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Versuch mit untauglichen Mitteln

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DIE METAPHYSISCHEN GRUNDLAGEN DER NATURWISSENSCHAFT UND MATHEMATIK, Von Walter Böhm. Verlag Herder, Wien-Freiburg-Basel. 196 Seiten. S 108.—.

Der Autor, ein Schüler Leo Gabriels und Alois Dempfs, schreibt im Vorwort zu diesem Buch: „Die Bekämpfung des Positivismus gehört schon immer zu meinen Hauptanliegen. Da diese mächtige geistige oder wohl eher widergeistige Bewegung von heute die umittelbar gegebene Erfahrung als Grundlage aller Erkenntnis erklärt, begann ich zunächst damit, dieses Fundament für die positivistische Erkenntnistheorie selbst anzunagen.“ Diese Nageversuche meint der Autor dadurch erfolgreich zu gestalten, daß er „durch Quellenstudium jede naturwissenschaftliche Theorie als aus einer zeitgenössischen Philosophie hervorgegangen erweisen will...“ (S. 109). Er hebt also das Tendenziöse seiner Untersuchung hervor und entzieht sich dadurch einer wissenschaftlichen Beurteilung.

Bei der Durchsicht des beigefügten Literaturverzeichnisses erkennt man, daß dem Autor die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung nur aus Sekundärliteratur bekannt sind: Daher erklärt sich auch die Unkenntnis elementarer physikalischer Zusammenhänge, wenn er zum Beispiel über den osmotischen Druck schreibt (S. 30): „Sowohl Gas wie auch gelöster Stoff bestehen aus Molekülen, die frei im Raum herumschweben, dabei an Wände stoßen und so den Druck erzeugen.“ Die Ansichten über Genmutationen dürften einem populärwissenschaftlichen Buch entnommen sein (S. 60); es zeigt weiter von eklatantem Unverständnis, . daß er die spekulative Atomtheorie Demo-krits und das Bohrsche Atommodell für äquivalent hält (S. 145). Wenn er auf S. 148 von einer Kalt-Warm-Qualität der Temperaturskala spricht, verwechselt er zudem Physiologie mit Physik. Diese wenigen Beispiele von vielen mögen genügen, um die naturwissenschaftlichen Kenntnisse des Autors zu illustrieren, mit deren Hilfe er es unternimmt, die metaphysischen Grundlagen der Naturwissenschaft zu erweisen. Dabei haben es ihm die naturwissenschaftlichen Theorien besonders angetan: „Eine wissenschaftliche Theorie ist entweder wahr oder falsch oder sie ist zumindest ungenau und damit weniger wahr als eine andere“ (S. 22). Als Beweis für diese These wird das Bohrsche Atommodell angeführt. Wenn man schon den Modellcharakter naturwissenschaftlicher Theorien in Rechnung stellt, dann kann es die Entscheidung „wahr“ oder „unwahr“ (nicht „falsch“!) nicht geben, da das Modell keinesfalls mit der Wirklichkeit identisch ist; bleiben nur noch die Kriterien „genau“ und „ungenau“: Den Vorwurf, daß es ungenau gewesen wäre, kann man dem Bohrschen Atommodell keinesfalls machen, höchstens den, daß es Zusatzannahmen nötig machte. Wenn der Autor auch nicht weiß, was eine Theorie ist, so erklärt er wenigstens, wie sie zustande kommt: „Der Philosoph konzipiert auf Grund des Welt-und Ich-Bewußtseins eine neue Seinsschau, der Naturwissenschaftler zieht daraus Hypothesen und entwirft auf dem Fundament dieses philosophischen Weltbildes Modelle, die Modelle und Hypothesen führen zu neuen Theorien und die neuen

Theorien ermöglichen neue Experimente ... (S. 154). Böhm glaubt diese These dadurch beweisen zu können, daß er in einer historischen Untersuchung aufzählt, welche großen Forscher von der jeweiligen zeitgenössischen Philosophie beeinflußt wurden. Daß er dabei Forscher mit Forschung verwechselt, fällt ihm nicht weiter auf, sonst müßte er nämlich erklären, wie man, aufbauend auf einem falschen „Fundament eines philosophischen Weltbildes“, durchaus richtige naturwissenschaftliche Theorien aufstellen kann, da doch zum Beispiel Planck, Einstein, Heisenberg und Jordan von dem — nach des Autors Ansicht — . widergeistigen Positivismus beeinflußt waren (S. 128). Aber ganz so streng gilt die These wohl nicht: „Um die Strukturformel des Insulins zu erforschen, ist es gleichgültig, welcher Weltanschauung ich anhänge. Dieses Spe-zialproblem erfordert nicht eine ganz neue Philosophie“ (S. 154). Auf der nächsten Seite heißt es jedoch: „... zwischen allgemeinen und speziellen Problemen gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied“

(S. 155). Nachdem sich der Autor elegant ad absurdum geführt hat, gelingt es ihm noch innerhalb der nächsten 30 Seiten den Sitz der Seele im Großgehirn zu „entdecken“

(S. 174) und „nachzuweisen“, daß dort Entelechialfaktoren, die nichts anderes sind als „objektivierte Schöpfungsgedanken Gottes“, „lenkende Eingriffe im Spielbereich der statistischen Möglichkeiten setzen“ (S. 183). Allerdings entgeht es ihm, daß in einem solchen Falle ihre Wirkung nicht nachweisbar wäre, was er jedoch als Charakteristikum für die Entelechie fordert (S. 182). Darauf kommt es wahrscheinlich auch nicht so sehr an, denn Böhm braucht die Entelechie zu ganz anderen Zwek-ken: „Nur durch den Einfluß lenkender metaphysischer Faktoren ist aber eine Höherentwicklung zu immer komplizierteren Organismen verständlich“ (S. 61). Man muß die Metaphysik davor in Schutz nehmen, daß sie zur Erklärung noch nicht verstandener Phänomene mißbraucht wird; das Ausfüllen von Wissenslük-ken kann nicht ihre Aufgabe sein.

Daß ein Buch derartiger Qualität auch in sprachlicher Hinsicht zur Kritik Anlaß gibt, ist nicht verwunderlich. Eine Reihe von Druckfehlern ergänzt das Bild. Das Wort „Kalio-metrie“ (S. 39) ist allerdings kein Druck-, sondern ein Abschreibfehler. Leider genügt offenbar die Ankündigung eines Autors, ein Buch gegen den Positivismus verfaßt zu haben, daß es kritiklos von einem renommierten katholischen Verlag angenommen wird.

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