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Viktor E. Frankl: „Trotzdem ja zum Leben sagen”

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Professor Viktor E. Frankl, der Begründer der Logotherapie, ist 92jährig in Wien gestorben. Einer seiner Schüler erinnert sich.

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Professor Viktor E. Frankl, der Begründer der Logotherapie, ist 92jährig in Wien gestorben. Einer seiner Schüler erinnert sich.

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Viktor E. Frankl legte Wert darauf, zu betonen, daß er die Psychoanalyse Sigmund Freuds und die Individualpsychologie Viktor Adlers nicht widerlegt, sondern ergänzt hat. Er verkürzte den Sachverhalt gerne auf die Formel: „Wenn es Freud um die Probleme im Zusammenhang mit der Lust und Adler um die Probleme im Zusammenhang mit der Macht ging, so habe ich die Frage nach dem Sinn als eine entscheidende Frage jedes reflektierenden Menschen erkannt.” Er hat auch gerne seinen Vater, der im Konzentrationslager verstorben ist, wie auch seine weitere Familie und seine 25jährige erste Frau mit den Worten zitiert: „Immer nur heiter, Gott hilft schon weiter.”

Frankl, der in Wien aufgewachsen ist und studiert hat, verbrachte auch selbst mehrere Jahre im KZ - unter anderem in Auschwitz - und hat während dieser Zeit auch sein erstes Buch konzipiert: „Die ärztliche Seelsorge”.

Er betonte aber auch die Trennung zu den Religionen. Gehe es diesen um das Seelenheil, so gehe es den Psychotherapeuten um die Heilung von Krankheit: zwei Wege, die sich aber ergänzen. So überraschte er uns einmal mit einer Vorlesung, die er gemeinsam mit dem sehr bekannten Pater Diego Götz gestaltete. Er überwand damit auch die Ansicht von Sigmund Freud, der die Religionen den Neurosen zuordnet. Frankls Weg in dieser Richtung trägt bis heute Früchte, wenn jetzt regelmäßige Tagungen zu dem Thema „Psychiatrie und Seelsorge” stattfinden und nach einer Periode der Trennung es heute wieder zu einer Annäherung zwischen Medizin und Theologie gekommen ist, was ja auch verständlich ist, weil ja der moderne Arzt aus dem Priesterarzt hervorgegangen ist. Es ist auch interessant, daß es bis in das 2. Jahrhundert nach Christus Darstellungen des „Christus medicus” gab.

Die Frage der Schuld

Frankl, der so viel Schreckliches in seinen KZ-Jahren erlebte und der bis zuletzt jeweils am Jahrestag der Befreiung aus dankbarem Gedenken heraus fastete, hat sofort nach dem Krieg jede Kollektivschuld-These abgelehnt, da es nur eine persönliche Schuld gebe. Auch zur Rassenfrage hat sich Frankl präzise und knapp geäußert: „Es gibt nur zwei Rassen von Menschen, die Anständigen und die Unanständigen.”

Viktor Frankl war aber nicht nur ein Psychotherapeut und Wissenschaftler mit philosophischem Tiefgang, er war auch ein hervorragender Neurologe, der nach dem Kriege die Neurologische Abteilung der Wiener Poliklinik leitete. Er war ein besorgter väterlicher Arzt und ein hervorragender Lehrer. Jeden Mittwoch hielt er seine Vorlesungen: Eine Stunde Neurologie und eine Stunde Psychiatrie, in der er als echter Peripathetiker seine logotherapeutischen Ideen hervorbrachte und auf Zetteln niederschrieb, die dann seinen Manuskripten zu Grunde lagen. So konnten wir äußerst spannend die Entwicklung seiner Gedanken und späteren Bücher verfolgen.

Er war nicht nur Universitätsprofessor in Wien, sondern auch an zahlreichen Universitäten der Welt, und es gibt einige Universitäten mit Lehrstühlen für Logotherapie. Neben vielen Ehrungen ernannten ihn weltweit sehr viele Fakultäten zum Ehrendoktor.

Seine Bedeutung geht vielleicht auch daraus hervor, daß den Nachruf' auf ihn im österreichischen Rundfunk kein geringerer als der österreichische Bundespräsident hielt, der dabei von dem kürzlichen Besuch der amerikanischen Präsidentengattin in Wien erzählte, deren Wunsch es bei dieser Gelegenheit war, Viktor E. Frankl persönlich kennenzulernen.

Mit Viktor E. Frankl ist ein Arzt gestorben, der, wie man es musikalisch ausdrücken könnte, „voll orchestriert” war. Seine Interessen umfaßten das weite Gebiet der biologischen, psychologischen, soziologischen und spirituellen Bereiche des Menschen. Er war nicht nur ein großer Geist, er war auch ein Ganzheitsmediziner im wahrsten Sinne dieses modernen Terminus. Er wird uns fehlen, aber er wird in seinen Schülern und Lesern weiterleben. Ehre seinem Angedenken.

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