Wenn du willst, kannst du

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Er hat das Down-Syndrom und schaffte dennoch einen Universitätsabschluss. Nun zeigt der Spanier Pablo Pineda, dass er noch mehr kann. Er spielt seine erste Rolle im Film "Yo, también - Me too", der nun in die heimischen Kinos kommt. Der außergewöhnliche Schauspieler im FURCHE-Interview über sein Leben im Kampf gegen etliche Vorurteile.

In Spanien ein Medienstar, in internationalen Akademikerkreisen ein anerkannter Experte und auf der Kinoleinwand eine Ausnahmeerscheinung - auf keinen anderen (Laien-)Schauspieler trifft die Bezeichnung "außergewöhnlich" besser zu als auf den 1975 mit Down-Syndrom geborenen Tausendsassa Pablo Pineda.

Die Furche: Welchen Vorteil hat es, wenn man statt der üblichen 46 Chromosomen 47 hat?

Pablo Pineda: (Lacht) Eine interessante Frage. Ich glaube, ein Vorteil ist, dass sich Menschen mit Down-Syndrom selbst keine Grenzen setzen - ihre Gefühle sehr expressiv ausdrücken und ihre Sentimentalität nicht unterdrücken.

Die Furche: Haben Sie durch Ihre Erkrankung einen besonderen Ehrgeiz entwickelt?

Pineda: Down-Syndrom ist keine Krankheit, es ist ein Zustand! Ich glaube, dass viele einfach überrascht sind, was wir zu leisten imstande sind. Erst die Art und Weise, wie die Gesellschaft über Menschen mit Down-Syndrom denkt, macht meine Leistungen zu etwas Besonderen. So gesehen habe ich einen Teil meines Erfolgs sicher meinem Zustand zu verdanken.

Die Furche: Wann wurde Ihnen zum ersten Mal bewusst, dass Sie anders sind?

Pineda: Eigentlich schon als Kind: Ich war oft jähzornig, habe mich leicht aufgeregt und war sehr gefühlsbetont. Ich wusste damals allerdings noch nicht, dass ich Down-Syndrom habe. Erst während meiner Schulzeit wurde ich darauf angesprochen und ich habe zwei Fragen gestellt: Bin ich dumm? Und: Kann ich hier an der Schule bei meinen Freunden bleiben? Die Antwort meines Professors war: "Nein, du bist nicht dumm - und natürlich kannst du bleiben."

Die Furche: Mit welchen Vorurteilen wurden und werden Sie konfrontiert?

Pineda: Im Laufe meines Lebens hat sich die Art der Ausgrenzung verändert. Anfangs waren die Anfeindungen offen und direkt, heute ist man mir gegenüber politisch korrekt. Ich werde jetzt nicht mehr als "Mongo" beschimpft, aber man sagt zu mir: "Für Ihre Erkrankung wirken Sie eigentlich recht intelligent."

Die Furche: Ein Vorurteil, das auch im Film thematisiert wird, betrifft den Umgang von Down-Syndrom-Betroffenen mit ihrer Sexualität ?

Pineda: Das Problem ist, dass die Gesellschaft nicht versteht, dass auch jemand mit Down-Syndrom sexuelle Bedürfnisse hat - wir keine asexuellen Wesen sind. Früher lautete ein Vorurteil: Das sind alles Perverse. Heute heißt es: Das sind asexuelle Wesen, die kein sexuelles Verlangen haben - was natürlich Blödsinn ist. Menschen mit Down-Syndrom können heute zwar leichter ihre Sexualität ausleben als früher, dennoch sind sie ständig mit Kritik und Bevormundung konfrontiert.

Die Furche: Was ist Ihrer Meinung nach das wichtigste Mittel im Kampf gegen Vorurteile und Ausgrenzung?

Pineda: Bildung und Wissen - und zwar auf beiden Seiten: Menschen mit Down-Syndrom müssen motiviert, lern- und förderwillig sein und die Gesellschaft muss lernen, auf unsere Bedürfnisse einzugehen.

Die Furche: In Ihrer spanischen Heimat sind Sie ein Medienstar, wie gehen Sie mit Ihrer Role-Model-Funktion um?

Pineda: Meine Bekanntheit bringt natürlich Verantwortung mit sich, die Vor- und Nachteile hat. Ich habe mich schon oft gefragt, ob es mehr Segen oder Fluch ist: Positiv ist, dass ich mein Wissen über das Down-Syndrom vielen Menschen weitergeben kann, fremde Länder bereise und interessanten Menschen begegne. Negativ ist, dass man ständig im Zentrum der Aufmerksamkeit steht - du immer aufpassen musst, wie du etwas sagst, wie du aussiehst, was für ein Bild du in der Öffentlichkeit abgibst.

Die Furche: Woher nehmen Sie die Kraft für Ihr selbstbestimmtes Leben?

Pineda: (Lacht) Sicher nicht vom vielen Kakaotrinken. Es ist das Vertrauen, das meine Mitmenschen in mich setzen, das mir Kraft gibt, mein Lebensmotto zu verwirklichen: Wenn du willst, kannst du!

Die Furche: Was war Ihr erster Gedanke, als man Ihnen die Filmrolle anbot?

Pineda: Das ist verrückt, ich bin ja kein Schauspieler. Das wird niemals funktionieren. Mir wurde aber klar, dass es eine "gute Verrücktheit" ist, ich die Möglichkeit habe, zu zeigen, was ein Mensch mit Down-Syndrom fühlt, und ich der Gesellschaft sagen kann: "Hallo, ich bin hier" - daher auch der Filmtitel "Me too".

Die Furche: War es ein Vorteil, mit unerfahrenen Regisseuren zusammenzuarbeiten?

Pineda: Dieses "Neulingsein" hat uns sicher zusätzlich zusammengeschweißt. Wichtiger war aber, dass einer der beiden Regisseure eine Schwester hat, die ebenfalls das Down-Syndrom hat. Er kannte sich daher mit dem Thema sehr gut aus, was die Zusammenarbeit erleichtert hat. Ein renommierter Regisseur, der zwar ein Profi in seinem Fach ist, aber vom Down-Syndrom keine Ahnung hat, wäre am Stoff dieses Films sicher gescheitert - ein Pedro Almodóvar hätte diesen Film nicht machen können!

Die Furche: Wie würden Sie Ihr Film-Alter-Ego beschreiben?

Pineda: Daniel hat einen ganz anderen Charakter als ich: Er ist extrovertiert und handelt impulsiv. Ich bin eher ein reflektierter Typ, viel ruhiger als er. Aber da Daniels Geschichte von meiner Biografie inspiriert ist, verbindet uns natürlich auch sehr viel - vor allem die Schwierigkeiten mit der "Normal"-Gesellschaft.

Die Furche: Was war das für ein Gefühl, sich selbst auf der Leinwand zu sehen?

Pineda: Als ich mich zum ersten Mal als Daniel sah, habe ich die Person auf der Leinwand ganz anders empfunden - viel reifer. Glücklich war ich vor allem über die Reaktion des Publikums: Es hat den humorvollen Aspekt des Films sofort verstanden. Vor allem Menschen, die mich kennen, amüsierten sich über die Selbstironie, mit der ich so manches Missgeschick, das mir im Alltag tatsächlich widerfährt, thematisiere.

Die Furche: Hätte diese Komik auch funktioniert, wenn ein "normaler" Darsteller Daniel gespielt hätte?

Pineda: Nein, auf keinen Fall. Dieses "Umdrehen" von Situationen funktioniert nicht, wenn ein "normaler" Mensch das macht - das würde künstlich wirken. Nur wenn jemand mit Down-Syndrom den Dummen spielt und diese Situation dadurch auflöst, dass er über sich selbst lacht, funktioniert diese Art von Humor.

Die Furche: Die haben als erster Europäer mit Down-Syndrom einen Uni-Abschluss, wurden für "Me too" für den Goya nominiert, was kommt als Nächstes?

Pineda: Mal sehen - ich hoffe, dass es so weitergeht. Auf alle Fälle möchte ich mich weiter in meiner Heimatgemeinde politisch engagieren und später vielleicht eine Familie gründen. Diesen Film zu machen, war für mich wirklich eine tolle Erfahrung, trotzdem sehe ich meine berufliche Zukunft im sozialen Bildungsbereich.

* Das Gespräch führte Jürgen Belko

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