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Von Cecil Rhodes zu Dr. Banda

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Nach der Liquidierung des britisch-indischen Kaiserreichs hat man den Engländern vielfach den Vorwurf gemacht, daß eine Operation, deren Unabwendbarkeit jahrzehntelang vorauszusehen gewesen war, schließlich doch nicht gründlich überlegt und zu hastig durchgeführt wurde. In Zentralsüdafrika wird man den Briten einen ähnlichen Vorwurf kaum machen können, denn theoretische und praktische Vorbereitungen für einen Verzicht auf die Souveränitätsrechte waren in London schon zu einer Zeit im Gange, als von einem Rückzug der Kolonialmächte aus dem schwarzen Kontinent noch keine Rede war.

Das Territorium, um das es sich hier handelt, die beiden Rhodesien und Nyassaland, mit zusammen rund 1,26 Millionen Quadratkilometer, verdankt seine Verbindung mit der englischen Krone der Privatinitiative des Pioniers von Südafrika, Cecil Rhodes, und ebenso war seine Verwaltung durch mehr als dreißig Jahre, ähnlich wie die anfängliche britische Administration in Ostindien, im wesentlichen die Privatangelegenheit einer Gesellschaft, der British South Africa Company. Erst 1923 wurden die „landesherrlichen Rechte” dieser Gesellschaft von der britischen Regierung übernommen, wobei jedem der drei Teilgebiete, entsprechend seiner wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung und der Stärke des europäischen Bevölkerungselements, ein anderer Status zugewiesen wurde.

Das an die Südafrikanische Union und Bechuanaland angrenzende Südrhodesien erhielt mit einem eigenen Parlament und einer diesem verantwortlichen Regierung eine Autonomie, die praktisch nur hinsichtlich der Eingeborenenfragen beschränkt war, die sich London, vertreten durch einen Gouverneur mit militärischen Befugnissen, reserviert hatte. Die beiden anderen Teilgebiete wurden unter die Protektorate eingereiht, mit dem geringfügigen Unterschied, daß die dem Gouverneur beigegebene gesetzgebende bzw. beratende Körperschaft in Nyassaland durchweg aus ernannten, in Nordrhodesien teilweise aus gewählten Mitgliedern bestand.

Diese uneinheitliche Konstruktion war von Anfang an nicht als eine permanente Einrichtung gedacht, sondern als Grundlage einer Entwicklung, die schrittweise zur Zusammenfassung des gesamten Territoriums und seiner Selbstverwaltung führen sollte. Eine 1938 eingesetzte königliche Kommission bekam den Auftrag, die Voraussetzungen und Möglichkeiten einer engeren Verbindung zwischen den drei Teilgebieten „tpit voller Berücksichtigung der Interessen ihrer Bevölkerung, gleich welcher Rasse”, eingehend zu prüfen und hierauf ihre Vorschläge zu erstatten. Die Kommission machte ihre Sache gewissenhaft und gründlich, und so dauerte es sechs Jahre, bis, noch vor Ende des Weltkriegs, der Zentralafrikanische Rat einberufen werden konnte, um die in jenen Vorschlägen empfohlene enge Zusammenarbeit von Süd- und Nordrhodesien und Nyassaland in einer Reihe von Fachgebieten, wenn auch noch nicht auf politischer oder verfassungsrechtlicher Ebene, in die Wege zu leiten. Die Frucht der in der Folge gesammelten praktischen Erfahrungen war die am 4. September 195 3 in London erfolgte Proklanyerung der „Föderation Von Rhodesien und Nyassaland”, zugleich mit der Ankündigung, daß im Jahre 1960 Verhandlungen über den Zeitpunkt aufgenommen würden, zu dem die Föderation ihre volle Eigenstaatlichkeit und Unabhängigkeit im Rahmen des Commonwealth erlangen solle. Ungeklärt blieb dabei freilich die Frage, ob sich aus dem föderativen Zusammenschluß und der verheißenen Unabhängigkeit des Landes ein grundlegender Wandel in der Stellung der afrikanischen Bevölkerung ergeben würde.

Wie es jetzt mit der politischen Gleichberechtigung von „schwarz” und „weiß” in der Föderation aussieht, zeigt allein schon die Zusammensetzung der gesetzgebenden Bundesversammlung, die auf Grund des Aktes von 195 3 zugleich mit der in Salisbury amtierenden Bundesregierung ins Leben gerufen wurde. In diesem Parlament, bestehend aus 33 gewählten und zwei ernannten Mitgliedern, ist das afrikanische Element, das mehr als 95 Prozent der Gesamtbevölkerung umfaßt, bloß durch sechs Abgeordnete — zwei von jedem der drei Teilgebiete — vertreten. Noch schlimmer war bisher das Mißverhältnis im legislativen Rat von Nordrhodesien, wo neben 22 Vertretern der rund 70.000 Köpfe zählenden europäischen beziehungsweise asiatischen Minorität nur vier, und zwar vom Gouverneur ernannte Afrikaner saßen, um die Interessen von fast 2,2 Millionen zur Geltung zu bringen. Erst die kürzlich durchgeführte Verfassungsänderung hat die afrikanische Repräsentanz auf acht gewählte Abgeordnete erhöht. Die Diskriminierung blieb nicht auf das politische Gebiet beschränkt. So sind beispielsweise von den rund 40 Millionen Hektar landwirtschaftlich nutzbaren Bodens von Südrhodesien bloß etwa 15 Millionen Hektar für die Afrikaner reserviert, das übrige ist in europäischen oder asiatischen Händen; und dabei leben in diesem Teil der Föderation neben 178.0 Menschen europäischen Stammes und 13.0 Indern oder anderen Asiaten mehr als 2,3 Millionen Afrikaner.

Trotzdem waren die Beziehungen zwischen dem europäischen — weit überwiegend englischen — Bevölkerungsteil und der großen Masse der Afrikaner bis vor kurzem frei von ernsten Konflikten.

Im vorigen Jahr, genauer gesagt im Monat Juli, und zwar an dem Tag, an dem ein Doktor- Hastings Banda in sein heimatliches Nyassaland zurückkehrte, wendete sich das Blatt. Doktor Banda hatte fast sein ganzes Leben als Erwachsener in Amerika und in England verbracht; erst die letzten Jahre wieder in Afrika, wo er bei der Staatwerdung Ghanas mitgewirkt hatte. Er war also fast ein Fremdling, der auch die Muttersprache seiner Stammesbrüder kaum noch beherrschte. Aber er war der Ueberbringer einer Parole, die Zündete, wie ein Funke im

Pulverfaß: Afrika den Afrikanern. Und er gab seinen Landsleuten als erstes ein Ziel, das ihnen allen sofort erreichbar schien: die Befreiung noch nicht des gesamten föderierten Territoriums von der europäischen Herrschaft, sondern zunächst Loslösung von der Föderation und Errichtung eines selbständigen Staates Nyassaland, in dem 2,7 Millionen Afrikanern bloß 7000 Europäer und 11.000 Asiaten als unbedeutende Minorität gegenüberstehen würden. Diese erste Etappe einer umfassenden Befreiungsaktion glaubte Banda auf dem Wege des „zivilen Ungehorsams”, nach dem Vorbild Mahatma Ghandis, zurücklegen zu können, aber die Woge nationalistischer Begeisterung riß seine Anhänger mit sich fort. Man weiß, was folgte. Massenstreiks, tumuliuose Demonstrationen, Terrorakte, schließlich das Eingreifen rho- desischer und britischer Truppen. Nun liegen einige Hundert Afrikaner unter der Erde, und die Ruhe ist, offiziell, wiederhergestell’t. Aber das Verhältnis zwischen „weiß” und „schwarz” ist auch in den ruhig gebliebenen Teilen der Föderation nicht mehr, wie es vorher war. Mißtrauen und Furcht bei den einen, Mißtrauen und ein leidenschaftlicher Freiheitsdrang bei den anderen haben ihren Einzug gehalten und eine Spannung erzeugt, die nur durch einen Akt weitblickender Staatskunst friedlich zu lösen ist.

Man begreift, daß die Rhodesier europäischer Abstammung stolz sind auf die Leistungen, mit denen sie ein vor 50 Jahren primitives, menschenleeres und kaum erforschtes Land zu seiner heutigen hohen Blüte gebracht haben, und daß sie den Gedanken von sich weisen, die Herrschaft über dieses an Bodenschätzen und Energiequellen unermeßlich reiche Territorium einem Volk zu überlassen, dem heute noch die wichtigsten Voraussetzungen der Eigenstaatlichkeit fehlen. Trotzdem, in diesem Zeitalter des aufstrebenden afrikanischen Nationalismus kann es auch in der rhodesischen Föderation nicht unbeschränkt dabei bleiben, daß sieben Millionen Afrikaner dem Willen von nicht ganz 300.0 Europäern unterworfen und praktisch dazu verurteilt sind, ihnen Handlangerdienste zu leisten. Je früher die Europäer dies erkennen und sich bereit zeigen, ein Verhältnis echter Partnerschaft mit den Afrikanern herzustellen, desto sicherer werden ihre berechtigten Interessen, zugleich mit dem Wohl des Landes, das vielen von ihnen zum eigentlichen Vaterland geworden ist, gewahrt bleiben; über den unabwendbaren Tag hinaus, an dem die Regierung der heute zur rhodesischen Föderation gehörenden Gebiete in afrikanische Hände übergeht.

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