für maschinelle Gesprächigkeit. Das letzte Jahrzehnt hat hier merklichen Wandel geschaffen und die nächste Zeit wird eine ungeheure Entwicklung der peripheren Geräte und ihrer Anwendungsmöglichkeiten offenbar werden lassen.

Die neue Maschine hat eine Periode der Anpassung an den Menschen begonnen, und dazu gehört die Entwicklung von Verständigungsmitteln.

Im ersten Abschnitt wurden formale Sprachen geschafien, die vereinfacht als Erweiterungen der Algebra (des Buchstabenrechnens der höheren Schule) um Wertzuordnungsund Ablaufbefehle charakterisiert werden können. Ihre schwierigen mathematisch-technischen Eigenschaften brauchen hier nicht erläutert zu werden. Sie gestatten es, ganze Klassen von Problemen durch einen Satz von Regeln der Lösung zuzuführen, und sie sind für den Menschen und für den Automaten verständlich — für den Automaten unter der Voraussetzung, daß er mit einem Ubersetzerprogramm versehen ist, das die formale Sprache in Ketten von Maschinenbefehlen übersetzt. Dieser erste Abschnitt kann als in gewisser Weise abgeschlossen angesehen werden: Das Verfahren hat sich mit einer Reihe derartiger Sprachen bewährt.

Im zweiten Abschnitt, der augenblicklich in Arbeit ist, soll der Automat nicht nur Befehlsketten entgegennehmen, sondern auch antworten können. Das mag sehr ehrgeizig klingen, da man das Problem aber sehr vereinfachen kann, sind erste Lösungen nicht so schwierig, wie es scheint.

Die Frage, ob man mit einem Automaten Gespräche führen kann, zerfällt in drei Teilfragen: Kann der Automat verstehen, was ihm gesagt wird? Kann er daraus eine vernünftige Antwort ableiten? Und kann er diese Antwort dann aussprechen? Diese drei Fragen sind von sehr verschiedener Natur und von sehr verschiedenem Schwierigkeitsgrad.

Wie bei vielen Analogien zwischen Mensch und Maschine geht es beim „Verstehen“ des Automaten um einen speziellen, auf das Mechanische eingeschränkten Begriff. Automatisches Verstehen ist nichts als programmgemäßes Reagieren. Man soll aber nicht glauben, daß damit nur Triviales erreicht werden kann. Dem Programmieren erschließen sich unendliche Welten, die wir noch kaum abschätzen können.

Ein Anfragesystem, das bereits als kommerzielles Produkt vorliegt, soll zeigen, wie man Vorgehen kann. Die Erkennung von Lauten und die semantische Deutung von Lautfolgen sind recht schwierig. Man kann dieser Problematik ausweichen, wenn man das Gespräch mit dem Automaten über die Schreibmaschine führt Es gibt aber einen Mittelweg, zu dem das Wähltelephon einlädt: Man stellt die Frage mit der Wählscheibe und erhält die Antwort von einer automatischen Stimme wie bei der Zeitauskunft. Das heutzutage geradezu allgegenwärtige Wähltelephon zum Ein- Ausigabe-Gerät für eine Rechenanlage zu machen, ist eine faszinierende Möglichkeit.

Ein einfachstes Anwendungsbeispiel ist eine Kurstabelle. Die einzelnen Eintragungsposten — Devisen, Aktien usw. — erhalten Ordnungszahlen. Wählt man die Telephonnummer der Rechenanlage, so meldet sie sich mit der automatische Stimme („Hier Rechenanlage XYZ“) und fordert dazu auf, die Ordnungsnummer des gewünschten Kurses einzuwählen. Dann werden als Antwort die Eintragungen in der Tabelle nach neuestem Stand durchgegeben.

Ein solches System ist im Wiener IBM- Laboratorium auf Grund von Vorarbeiten im Institut für Niederfrequenztechnik der Tech-

nischen Hochschule Wien ausgearbeitet worden. Es beruht auf dem Vocoderprinzip; das heißt, daß die automatische Stimme halb künstlich ist. Der Klang eines menschlichen Sprechers wird auf ein Rezept reduziert, aus dem er wieder reproduziert werden kann. Die

Rezepte für verschiedene Wörter und Standardsatzteile liegen im Speicher der Rechen- anüage, und ein Programm baut die Antwort daraus auf. Ein Sondergerät wandelt das Rezept wieder in den hörbaren und verständlichen Klang zurück. Nach weiteren Entwicklungsschritten in den deutschen und den französischen IBM-Laboratorien wird dieses System nun in Amerika erzeugt und es gehört als IBM 7772 zum neuen System 360.

Der Weg von einem solchen Anfragesystem zum tatsächlichen Gespräch mit dem Rechner ist noch weit. Aber es gibt viele Ansätze. Der Rechner kann Verstöße gegen die Grammatik der formalen Sprache feststellen und sie dem Programmierer mitteilen, er kann beim Aufstellen von Programmen Vorschläge für die nächsten Schritte machen und viele andere Dinge mehr („er kann“ heißt natürlich, man hat die entsprechenden Programme geschrieben).

Ein besonders beeindruckendes Beispiel stammt von Professor Weizenbaum (Massachusetts Institute of Technology): ein Programm, das einen Psychiater simuliert. Das Gespräch wird, wie oben erwähnt, schriftlich abgewickelt Der „Patient“ schildert seine Probleme, und der Computer fragt nach weiteren Details oder gibt tröstende Antworten. Natürlich versucht er sich nicht an Heilverfahren, aber die entstehenden Texte machendurchaus den Eindruck, als verstehe die Rechenmaschine ihren „Patienten“.

Verständigung mit der Maschine heißt ganz offenbar auch noch mehr: Verständigung der Menschheit mit der Technik. Die Technik früherer Jahrzehnte unterwarf den Menschen ihrer Gesetzlichkeit, und sie war sehr hart darin. Man bedenke nur die Ausdrucksweise: Die Maschine wird vom Menschen bedient. Die neue Maschine wird nicht mehr bedient,

sie wird programmiert. Wenn sie auch noch zum Gespräch mit dem Menschen fähig wird, so wird daran eine Vermenschlichung der Technik offenbar, die zu großen Hoffnungen berechtigt. Allerdings darf man sich nicht der naiven Meinung hingeben, daß die Vermenschlichung nur die guten Seiten entwickeln wird. Auch das stärkste Werkzeug nimmt seinem Benutzer keine Verantwortung ab; für die Art der Verwendung bleibt e r zuständig, mit all seinen guten und schlechten Eigenschaften.

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