6590882-1952_25_03.jpg
Digital In Arbeit

Verwaltungsreform der Bundesbahnen

Werbung
Werbung
Werbung

Die finanzielle Lage, in der sich die österreichischen Bundesbahnen gegenwärtig befinden, hat die Aufmerksamkeit der beunruhigten Öffentlichkeit wieder der Reform der Bundesbahnverwaltung zügewendet. Auch der Mann aus dem Volke empfindet, daß sich hier eine der dringendsten Aufgaben vor die Berufenen stellt. Gegenüber einer Delegation der Bundeskammer, die der Finanz- mjnister über die kritische finanzielle Lage der Bundesbahnen unterrichtete — das gegenwärtige Ausmaß der Zahlungsrückstände bei Firmen der gewerblichen Wirtschaft wird auf 500 Millionen Schilling geschätzt —, betonte Finanzminister Dr. Karnitz, daß in Hinkunft durch die Gebarung der Bundesbahnen ein entsprechendes Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben unbedingt hergestellt werden müsse, um eine Wiederholung untragbarer Zustände zu verhindern. Das Finanzgesetz veranschlagt die Betriebsausgaben der Bundesbahnen mit rund 4312 Millionen Schilling, die Betriebseinnahmen mit rund 3844 Millionen Schilling, den Betriebsabgang mit rund 468 Millionen Schilling, den kassamäßigen Gesamtabgang mit rund 1068 Millionen Schilling. Die Aufteilung dieses Betrages auf zwölf Monate ergibt einen monatlichen Zuschußbetrag von rund 89 Millionen Schilling, der zum Teil durch die mit 1. Mai in Kraft getretene Erhöhung des Gütertarifes seine Deckung finden soll. Nach dem Staatsvoranschlag für das laufende Jahr sollte die vorgesehene Erhöhung der Tarife einen Mehrertrag von 1162 Millionen Schilling ergeben. Seither ist zwischen den beteiligten Ministerien eine Vereinbarung zustande gekommen, wonach die Erhöhung der Gütertarife auf jährlich 900 Millionen Schilling herabgesetzt wurde, von welchem Betrag 150 Millionen Schilling für einen Ausnahmetarif in Abzug gebracht werden, der für wichtige Lebensmittel vorgesehen ist. Der Mehrertrag würde sicjh also auf das Jahr umgerechnet auf 750 Millionen Schilling ermäßigen. Da die neuen Gütertarife jedoch erst ab 1. Mai in Wirksamkeit getreten sind, wird für das laufende Jahr nur mit einem Betrag von 500 Millionen Schilling gerechnet.

Angesichts der Verkehrsgestaltung in den letzten Monaten stellt die Erhöhung des Gütertarifes ein nicht ungefährliches Experiment dar. Erst die spätere Bewährung wird zeigen müssen, ob der 1. Mai 1952 als ein glücklicher Stichtag für das österreichische Verkehrswesen bezeichnet werden darf. In dieser Beziehung verdient die Tatsache erwähnt zu werden, daß infolge der Erhöhung der Postgebühren die Postsendungen in den letzten Monaten sich von 68 auf 60 Millionen verminderten. In keinem Falle vermag at(er die getroffene Tarif maßnahm e für das Bundesbahnproblem eine Dauerlösung zu schaffen, die allein im Wege einer zielbewußten Verwaltungsreform erfolgen kann.

In einer der letzten Sitzungen des Wirtschaftsdirektoriums — ein Ministerkomitee innerhalb der Bundesregierung — wurden die zuständigen Ministerien beauftragt, in der Frage der Umwandlung von Bundesbetrieben in selbständige Wirtschaftskörper dem Wirtschaftsdirektorium konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Von den „Vorlageberichten“, die von dem Zentralbüro für ERP-Angelegen- heiten für das Wirtschaftsdirektorium ausgearbeitet wurden, befaßt sich der letzte Bericht ebenfalls mit der Umwandlung von Bundesbetrieben in selbständige Wirtschaftskörper. Hiebei handelt es sich in erster Linie um die Bundesbahnen, deren Umwandlung in einen selbständigen Wirtschaftskörper vor kurzem auch vom Bundeskanzler Ing. Figl als eine der nächsten Žuku ndt saufgaben der Verwaltungsreform bezeichnet wurde.

Selbst der Rechnungshof erblickt in der Schaffung eines eigenen Wirtschaftskörpers den einzigen Ausweg aus den gegenwärtigen unhaltbaren Verhältnissen. Der Rechnungshof bedauert, daß die im Beförderungsüberleitungsgesetz vorgesehene Überleitung der Bundesbahnen in einen selbständigen Wirtschaftskörper noch nicht durchgeführt wurde: er verkennt nicht die positive Bedeutung, die den gesetzlich verankerten Personalvertretungen in wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung zukommt, doch ist es eine vielerörterte und auch vom Rechnungshof wiederholt festgestellte Tatsache, daß die Personalvertretungen der Bundesbahn ihr Zustimmungsrecht häufig in einem Ausmaße ausüben, wie es in keinem sonstigen öffentlichen oder privaten Unternehmen zu beobachten ist. Und Staatssekretär Übeleis erklärte kürzlich in einer Eisenbahnerversammlung:

„Wenn wir den Betrieb der Bundesbahnen in Ordnung bringen wollen, dürfen wir nicht zurückschrecken vor dem Gedanken, daß die Bundesbahnen ein Selbständiger Wirtschaftskörper werden.“

Das deutsche und schweizerische Beispiel

Der Gedanke, die Bundesbahnen wieder als einen selbständigen Wirtschaftskörper entstehen zu lassen, hatte bereits im Behördenüberleitungsgesetz vom 20y Juli 1945 seinen Niederschlag gefunden. Der Entwurf eines entsprechenden Gesetzes kam zustande, doch die Regierung entschloß sich 1947, diesen Entwurf zurückzuziehen. Nunmehr steht der Nationalrat aber doch vor der Aufgabe, die Bundesbahnen finanziell und administrativ auf eine selbständige Grundlage zu stellen. Die Herauslösung der Staatsbahnverwaltung aus der allgemeinen Staatsverwaltung würde der allgemeinen Entwicklung des Staatsbahnsystems entsprechen. Die Erfahrungen in anderen Staaten haben gezeigt, daß für den Grad der Autonomie weniger die Rechtsform einer öffentlichen Unternehmung maßgebend ist, als das wirkliche Vorhandensein eines eigenen Verwaltungskörpers. Als Vorbild könnten in dieser Beziehung die Deutschen Bundesbahnen dienen, die auf Grund des jüngst in Kraft getretenen Bundesbahngesetzes eine selbständige Verwaltung bilden, so daß sie unbeschadet der Anforderungen einer gemeinwirtschaftlichen Verkehrspolitik wirtschaftlich geführt werden können. Wie der deutsche Bundesverkehrsminister S e e b o h m kürzlich erklärte, ist die Notlage der Staatsbahnen zum großen Teil auf das eigene Verschulden und die Unbeweglichkeit des Verwaltungsapparates zurückzuführen. Auch der innere Aufbau der österreichischen Bundesbahnverwaltung wird nunmehr eine grundlegende Änderung erfahren müssen. Der Verwaltungsrat, der nach dem Gesetz vom 19. Juli 1923 nur eine überwachende und begutachtende Tätigkeit auszuüben hatte, müßte künftighin nach dem Vorbilde der Deutschen und Schweizerischen Bundesbahnen zu einer unmittelbaren Tätigkeit in der Verwaltung selbst herangezogen werden. Die Schweizerischen Bundesbahnen, welche bereits seJt vielen Jahren über einen selbständigen Verwaltungsrat verfügen, konnten für das Jahr 1951 einen Reingewinn von acht Millionen Franken aus- weisen, ein Betrag, der ungefähr 115 Millionen Schilling entspricht.

Die Forderung des Finanzministers setzt die Verwirklichung aller sofort durchführbaren Sparmaßnahmen voraus. Bisher ist nicht bekannt geworden, welche Schritte der .Verkehrsminister unternommen hat, um im eigenen Bereiche durch Ersparungen und Rationalisierung der schwierigen Lage der Bundesbahnen Rechnung zu tragen. Uber 75.000 aktive Bedienstete und über 87.000 Pensionisten erfordern im Jahre 1952 nach dem Voranschlag rund 2,6 Milliarden Schilling bei einer Gesamtbetriebsausgabensumme von 4,3 Milliarden Schilling. Dieser Aufwand ist noch im Steigen begriffen. Im Jahre 1937 waren bloß 56.000 Bedienstete und 80.900 Ruhegenußempfänger vorhanden. Besonderes Interesse kommt daher einer in der Sitzung des Nationalrates vom 2. April gestellten Interpellation der Abgeordneten Lakowitsch, Kapsreiter und Genossen zu, in der beispielsweise folgende Fragen angeführt wurden, die einer dringenden Beantwortung bedürfen, um den Betrieb wirtschaftlicher zu gestalten:

Maßnahmen gegen das weitere Anschwellen der Ruhegenußempfänger: zweckmäßige Gestaltung der Entlohnung durch Einführung eines echten Leistungslohnes: bessere Ausnützung der Arbeitszeit der Bediensteten: Zusammenlegung des Bahn- und Post- kraf twagendienstes; rationellere Führung der Nebenbetriebe.

Notwendige Entlastungen der Bundesbahnen

Aufgabe des zukünftigen Verwaltungsrates der Bundesbahnen wird es aber auch sein, deren finanzielle Beziehungen zum Staat klarer zu gestalten und mannigfache Leistungen der Staatsbahnen, die praktisch auf die Erleichterung des Staatshaushaltes hinauslaufen, in gerechter Weise abzugelten. Zum Beispiel sind die vom Bund in den Vorkriegsjahren entrichteten Anteile an der Pensionslast, die in Erkenntnis der Tatsache geleistet wurden, daß den Bundesbahnen eine zu hohe Pensionslast aufgebürdet war, die unmöglich aus der normalen Gebarung gedeckt werden konnte, entfallen, so daß die Bundesbahnen gegenwärtig diese ganze Pensionslast aus ihrem laufenden Budget zu tragen haben.

Das deutsche Bundesbahngesetz enthält Bestimmungen über das Tarifwesen, denen eine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Im Gegensatz zur österreichischen Gesetzgebung erscheint die Regelung des Tarifwesens der parlamentarischen Einflußnahme entzogen. Eine Abänderung des österreichischen Gesetzes vom 13. April 1920 über die Mitwirkung des Nationalrates bei der Neufestsetzung der Tarifgrundlage erscheint um so dringender, als dem Einfluß des konkurren zierenden Straßenverkehrs nur durch tarifpolitische Maßnahmen begegnet werden kann, deren Handhabung jedoch gegenwärtig den gesetzgebenden Körperschaften Vorbehalten, der Eisenbahnverwaltung also praktisch entzogen ist.

Die Bildung eines eigenen Verwaltungskörpers der österreichischen Bundesbahnen würde auch die Voraussetzung schaffen für die Eingliederung der Bundesbahnen in die gesamte Verkehrswirtschaft. Eine von einigen Tagen veröffentlichte Darstellung des Generalsekretärs der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Dr. K o r i n e k, enthielt den Satz, daß kein Mitglied einer gesetzgebenden Körperschaft, mag es noch so erfahren sein, imstande ist, alle die Wirtschaft betreffenden Probleme vollkommen zu beherrschen. Nachdem der Verkehrsminister am die Erhöhung des Gütertarifes die Bedingung knüpfte, daß Maßnahmen gegen die Gefahr einer weiteren Ablenkung der Transporte auf den billigen Kraftverkehr getroffen werden, wurde in letzter Stunde eine Reihe von Gesetzen (Güterbeförderungsgesetz, Kraftfahrlinien-, Gelegenheitsverkehrsgesetz) fertiggestellt, die von den zuständigen Ausschüssen ohne jede Änderung angenommen wurden, während bei der Verabschiedung im Nationalrat nicht ein einziger Redner der Regierungsparteien zu Worte kam. Man darf sich nicht wundem, daß dies in der Bevölkerung als ein Zeichen des geringen Interesses, welches das Parlament wirtschaftlichen Vorlagen entgegenbringe, gedeutet wird. Die Tatsache, daß der Einfluß der Kammern nicht in gesetzlichen Bestimmungen begründet ist, läßt die Reformbedürftigkeit des gegenwärtigen Zustandes erkennen, zumal die Ver- kehrs|)olitik heute in den meisten Staaten eine vermehrte staatliche Einflußnahme verlangt. Diese Forderung ist ih dem Ruf nach einer gesetzgeberischen Behandlung des Verkehrs als Einheit enthalten.

In einer Abhandlung über den Auto- nonaiegedanken bei den europäischen Staatsbahnen gelangt der ehemalige Generalsekretär der Schweizerischen Bundesbahnen, Dr. Fritz Wanner, zu folgendem Schluß: „Soll der Staat seine Stellung gegenüber den Staatsbahnen, gegenüber dem Automobil, Wasser- und Luftverkehr mit politischer und sachlicher Autorität ausüben können, so genügen Parlament und parlamentarische Komis- sionen nicht mehr. Vielmehr wird es nötig sein, in den Verkehrsministerien eine Zusammenfassung aller bisher oft in andeien Ressorts behandelten Verkehrsfragen durch Schaffung eines obersten Verkehrsrates der Regierung eine Art ständigen Experten und Konsultationsorgan zur Verfügung zu stellen.“ — Nach diesen Ausführungen würde daher der Verkehrsrat dem Verkehr als ganzem gegenüber die gleiche Rolle zu spielen haben wie der Verwaltungsrat gegenüber der autonomen Staatsbahn.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung