Lebens-Sporen
DISKURS"Verwobenes Leben": Pilze sind unheimlich intelligent
Pilze können Gestein zersetzen, Umweltgifte verdauen und sogar im Weltraum überleben. Um Krisen zu bewältigen, sollte man sich ihre Resilienz und Kreativität zunutze machen.
Pilze können Gestein zersetzen, Umweltgifte verdauen und sogar im Weltraum überleben. Um Krisen zu bewältigen, sollte man sich ihre Resilienz und Kreativität zunutze machen.
Fundiert, anschaulich, persönlich: Merlin Sheldrake hat ein herausragendes Wissenschaftsbuch geschrieben. Vor allem aber wartet der Autor mit ungewöhnlichen, man könnte auch sagen „ver-rückten“ Perspektiven auf, die völlig neue Horizonte eröffnen. Denn um sich den Pilzen anzunähern, muss man konventionelle Konzepte über Bord werfen – etwa die Vorstellung, dass man ein Gehirn braucht, um intelligent zu agieren. Oder dass die Natur aus einer Ansammlung von Arten besteht, die vom Homo sapiens dominiert wird. Wer sich wie Sheldrake mit der Welt der Pilze beschäftigt, taucht ein in ein verborgenes Netzwerk, in dem die Grenzen der Lebensformen regelrecht schwammig werden. Sein Werk „Verwobenes Leben“ ist daher „buchstäblich bewusstseinserweiternd“ (Die Zeit).
Spannend wie ein Krimi
Pilze gehören bislang nicht zur UN-Biodiversitätskonvention, die nur Pflanzen und Tiere erfasst. Diese Gewächse aber sind weder Flora noch Fauna – sie bilden ein eigenes Reich in einer kaum erforschten Zwischenwelt: „Über 90 Prozent aller Pilzarten sind noch nicht dokumentiert“, bemerkt Sheldrake. „Je mehr wir über sie erfahren, desto weniger verbleibt, was ohne sie Sinn ergibt.“ Sein Werk liest sich spannend wie ein Krimi, und es kann passieren, dass einem die Pilze dabei rasch unheimlich werden.
Seit über einer Milliarde Jahren verändern – oder lenken? – sie den Ablauf des Lebens. Sie können im Weltraum überleben, Gestein zerfressen, Medikamente produzieren und Umweltgifte verdauen, die Erdatmosphäre beeinflussen, menschliche Visionen erzeugen und tierisches Verhalten manipulieren. So wie die sogenannten Zombiepilze im Amazonas: Wenn sich Ameisen damit infizieren, werden sie fremdgesteuert. Sie verlieren ihre Höhenangst und klettern auf die nächste Pflanze. Wenn der Pilz die besten Voraussetzungen zum Keimen vorfindet, zwingt er die Ameise zum „Todesbiss“, der die Tiere an die Pflanzen heftet. Nun wachsen die fadenförmigen Pilzzellen (Mycel) aus den Füßen der Ameise; ein Stiel sprießt aus ihrem Kopf. Von dort regnen die Sporen auf darunter laufende Ameisen herab, um die Verbreitung der Pilze voranzutreiben. Das Arge daran: Zombiepilze steuern das Verhalten ihrer Wirtsinsekten mit höchster Präzision – ihre Erfolgsquote liegt bei 98 Prozent(!).
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