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Gegen die Grippe soll man sich impfen lassen und Schutzmasken tragen. Tatsächlich?

Seit kurzem sind Grippe-Schutzmasken in allen Supermarktketten zum Sonderpreis erhältlich. Gleichzeitig wird für die jährliche Grippeimpfung die Werbetrommel gerührt. Einmalig ist auch der kurz vor Abschluss stehende Vertrag des Staates Österreich mit dem Impfstoffhersteller Baxter: Demnach soll im Pandemiefall jeder Österreicher in möglichst kurzer Zeit (konkret: binnen elf Wochen) einen schützenden Impfstoff bekommen. Dabei kritisieren zwei aktuelle Beiträge in renommierten Fachblättern, dass es kein hartes Beweismaterial für die Wirksamkeit von Schutzmasken und Grippeimpfstoffen gibt. Doch haben die Autoren tatsächlich Recht? Und wenn ja: Was bedeutet das?

Die vom Gesundheitsministerium beworbenen Schutzmasken sollen 80 Prozent der Gefahrenpartikel herausfiltern. Dieser genauen Zahl steht die Fachmeinung von Stephen Morse und Koautoren entgegen (Science, Vol 314, 929). Sie sprechen von einer "dünnen wissenschaftlichen Grundlage", was die Effektivität von nicht-pharmakologischen Maßnahmen wie Schutzmasken betrifft. Es sei "unklar", ob die Grippe-Übertragung durch große Tröpfchen oder durch feine Partikel erfolge. Folglich wisse man nicht, wie weit Menschen voneinander stehen müssen, um eine Ansteckung zu vermeiden, oder wie sehr billige Gesichtsmasken schützen. Auch gebe es "keinen Beweis", dass Grippeviren durch kontaminierte Hände übertragen werden können.

Die Sozialmedizinerin Ursula Kunze hält solche Maßnahmen trotzdem für sinnvoll: "Natürlich wären gute Studien wünschenswert. Aber die tagtäglichen Erfahrungen von Hygienikern zeigen: Schutzmasken und Händewaschen schützen." Ähnlich sieht das der Virologe Thomas Muster: "Gefühlsmäßig denke ich: Schutzmasken schützen. Die Frage ist nur, wie viel. Und dazu müsste man mehr Experimente machen." Und der Virologe Egon Marth sagt: "Im Pandemiefall werde ich auch eine Maske tragen und ein Desinfektionsmittel bei mir haben. Vorerst aber tut es die Impfung."

"Wenig bis keine Wirkung"

Aber tut sie es wirklich? Nein - meint der britische Mediziner Tom Jefferson. Unlängst wertete er in einer Metastudie (British Medical Journal, Vol 333, 912-915) das vorhandene Datenmaterial aus. Sein Ergebnis: Die gängigen Impfstoffe haben "wenig bis keine Wirkung". Er plädiert deshalb für eine Kehrtwende in der weltweiten Impfstoffpolitik. Seiner Meinung nach ist der derzeitige Aufwand nicht gerechtfertigt: Jedes Jahr muss ein neuer, (angeblich) passender Impfstoff produziert werden. Gleichzeitig versucht man die Menschen durch große Aufklärungskampagnen davon zu überzeugen, sich impfen zu lassen. "Mit seinen Ansichten stellt sich der Kollege Jefferson gegen die restliche Fachwelt", erklärt Kunze. Doch wie schafft es ein solcher Außenseiter in ein so angesehenes Fachblatt? Dazu Kunze: "Der Zeitpunkt ist natürlich auffällig. Warum gerade jetzt in der Grippezeit und nicht erst im April? Anscheinend wollen auch wissenschaftliche Magazine mit tollen Schlagzeilen Aufmerksamkeit erregen."

Meinungen vs. Fakten

Dabei vertritt Jefferson eine evidenzbasierte Medizin. Fakten sollen Meinungen weichen. Wie ist also der Inhalt der Studie zu werten? "Eigentlich sagt er nichts Neues", meint Kunze. "Wir wissen, dass Grippeviren sich manchmal schnell ändern. Die Grippeimpfung wird deshalb wohl nie einen hundertprozentigen Schutz bieten können. Aber selbst 50 Prozent sind nicht schlecht." Und Marth verweist auf methodologische Probleme: "Ein Impfstoff kann zum Beispiel die Symptome abschwächen. In der Statistik scheint das nicht auf. Der Statistiker muss sagen: Die Person ist krank geworden - oder eben nicht." Auch gehe der Nutzen von regelmäßigem Impfen völlig unter. "Das Immunsystem speichert diese Informationen. Im Falle eines pandemischen Virus kann das ein entscheidender Benefit sein. Der Körper erinnert sich und beginnt sofort mit der Antikörperproduktion." Schließlich kritisiert der Virologe, dass in der Studie nicht zwischen verschiedenen Impfstoffen unterschieden werde. Whole-Virus-Impfstoffe seien wirksamer wie die Split-Impfstoffe. "Vom Whole-Virus-Impfstoff ist man abgekommen, weil er gelegentlich Fieber machte. Ich finde das keine Katastrophe - das zeigt ja, dass er wirkt. Die Gesellschaft sieht das anscheinend leider anders."

Muster, der mit Green Hills Biotechnology an einer neuen Generation von Grippeimpfstoffen forscht, versteht die Skepsis: "Die Schutzraten liegen zwischen 60 und 85 Prozent. Das ist nicht wirklich berauschend. Und wenn das Virus sich wandelt, gibt es kaum mehr eine Wirksamkeit." Die von ihm untersuchten lebend attenuierten Impfstoffe sollen eine stärkere Breitenwirkung haben. "Damit könnten sie auch im Pandemiefall sofort zum Einsatz kommen und müssten nicht erst produziert werden", so Muster.

Ob die drei Experten auch geimpft sind? "Natürlich. Ich und meine ganze Familie", bekennt Marth. "Absolut", meint Kunze und fügt hinzu: "Die Grippeimpfung ist für jeden sinnvoll: Vom Kleinkind bis zur Oma." Lediglich Muster verneint: "Ich mag keine Nadeln. Und die Wahrscheinlichkeit, trotz Impfung Grippe zu kriegen, ist doch ziemlich hoch." Gleichzeitig betont er: "Wenn ich älter wäre, würde ich mich impfen lassen." Obwohl die Impfwirkung mit dem Alter abnehme, steige doch die Sterberate rasant an. Keineswegs sei er ein Impfgegner. Die Grippeimpfung bilde eben einen Spezialfall. Alternative ,Mediziner', die sich prinzipiell gegen Impfungen aussprechen, seien nur eines: Verantwortungslos.

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