Volksbildner, Publizist und … Aufklärer

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Seit gut 40 Jahren ist Hubert Christian Ehalt in Wien als eine Art Erwachsenenbildner tätig. Die Wiener Vorlesungen sind die Visitenkarte einer diskutierenden städtischen Öffentlichkeit.

Er ist auf einiges stolz, und das nicht zu Unrecht, aber auf eines offenbar besonders: „Den Hebenstreit, den habe ich heuer rehabilitiert.“ Hubert Christian Ehalt, Wissenschafts-Referent der Stadt Wien und geistiger Vater der Wiener Vorlesungen, hat den „Demokraten der ersten Stunde“, Franz Hebenstreit (1747–1795) der Vergessenheit und postumen Bloßstellung entrissen. Hebenstreit sei ein bedeutender Aufklärer gewesen. Ein solcher ist auch Ehalt, wie sich bei einem Besuch der FURCHE in seinem, einer großartig angeräumten Wunderkammer nicht unähnlichen Arbeitszimmer am Friedrich-Schmidt-Platz 5 zeigte.

Hebenstreit, der nach dem Studium von Philosophie, Jus und Medizin in Prag und in Wien ein abenteuerliches Leben im Militärdienst auch in Preußen führte, könne, so Ehalt, der ersten Wiener Moderne zugerechnet werden: Die ersten Jahre in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts seien eine Zeit der Aufklärung und der Öffnung gewesen. Doch nach dem Tod Josephs II. und Leopold II. war „in der Habsburger Monarchie die Zeit der für die Zukunft denkenden Herrscher vorbei“, wie Ehalt in seiner Rehabilitierung Hebenstreits in der Wiener Presse kürzlich schrieb. Die Politik drängte demokratische Bestrebungen zurück. Ein Spitzel verriet die revolutionären Worte Hebenstreits, der wegen Majestätsbeleidigung und Waffenhilfe an Polen und Frankreich verurteilt und 1795 hingerichtet wurde. Sein Schädel ist im Kriminalmuseum in Wien ausgestellt. Eine Schande.

Ehalt will für eine ordentliche Bestattung sorgen, ein Ehrengrab sei die Absicht. Denn Österreich gedenke ja jener Personen, welche die revolutionären Gedanken der damaligen und der folgenden Jahrzehnte niedergeschlagen hätten, weniger der Aufklärer, die „eine ungeheuer eindrucksvolle Öffnungsbewegung“ ausgelöst hätten. Und genau um Öffnung, um Aufklärung, um Vermittlung geht es Ehalt.

Die Zweifel der Kulturwissenschaft

„Es passt“, sagt Ehalt, angesprochen auf Inhalt und enorme Menge an Publikationen, die im Picus-Verlag die wichtigsten Vorträge der Wiener Vorlesungen dokumentieren. Und ohne jeden Anflug von Prahlerei, eher mit jener Skepsis, wie sie für das Fach der Kulturwissenschaften charakteristisch ist, meint Ehalt zu den Dutzenden Büchern weiter: „Ich höre immer wieder Leute, die das lesen. Und die sagen, das ist zielsicher. Das ist genau. Obwohl es natürlich plakativ ist. Oder es ist eben auch plakativ. Aber ich glaube, es ist nicht schlecht. Es ist relativ präzise für ein Aufklärungsunternehmen.“ Und Ehalt lässt seine Sorge über das, was gegenwärtig als Mainstream, als herrschende Ansicht gehalten werden kann, erkennen.

„Es gibt in der Wissenschaft einige Entwicklungen, die den frei wehenden Geist und die Offenheit, die die Gestaltbarkeit der Welt durch den Menschen radikal infrage stellen. Etwa aus dem Bereich der Neurophysiologie und der Evolutionstheorie.“ Doch nicht nur ein fatal deterministisches Weltbild, auch eine lediglich an den Kriterien der Nützlichkeit und der Verwertbarkeit orientierte Bewertung von Wissenschaft läuft dem der Skepsis und der Reflexion verpflichteten Kulturwissenschafter zuwider.

Die aktuelle Entwicklung von Wissenschaft stehe in Zusammenhang mit einer gesellschaftlichen Entwicklung, der zufolge die Möglichkeit nützlicher Verwertung eine stets größere Rolle spiele. Diese Stärke der Naturwissenschaften macht jemand wie Ehalt weder den Disziplinen noch der Gesellschaft zum Vorwurf, ganz im Gegenteil. Aber es ist der Referenzpunkt für das Leiden an der Kulturwissenschaft, besser, für deren mangelnde Anerkennung.

Ergebnisse der Naturwissenschaften, der Molekularbiologie, der Pharmazie etwa, würden im direkten Interesse der Menschen liegen. Diese Wissenschaften würden ihre Nützlichkeit stets erweisen. Aber wie, so fragt Ehalt, ergehe es einem Kulturwissenschafter? Dessen Arbeitstag genau so lang sei wie jener des Naturwissenschafters. Was meine der an dessen Ende, also um Mitternacht? „Da sagt der Kulturwissenschafter: Vorhang zu und alle Fragen offen.“

Dieses Ergebnis mag nach den Kriterien der Nützlichkeit und Verwertbarkeit von geringem Wert sein, aber Kulturwissenschafter Ehalt sieht das anders. „Das ist ein glänzendes Ergebnis!“ Warum? „Weil es heißt, noch einen Tag wurde die Freiheit, wurde die Möglichkeit der Interpretation, der Gestaltung der Welt offengehalten.“

Diese Ergebnisse seien schwieriger zu vermitteln, aber sie seien wichtig: „Die Kulturwissenschaften erhalten unsere Leitwerte: Demokratie, Meinungs- und Gestaltungsfreiheit, Kritik und Skepsis“ Und weiter: „Sie warnen vor falschen Gewissheiten. Vor banalen Befunden. Sie zeigen, wie Demokratie funktioniert, die Unterdrückung funktioniert, wie Folter entwickelt und angewandt wird.“

Es geht um Diskurs, aber auch um Fakten

Die Kulturwissenschaften seien also im Grunde Demokratiewissenschaften, nicht automatisch demokratisch, aber sie bieten die Chance zur Demokratie. Sie seien im Wesentlichen davon abgegangen, Wahrheiten festzustellen. Sie würden eher sich kritisch reflektieren, sich die wissenschaftlichen Diskurse ansehen, dies unter dem Gesichtspunkt: Wie reden wir über die Dinge? Geschichte sei auch Diskursgeschichte. Aber Ehalt sieht, charakteristisch für sein Denken, die Kritik an diesen Auffassungen.

Es gebe Fakten: „Wenn Frauen schlechter bezahlt werden, dann ist das ein Faktum.“ Wenn man in der Geschichte von den Fakten ablenke und auf Diskurs abstelle, „dann hat das ja auch eine verniedlichende Funktion“: „Man lenkt von dem ab, was als Faktum veränderbar ist.“ Geschichte müsse also unter dem Gesichtspunkt der Faktizität und unter jenem von Diskurs und Erzählung gesehen werden.

So hat Ehalt, der als Historiker über „Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft“ dissertierte, seinen „ersten Hauptsatz der Kulturwissenschaft“ entwickelt: Die Wirklichkeit ist widersprüchlich und ambivalent. Was war dann die Initialzündung für die Wiener Vorlesungen? Ehalt: „Kern meines Engagements ist, dass es in unseren Wissenschaften auf den genau recherchierten Befund, auf eine präzise Darstellung und auch auf die Vermittlung ankommt.“ Eine Form dafür seien die Wiener Vorlesungen.

Nach Lehrjahren an der Universität und ersten allgemein öffentlichen Veranstaltungen an der Urania wurde Ehalt von Helmut Zilk 1984 zum Wissenschaftsreferent der Stadt Wien bestellt. 1987 gründete er die Wiener Vorlesungen, eine Erfolgsgeschichte, deren 25-Jahr-Jubiläum bald vorzubereiten ist. Ehalt in seinem Büchlein zu „Kunst und Kultur“: „Es ist immer wieder gelungen, Referentinnen und Referenten im Nobelpreisrang zu gewinnen, die ihre Wissenschaft und ihr Metier durch die Fähigkeit bereichert haben, Klischees zu zerschlagen und weit über die Grenzen ihres Faches hinauszudenken.“

Der Stolz ist berechtigt.

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