"Vor Sehnsucht vergehend..."

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Leseproben aus dem lange Zeit verschollenen Briefwechsel Kaiser Maximilians von Mexiko mit seiner Frau.

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Leseproben aus dem lange Zeit verschollenen Briefwechsel Kaiser Maximilians von Mexiko mit seiner Frau.

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Thema: "Sensation" ist in diesem Fall kein zu starkes Wort. Dieser Tage erscheint der wieder aufgefundene Briefwechsel zwischen Kaiser Maximilian von Mexiko und Charlotte: "Vor Sehnsucht nach Dir vergehend", herausgegeben von Konrad Ratz im Amalthea-Verlag.

Das Besondere an diesem Briefwechsel liegt darin, dass er eine Beziehung dokumentiert, über die man bisher wenig wusste und daher viel spekulierte ... Der Briefwechsel liefert ein neues und tiefes Bild der Gefühls- und Geistesbeziehungen zwischen Maximilian und Charlotte ...

1853 befährt Maximilian als Korvettenkapitän mit der "Minerva" das östliche Mittelmeer. Er kommt bis Konstantinopel, wo er den Sultan besucht. Der Kaiser, erfreut über die diplomatische Tüchtigkeit seines Bruders, befördert ihn zum Konteradmiral und Oberkommandierenden der Kriegsmarine. Max hat damit jenes Betätigungsfeld erhalten, in welchem er am glücklichsten sein wird ...

Bei einem Abstecher nach Brüssel lernt der 24-jährige Charlotte, die 16-jährige Tochter des belgischen Königs Leopold I. aus dem Hause Sachsen-Coburg kennen. Das willensstarke, stolze und introvertierte Mädchen ist hübsch, gebildet, musikbegeistert, sprachenkundig und von kritischem Geist ... Auch König Leopold, der ein Onkel der englischen Königin Victoria ist und in zweiter Ehe mit der Königstochter Louise-Marie von Orleans vermählt war - Charlottes Mutter - findet eine Verbindung seiner Tochter mit einem österreichischen Erzherzog durchaus erstrebenswert. Charlotte ist bald in den charmanten Habsburger verliebt. Max muss sich erst mit dem Gedanken einer lebenslangen Bindung vertraut machen. Er beschreibt seine Braut seinem Bruder Ludwig Viktor, und dieser gibt "Maxis" Eindrücke an die Erzherzogin Sophie weiter: "Sie sei klein, das wäre ihm recht, sie sei brunett, er sei blond, das wäre auch sehr gut, sie sei sehr gescheidt, das wäre wohl etwas bedenklich, allein er werde sich schon darein finden."

* Dass sich Max trotz aller Warnungen und seiner eigenen politischen Erfahrung als Generalgouverneur in Lombardo-Venetien für die Annahme des ihm angebotenen mexikanischen Thrones entschieden hat, ist erstaunlich. Offenbar weckte aber die frustrierende Vergangenheit in ihm den Wunsch und die Hoffnung, das Experiment bei einer zweiten Gelegenheit - fern von seinem autoritären Bruder - mit besserem Erfolg zu wiederholen ...

Jedenfalls sahen Maximilian und Charlotte, Mitspieler der "großen Idee" Napoleons, das Risiko des mexikanischen Unternehmens als vertretbar an, waren sie doch selbst "Zivilisations- und Friedensbringer", voll Vertrauen auf die unbegrenzte Macht ihres großen französischen Protektors. Persönlich winkte in Mexiko der höchst befriedigende Einsatz ungenutzter Kräfte zum Wohle eines dafür (wie sie hofften) dankbaren Landes - Selbstverwirklichung in altruistischem Kleid. Zweifellos war Charlotte die Impulsgeberin, die geschickte Regisseurin des Spiels um die Krone. Sie tat dies im Vertrauen auf tatsächlich vorhandene, bisher ungenutzte Fähigkeiten ihres Gemahls, den sie einmal bewundernd als "geliebte Perfektion" ansprechen wird. Umgekehrt hätte Maximilian ohne volles Vertrauen in die außergewöhnliche politische Begabung Charlottes, ihre Ausdauer und ihren kompromisslosen Einsatz für die einmal als providentiell [von der Vorsehung bestimmte] erkannte Sache, das Thronangebot kaum angenommen. In letzter Minute kam hinzu, dass Franz Joseph seinen Bruder brutal zwang, auf seine Nachfolgerechte zu verzichten und ihn praktisch vor die Tür setzte - dieser "Dank des Hauses Habsburg" für seine Leistungen, die sich 1866 im österreichischen Seesieg von Lissa klar zeigten, hat Maximilian lebenslang zutiefst verletzt ...

Wenn man Charlotte mit ihrer Schwägerin Elisabeth vergleicht, sieht man am besten, was sie ihrem Mann bedeutete. Elisabeth, aus herzoglichem Hause stammend, war eine "Kaiserin wider Willen" (Brigitte Hamann), die sich durch Reisen oder psychosomatisch bedingte Krankheiten nach Möglichkeit allen repräsentativen Verpflichtungen entzog, um ihre "Selbstverwirklichung" - Sport, Reiten, Dichten, Griechischstudien - fern aller Politik zu betreiben. Als Gattin kaum vorhanden, fiel sie als Kaiserin fast völlig aus. Dagegen war die Königstochter Charlotte in erster Linie Herrscherin, die großen Anteil an der Tagespolitik nahm und eine Arbeitsteilung mit Maximilian ermöglichte. An der Seite ihres Mannes setzte sie sich bis zum letzten für das "Mexikoprojekt" ein ... Während der Trennungen schrieben sich Maximilian und Charlotte beinahe täglich. Der private Charakter ihrer Briefe zeigt sich darin, dass sie eigenhändig und deutsch geschrieben wurden ...

Maximilians stete Treuebeteuerungen ("Dein Dir ewig treuer Max") "beweisen" natürlich nicht seine tatsächliche Treue. Die Liebesworte und die Schilderungen des Trennungsschmerzes, der warme Ton und die Länge der Briefe belegen aber eine tiefe Gefühlsbindung: Maximilian und Charlotte ergänzten sich und führten eine intakte Ehe. Diese war zwar durch Kinderlosigkeit und besondere politische Umstände belastet, die gemeinsame Aufgabe hielt sie aber auf eine zugleich tragische wie beglückende Weise zusammen.

* M. an C., Miramar, 2. 4. 1860: Den morgen abgehenden Dampfer kann ich endlich benutzen, um Dir meinem Leben und meinem einzigen Troste, zu schreiben; könnte ich nur selbst mit dem Dampfer zu Dir in das schöne, warme La Croma fliegen, wie wäre ich glücklich!!! - Ich habe in Miramar ein Heimweh nach Dir, bestem Engel, welches sich nicht beschreiben läßt, ich bin melancholisch, tiefsinnig, möchte wie ein Kind weinen und fühle mich so unfähig, allein und verlassen. - Dabei ist hier eine Kälte wie im tiefsten Winter, vom Frühjahr ist noch gar kein Anzeichen, und ich beneide alle La Cromenser. ... Die Cameelien blühen, trotz des strengen Winters, ganz wundervoll und haben eine Blüthenzahl, wie ich es noch selten gesehen habe. Gestern fand ich im Garten eine dunkel violette Peranike, die ich voriges Jahr in Monza ausgegraben, blühend, als ich sie sah, habe ich fast angefangen zu weinen, denn den Schmerz um die Lombardei kann ich noch immer nicht überwinden. Ich schicke Dir die Blüthe getrocknet mit diesem Briefe ...

* M. an C., Wien, 1. 1. 1861: Mein bester Engel! Mein Telegramm wird Dir meine innigen Wünsche schon in aller Früh im lieben Miramar überbracht haben, es hat Dir aber nicht Alles sagen können, was mein armes Herz fühlte, wie es für Dich, mein Engel, bethete, und wie traurig es war, nicht bei Dir, meinem Magnet und einzigen Centrum sein zu können. Ich habe gestern den ganzen Abend Lust gehabt zu weinen, und war so traurig und melancholisch wie ich es schon seit langem nicht gewesen. In meiner Wohnung hier hatte ich immer unwillkürlich Lust, zur Türe zu laufen, wo Du das letztemal gewohnt. Ich kann mich nicht hineinfinden, ohne Dir zu sein ...

* M. an C., Schönbrunn, 10. 6. 1861: Innigen herzlichen Dank für Deinen lieben, mich so beglückenden Brief, der mir wieder Freude und Trost brachte. Wie freut es mich, daß Du Gelegenheit hattest zu fischen, und dass Du Vergnügen daran findest, für Miramar, dem Seeschlosse, ist das eine sehr angezeigte Unterhaltung. Mir ist nun wieder wohl, aber trotzdem muß ich in meiner Wohnung heizen, so feucht und kalt ist es. In Schönbrunn ist fast Alles krank, und zwar hauptsächlich in Folge des schrecklichen Zuges, der immer bei der Mama oben ist, und der zur wahren Calamität wird ...

* M. an C., Schönbrunn, 27. 1. 1864: Morgen früh ziehe ich also endlich heim und freue mich kindisch, zu Dir und in mein liebes, ruhiges Miramar zurück ... Gestern war ich mit dem Kaiser und der Kaiserin auf dem Bürger-Ball, der sehr kalt, unbesucht und langweilig war; der Empfang der Majestäten war ein mehr als kühler, man sprach mit fast Niemandem, das Ganze war unheimlich und unfreundlich ... man versteht nicht, die Herzen zu gewinnen!

* C. an M., Palacio Nacional, Mexico, 3. 10. 1864: Ich sehne mich schon so nach Dir, daß ich gar nicht sagen kann, wie ... Wir werden bald von Dieben gegessen werden, wenn Du nicht kommst ... Ich beschwöre Dich, dabei zu bleiben die mex. Armee und alle Corps derselben ohne weiteres aufzulösen, wenigstens es als Princip für die nächste beste Gelegenheit aufzustellen. Es war der letzte Wunsch Cortas, dasselbe wird man mit der Justiz, mit der Administration und wahrscheinlich mit dem acktiven Clerus tuen müssen. So muß man wohl einmal anfangen: Wenn Du es auf so hübsche Art machst, wie Absetzung der Autoritäten in Guanajuato, so wird kein Hahn krähen. Die Art macht alles mit guter Form, besonders hier ist alles möglich. Umso mehr als das ganze Land die Armee haßt und verachtet. Es gibt auch kein zweiter solcher Herd von Schmutz, psychisch und moralisch und Sittenlosigkeit, wie es wahrscheinlich in den verdorbensten Orten Europas kaum so arg ist. Das Land wird Dir dafür danken und ich bitte Dich um alles, Baz[aine] darüber nicht anzuhören. Was nationale Truppen anbelangt, Du bist der nationale Souverän und basta.

* C. an M., Palacio de Mexico, 29. 4. 1865: Unendlichen Dank für den lieben Brief von dem 27.ten, der mich innigst freute. Die Stimmung hier ist vortrefflich, seit dem Tode Lincolns, der Chef der Demagogie in Amerika; die Rothen sind wie vom Blitze getroffen und werden es Deinem Glücke zusprechen, dieser Ideal der Befreiung, der mit dem Juarez so eng verbunden, ist also nicht mehr! Mir sind die Eindrücke, die ich in Italien in meinem neunzehnten Jahr über eine schlechte Lage der Dinge empfing, noch zu lebhaft, um Dir nicht sagen zu können, daß in der Hauptstadt vor acht Tagen und bis jetzt eine schwülste Luft, das Anzeichen eines kommenden Sturmes, wehte ... Die Leute grüßten mich gestern Abend auf eine lachende Art wie noch nie, das Gefühl der Nationalität kann doch durch keine Leidenschaft ganz erstickt werden.

* Ende 1865 sterben Lord Palmerston und König Leopold I. von Belgien, die das mexikanische Projekt stets wohlwollend betrachtet haben. Zu Beginn des Jahres 1866 mehren sich die negativen Vorzeichen für das Schicksal des Kaiserreiches. Am 15. 1. schreibt der unter amerikanischem Druck stehende Napoleon III. an Maximilian, er sei gezwungen, "endgültig einen Schlußtermin für die französische Besatzung zu bestimmen". Bazaine wird instruiert, spätestens Anfang 1867 mit dem Truppenabzug zu beginnen. Diese Hiobsbotschaften erreichen Maximilian Mitte Februar zugleich mit Meldungen über die immer häufigeren Siege der republikanischen Truppen ...

Nachdem Napoleon Maximilian ankündigt, seine Truppen endgültig aus Mexiko abzuziehen, reist Charlotte am 8. 7. 1866 nach Europa ab. Vorher warnt sie Maximilian in einem französisch geschriebenen "Memoire", welches in einem eindringlich pathetischen Stil abgefasst ist, vor der Abdankung. Sie appelliert an seine Fürstenehre und geht mit keinem Wort auf die verzweifelte Lage des Kaiserreiches ein. Zuvor hat es vermutlich Auseinandersetzungen zwischen den Ehepartnern gegeben. Dennoch überwiegt nach der Abreise auf beiden Seiten der Trennungsschmerz ...

Charlotte erreicht am 9. 8. Paris und nimmt im neuerbauten Grand Hotel Logis. Zwei Tage später empfängt sie Napoleon III. Die Kaiserin fordert die Abberufung Bazaines, einen Aufschub für die Rückführung des Expeditionskorps bis April 1867, sowie ein 2-jähriges Moratorium für die Zahlung der Schulden des mexikanischen Kaiserreiches an Frankreich. Napoleon ist tatsächlich außerstande, diese Forderungen zu erfüllen, da seine gesetzgebenden Körperschaften, die öffentliche Meinung und nicht zuletzt die USA ultimativ das Ende des französischen Einsatzes in Mexiko verlangen. Außerdem droht eine kriegerische Auseinandersetzung mit Preußen. Die Liste der Personen, welche Charlotte zwischen 9. und 17. 8. besuchen, ist so umfangreich, dass Charlotte keine Minute Zeit hat, ihre erfolglosen Vorsprachen bei Napoleon und dessen Ministern innerlich zu verarbeiten. Die ihre Kräfte übersteigende Nervenanspannung löst erste Ideen eines sich langsam entwickelnden Verfolgungswahns aus. Vorzeichen finden sich in ihren Briefen, die Napoleon nun endgültig zum Feindbild stempeln, ja dämonische Züge verleihen ...

Charlottes Geisteskrankheit wird am 11. 8. 1866 in Miramar ... als schwerer Verfolgungswahn erkannt. dass man sie trotz dieser Diagnose im September eine Reise zum Papst in Rom unternehmen lässt, mag darauf hindeuten, dass die Ärzte diese Diagnose weitgehend für sich behalten. Charlotte und ihr Gefolge planen die Rückkehr von Rom nach Mexiko ... Erst der spektakuläre Ausbruch der Krankheit in Rom lässt ihre Umgebung endlich reagieren.

"Vor Sehnsucht nach dir vergehend". Der private Briefwechsel zwischen Maximilian von Mexiko und seiner Frau Charlotte. Amalthea Verlag, Wien 2000. 464 Seiten, Ln., Bilder, öS 398,- /e 28,92

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