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Vorzuge der Zweiten Lesung

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Es ist ein Vorzug der Zweiten Lesung, daß die Privilegierung, die in der Ersten Lesung durch die Schaffung eines eigenen Deliktstyps, der Tötung aus Mitleid, vorgenommen wurde, keine Billigung fand. Es ist ferner auch in der neuen Fassung des Mordbegriffes ein Fortschritt gegenüber der ersten Lesung zu erblicken. Vor allem ist die vorsätzliche Tötung Mord und nicht, wie es der erste Entwurf vorsah, nur vorsätzliche Tötung. Weiters wird die Qualifikation nunmehr im Gegensatz zur ersten Lesung nicht in der Niedrigkeit des Wesens (des Täters) gesehen, sondern darin, daß der Täter entweder aus einem besonders verwerflichen Beweggrund oder zu einem besonders verwerflichen Zweck oder auf besonders verwerfliche Weise handelt.

Zu den heißen Eisen gehört der Komplex der Abtreibung der Leibesfrucht, . beziehungsweise. der leichtfertige Eingriff an einer. Schwangeren. Hier zeigt sich, wie der Strafgesetzgeber vorgehen kann, wenn er zum Ausdruck bringen will, daß der Unrechtsgehalt der Tat nicht besonders groß und daß daher ein erhöhter Rechtsschutz nicht notwendig ist.

Die Abtreibung durch die Schwangere wird einerseits nur mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr belegt — auch für die Tierquälerei wird diese Strafe festgelegt und mit einem Minderheitsvotum sogar eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren beantragt —, und anderseits wird vorgesehen, daß in besonders leichten Fällen das Gericht von Strafe absehen kann. Damit noch nicht genug, wird noch verfügt, daß die Verjährung in zwei Jahren eintritt, also im Gegensatz zur Tierquälerei eine Verjährungsverkürzung festgelegt; daß gegen alle diese Mittel zur Minderung des Rechtsschutzes von unserer Seite Minderheitsvoten eingebracht wurden, die einerseits dahin gehen, eine höhere Freiheitsstrafe festzusetzen, und anderseits zum Inhalt haben, daß das Gericht bei der Abtreibung durch die Schwangere — es handelt sich doch um eine vorsätzlicheTat — keineswegs von Strafe absehen darf und daß hier auch keine Verjährungsverkürzung am Platze ist.

Die gleiche Tendenz weist die Behandlung des leichtfertigen Eingriffs an einer Schwangeren auf. Hier geht es um die Umschreibung der Gründe, die die Strafbarkeit ausschließen, also darum, ob nach wie vor nur ein Eingriff, der medizinisch indiziert ist, straflos, oder ob darüber hinaus auch die eugenische Indikation oder die“this'che' straflos machen soll, demnach, ob die Angst der Schwange-X'en,_ “el'ri ufiheilbaV sieches Kind' oder ein Kind zu gebären, das durch eine verbrecherische, gewaltsame Schwängerung gezeugt worden ist, die Strafbarkeit ausschließt. Weltalnschau-liche Gegensätze müssen hier aufeinandertreffen: nicht nur in Österreich, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland. In Deutschland geht es allerdings nur um die Zulassung der ethischen Indikation, was Professor Dr. Werner als ein heißes Eisen bezeichnet hat. Im österreichischen Entwurf wird diese Frage dadurch kompliziert, weil man sich zwar grundsätzlich gegen die Ausdehnung der zulässigen Indikation über die mezulegen versucht, daß die angebotene Formulierung des Tatbestandes „leichtfertiger Eingriff an einer Schwangeren“ keineswegs die Zulassung der eugenischen, der ethischen und sozialen Indikation bedeute, obwohl der Entwurf verlangt, daß bei der Entscheidung der Frage, ob die Gefahr einer lang dauernden schweren Schädigung an der Gesundheit nicht anders abwendbar ist, auch die wirtschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, unter denen die Frau zu leben gezwungen ist, oder gegebenenfalls auch zu prüfen ist, ob nicht die Angst der Schwangeren, ein solches Kind zu gebären, wie oben bereits ausgeführt wurde, die Gefahr eines lang dauernden schweren Schadens an ihrer seelischen Gesundheit begründet (eugenische beziehungsweise ethische Indikation).

Wir meinen, ein Strafgesetz kann entweder nur eine medizinische Indikation festlegen oder daneben eine ethische, eugenische oder soziale Indikation. Gegen die Ausweitung der Indikation haben wir uns ausgesprochen. Wir haben uns auch gegen die Verhüllung anderer Indikationen im Kleide der medizinischen Indikation gewendet. Wir können es daher nur begrüßen, daß Dr. Tschadekin seinem Buche, „Eine Justizreform geht jeden an“, ausdrücklich ausführt, im Strafgesetzentwurf werde eine „sozial-medizinische Indikation“ festgelegt, und daß er damit offen Farbe bekennt. Wir hatten daher recht, wenn wir diese Formulierung des Entwurfes ablehnten.

In ähnlicher Weise mußten wir bei der Behandlung der Unzuchtsdelikte vorgehen, wenn auch in der Zweite Lesung an der Einengung des kriminell Strafbaren auf diesem Gebiet festgehalten wurde. Hier verlangten wir, allerdings nur mit einem Minderheitsvotum, dde Bestrafung der Unzucht wider die Natur, wie sie im geltenden Strafgesetz festgelegt ist. Für die Aufweichung des Strafrechtes in dieser Sparte und damit für die Einengung der Strafbarkeit konnten uns keine überzeugenden Gründe vorgebracht werden.

Zu begrüßen sind die Änderungen, ich darf wohl sagen Verbesserungen, im Bereich des Abschnittes der strafbaren Handlungen gegen die Religion, wie es nunmehr heißt an Stelle der Bezeichnung in der ersten Lesung, gegen den religiösen Frieden. Die Gotteslästerung hat nicht mehr, wie in der ersten Lesung, die Gottesidee zum Gegenstand, sondern G'o 11, wie er von den Angehörigen einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft verehrt wird und besteht darin, daß strafbar wird, wer eben durch Schmähung, Beschimpfung oder Verspottung Gott unter Umständen lästert, unter denen sein Verhalten das religiöse Gefühl der Angehörigen dieses Bekenntnisses zu verletzen geeignet ist. Neben der Gotteslästerung wurde die Herabwürdigung religiöser Lehren und die Störung einer Religionsübung in einer, wie mir scheint, nicht unannehmbaren Formulierung kriminalisiert. Es wird noch zu prüfen sein, ob die Strafen bei diesen Tatbeständen nicht höher anzusetzen sein werden, will man nicht zum Ausdruck bringen, daß der Unrechtsgehalt dieser Taten kein großer sei.

Die Übersicht über die Einschränkung des Strafbaren zeigt, daß auch hier der Gesetzgeber über Mittel verfügt, sie herbeizuführen, also die Veränderung des Tatbestandes, wie zum Beispiel beim leichtfertigen Eingriff an einer Schwangeren, die Festsetzung einer geringeren Strafe, zum Beispiel bei der Abtreibung durch die Schwangere, oder die Verkürzung der Verjährungszeit, siehe hierzu das Delikt der Abtreibung durch die Schwangere, oder die Schaffung eines privilegierten Tatbestandes, wie dies ursprünglich bei der Tötung aus Mitleid der Fall war. Vollständige Ausscheidung aus dem Bereich des Kriminellen bei einzelnen Tatformen der Unzucht wider die Natur, die Einführung der tätigen Reue bei den Delikten gegen die Rechtspflege, die Abstellung auf die qualifizierten Schuldformen der Absicht und Wissentlichkeit statt auf bloßen Vorsatz, ebenso wie die Vermehrung der Antrags- und Ermächtigungsdelikte gegenüber dem geltenden Recht, sind weitere Mittel, den Bereich des Strafbaren einzuschränken.

Es würde den Rahmen dieser Ausführungen sprengen, wollte ich mehr geben als einen Einblick in die Werkstatt der Gesetzesvorbereitung und mehr als einen allgemeinen Überblick über die Arbeit der Kommission. Wenn es mir gelungen ist, darüber hinaus noch die Zusammenhänge und in manchen Fällen auch die Hintergründe klar- beziehungsweise bloßzulegen, so sehe ich meine Aufgabe damit erfüllt. Eines allerdings wollte ich vermeiden, nämlich durch Auseinandersetzungen über Einzelfragen den Blick für die Strafrechtsreform eis solche und damit auch für die positiven Ergebnisse der Tätigkeit der Strafrechtskommission zu versperren. Ich darf auch nicht verschweigen, daß nicht wenige Forderungen unerfüllt blieben, dde wir vom Standpunkt der katholischen Weltanschauung an das Strafgesetz stellen müssen. Es ist also der vorliegende Entwurf der zweiten Lesung von unseren Vorstellungen, die wir vom Ideal eines Strafgesetzes haben, noch weit entfernt.

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