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Von Zwergen und Liliputanern

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Nach dem Krieg war in Europa der Ruf nach einem Kleinstwagen eine Forderung der Zeit. Die Autoindustrie konnte sich diesen Wünschen des Publikums jedoch nicht so rasch anpassen, weshalb vor allem Bastler sich diesem Projekt zuwendeten und auch eine Vielzahl von Einzelerzeugnissen schufen. Die Resultate dieser Bestrebungen waren natürlich weit davon entfernt, Serienreife zu besitzen. Sie taten vielmehr ausschließlich ihrem Besitzer Dienst. Trotzdem mußte die Industrie erkennen, daß in diesen zusammengebastelten Vehikeln eine ganze Reihe recht brauchbarer Konstruktionselemente Verwendung fand. Kleinere Firmen griffen deshalb die Produktion eines solchen Fahrzeuges auf und schufen mehrere solcher recht interessanter und brauchbarer, bereits in kleinen Serien hergestellter Fahrzeuge.

Geringer Kraftstoffverbrauch — Benzin war in den Nachkriegsjahren bekanntlich Mangelware — und erschwingliche Preise, die eine Anschaffung solcher Fahrzeuge ermöglichen, waren die Vorzüge dieser Konstruktionen. Vor allem das Dreiradfahrzeug war damals auf diesem Sektor tonangebend. Der Grund ist einleuchtend: Erstens entfallen beim Dreirad einige ansonsten erforderliche Konstruktionselemente, wie Differential, Kardanantrieb, Federelemente und so weiter. Außerdem bestand eine gewisse Ideenverbindung zum Motorrad mit Beiwagen.

Allmählich erst befaßten sich auch größere Werke mit der Projektierung solcher Kleinstfahrzeuge. Durch die Schwerfälligkeit großer Industrien kamen diese Fahrzeuge im wesentlichen erst zu einem Zeitpunkt auf den Markt, als das Bedürfnis und Interesse an dieser Fahrzeugkategorie bereits “wieder stark im Rückgang begriffen war. Wie denken hier nur an Konstruktionen, wie den Messerschmitt-Kabinenroller (dreirädrig), Champion (vierrädrig), Fuldamobil (dreirädrig), Kleinschnittger (vierrädrig) und so weiter. In Oesterreich war es die Bei-wagenfabrik Felber, die ebenfalls ein dreirädriges Fahrzeug, wenn auch in kleinen Serien, auflegte, jedoch bald erkennen mußte, daß das Geschäft zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gegeben war. Diese Fahrzeuge waren also nur kurze Zeit und in relativ kleinen Stückzahlen auf dem österreichischen Markt zu sehen und sind heute im Sträßenbild selten vertreten. Zwei Kleinstwagen konnten sich bei uns in Oesterreich einigermaßen behaupten, und zwar sind dies die BMW-Isetta (vierrädrig), die vierspurig ist, da die hinteren Räder eine ganz enge Spur aufweisen, damit das Differential gespart werden kann. Sie fand interessanterweise erst dann Anklang, als die ursprünglich italienische Konstruktion in Lizenz von BMW gebaut wurde. Jedoch kann auch hier nicht von großen Stückzahlen gesprochen werden, obwohl man sie heute im österreichischen Straßenverkehr immer wieder sieht und sogar Neuanmeldungen zu verzeichnen sind. Der zweite Kleinstwagen, der relativ spät auf den Markt gebracht wurde, war das Goggomobil. Dies ist vielleicht der einzige Kleinstwagen, der eine ständige Abnehmerschicht findet und auch heute noch in annehmbaren Stückzahlen ständig auf den Markt geworfen wird. Die Ursache hierfür dürfte darin zu suchen sein, daß es einerseits für zwei Erwachsene und zwei Kinder Platz bietet, anderseits äußerlich einem normalen Auto gleicht. Einen weiteren Grund für das Interesse an diesem Kleinstwagen kann man vermutlich auch noch in der Tatsache sehen, daß er bei der Internationalen Oesterreichischen Alpenfahrt seit zwei Jahren absolut gut abschneidet. Zweifellos ist das Goggomobil ein vollwertiges Fahrzeug, das in der Lage ist, einen anspruchslosen Kraftfahrer, der vor allen Dingen vor den Witterungsunbilden geschützt sein will, zufriedenzustellen. Leistungsfähigkeit und Spitzengeschwindigkeit sind ebenfalls ausreichend. Verbrauch, Anschaffungs- und Erhaltungskosten sind niedrig und! können mit einem mittelschweren Motorrad gleichgestellt werden.

Wie sich der Kleinstwagengedanke in nächster Zeit entwickeln wird, ist jedoch äußerst schwierig zu beurteilen: Aber wegen des wirtschaftlichen Aufschwungs sind die Aspekte für den Kleinstwagen nicht gerade günstig. Auf der anderen Seite darf nicht vergessen werden, daß nun auch eine Käuferschicht an Motorisierung denken kann, die bis vor einigen Jahren noch nicht im entferntesten hierfür in Betracht kam. Sie sind vor allem Anwärter auf ein Motorrad.

Nun ist aber offensichtlich, daß mit der Zeit immer mehr die Tendenz einer Abwanderung vom Motorrad zum wettergeschützten und vor allen Dingen weniger verkehrsgefährdeten Fahrzeug zutage tritt. Die Hebung des Lebensstandards in Verbindung mit dieser Tendenz bringen aber wiederum den neuen Interessenten und Anwärter für den Kleinstwagen. Diese Ueberlegungen dürften auch eine Reihe von großen Markenfirmen dazu bewogen haben, sich, obwohl der Kleinstwagen derzeit nicht die besten Aussichten zu haben scheint, mit der Schaffung neuer Konstruktionen auf diesem Gebiet zu befassen. Wir denken hier vor allem an N S U, eine der größten internationalen Motor-radfabriken, die in nächster Zeit mit einer Kleinstwagenkonstruktion auf den Markt kommen will. Ebenso wie man immer wieder Einzelheiten von einem Kleinstwagen hört, der in den Steyr-Daimler-Puch-Werken gebaut werden soll. Es ist durchaus möglich, daß von solchen Firmen, die eine große Erfahrung gerade in der Konstruktion von Kleinfahrzeugen besitzen, Kleinstkraftfahrzeuge auf den Markt gebracht werden, die unter Umständen auch rich|ige Verkaufsschlager werden könnten. Sie müssen es aber nicht. Die Situation auf dem Kleinstwagensektor ist heute schwieriger zu beurteilen denn je. Zumal heute der überfahrene Pkw., und zwar gerade in der Kleinwagenkategorie (also nicht in der Kleinstwagenkategorie), wie etwa Lloyd, Steyr-Fiat 600, Renault, Citroen usw., relativ billig gehandelt wird und als Altwagen oft in recht gutem Zustand nicht teurer kommt als ein neuer Kleinstwagen. Dieser kostet heute durchschnittlich zwischen 18.000 und 22.000 S. Der übertragene Kleinwagen jedoch kostet in gutem Zustand auch nicht mehr.

Würde es heute einer Fabrik gelingen, einen Kleinstwagen in der Preislage zwischen 12.000 und 16.000 S auf den Markt zu bringen, dann sind wir der Meinung, daß dieses Fahrzeug sicherlich Absatzmöglichkeiten hätte. Die Schwierigkeit einer solchen Preisgestaltung liegt aber anderseits wieder in den relativ kleinen Stückzahlen begründet. Kleinwagen, wie Lloyd und Steyr-Fiat 600, aber auch andere, sind Großserienerzeugnisse, die daher eine ganz andere Kalkulation zulassen. Ein nicht zu unterschätzender Faktor dürfte allerdings auch das Aeußere einer Kleinstwagenkonstruktion darstellen, da, wenn es die wirtschaftliche Situation nur einigermaßen zuläßt, vom Laien vor allem mit den Augen gekauft wird. Er will ein hübsches Fahrzeug haben, nicht die Zielscheibe gutmütigen Spottes werden, sondern sogar einigermaßen repräsentieren. Der technisch nicht versierte Käufer, der sich nur auf optische Eindrücke verlassen muß, kann sich daher zu einem solch „halben“ Automobil nur schwer entschließen.

Es wäre an sich schade, wenn sich der Kleinstwagen nicht durchsetzen könnte, da er dem Motorrad gegenüber eine ganze Reihe von wesentlichen Vorteilen aufzuweisen hat, die nicht nur im größeren Komfort begründet sind, sondern vor allem in seiner weit größeren Verkehrssicherheit und in seinem Insassenschutz. Der Rückgang im Motorradgeschäft wird zweifellos nicht nur NSU dazu veranlassen, sich mit der Schaffung eines Kleinstwagens intensiv zu beschäftigen. Wir sind vielmehr heute schon davon überzeugt, daß sich auch andere Motorradfabriken dieser Tendenz anschließen werden müssen, wollen sie früher oder später nicht vollständig aus dem Geschäft hinausgedrückt werden. Gerade die Motorradfabrik aber ist, wie erwähnt, zur Schaffung solcher Fahrzeuge prädestiniert, denn sie verfügt nicht nur über Erfahrung in der Konstruktion, sondern von vornherein über entsprechende Maschinen zwischen 125 und 3 50 ccm. Es könnte also durchaus einmal dazu kommen — ohne daß wir hier prophezeien wollen —, daß die Motorradindustrie da und dort unter Umständen vollends auf die Produktion von Kleinstwagen umschwenkt und für den Motorrad- und Mopedsektor ausschließlich Maschinen fertigt, die über 175 ccm nicht hinausgehen. Das soll nun nicht heißen, daß nicht die eine oder andere Fabrik weiter Motorräder, darunter auch schwerfre Maschinen von 350 ccm aufwärts, fertigen wird. An solchen Fahrzeugen wird wahrscheinlich immer ein gewisser Bedarf zu verzeichnen sein. Er könnte eines Tages nur so gering werden, daß er ein Werk nicht voll auszulasten vermag. In Amerika ist es überhaupt nur noch eine Fabrik, die schwere Motorräder baut, und zwar die bekannte Harley.

Die großen mitteleuropäischen Motorradfabriken weiden eventuell bereits heuer im Herbst zur Wiedereroberung des Marktes durch den Kleinstwagen ansetzen. Die Modelle werden um einiges ansprechender und billiger sein müssen, soll ihnen Erfolg beschieden sein. Nicht zu unterschätzen wird auch eine intensive Reklame sein.

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