Gehirn - © Illustration: Rainer Messerklinger

Felix Hasler: "Vorsicht vor dem Neuro-Hype!"

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Die Neurowissenschaften gelten heute als Leitwissenschaft. Ein Gespräch mit Felix Hasler, der den Boom der Gehirnforschung mit Skepsis verfolgt.

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Die Neurowissenschaften gelten heute als Leitwissenschaft. Ein Gespräch mit Felix Hasler, der den Boom der Gehirnforschung mit Skepsis verfolgt.

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Mit einer "Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung“ hat der Liechtensteiner Pharmakologe Felix Hasler im Vorjahr für großes Aufsehen gesorgt. DIE FURCHE sprach mit Hasler über die potenziellen Gefahren infolge einer überzogenen Interpretation neuro-wissenschaftlicher Daten.

Die Furche: Bildgebende Verfahren vermitteln heute Einblicke in die Struktur und Funktion des Gehirns. Kann das dadurch generierte Wissen auch gefährlich werden?

Felix Hasler: Der aktuelle Neuro-Hype hat sich ganz wesentlich an genau diesen Bildern des Gehirns entzündet. Hoch technologische Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) haben vermeintlich die Möglichkeit geschaffen, dem Gehirn beim Wahrnehmen, Denken und Fühlen zuzusehen. Diese visuell beeindruckenden Bilder des Gehirns verfügen auch über viel mehr Suggestivkraft als zum Beispiel die EEG-Kurven, mit denen ja bereits seit den 1930er Jahren Hirnprozesse dargestellt werden. Die modernen Hirnbilder haben entscheidend dazu beigetragen, dass die Neurowissenschaften heute zu einer Leitwissenschaft mit allumfassenden Erklärungsmodellen geworden sind. Das Problem dabei ist, dass so ein High-Tech-Bild zwar aussieht wie ein quasi-fotographisches Abbild des Gehirns, in Wirklichkeit aber etwas ganz anderes ist - nämlich das graphisch aufbereitete Endprodukt einer langen Kette komplexer und fehleranfälliger Berechnungen. Das Gefahrenpotenzial liegt darin, dass den Hirnbildern vorschnell ein Wahrheitsgehalt zugeschrieben wird, der wissenschaftlich überhaupt nicht berechtigt ist.

Die Furche: Im Hinblick auf die Rechtsprechung hat die Hirnforschung zu Debatten geführt, ob und wie "gefährliche Gehirne“ zu identifizieren sind. Wie beurteilen Sie diese Szenarien?

Hasler: Werden Bilder des Gehirns dazu herangezogen, auf bestimmte Verhaltensweisen oder gar das Begehen von Straftaten zu schließen, wie dies im Rahmen der jungen Disziplinen "Neuro-Recht“ bzw. "Neuro-Forensik“ ja bereits diskutiert wird, werden sie tatsächlich zu gefährlichen Bildern. Bei einem Gerichtsverfahren könnte die Feststellung einer funktionellen Gehirnanomalie den Angeklagten bei den Geschworenen rasch zu einem Täter werden lassen, ganz im Sinne von "Das Gehirn ist schuld an seiner Straftat“. Die Idee einer präventiven Identifizierung von Personen mit vermeintlich "riskanten Gehirnen“ kann dann rasch zu vorsorglichen Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen führen. Insbesondere in repressiv ausgerichteten Gesellschaften ist dies höchst problematisch. In Wahrheit ist es aber bis heute nicht gelungen, einen bestimmten Gehirnzustand ursächlich mit einem bestimmten Verhalten in Verbindung zu bringen. Wichtig ist auch, dass viele Menschen Schädigungen des Gehirns aufweisen, aber nie zu Straftätern werden. Biologie ist eben nicht Schicksal.

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