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Wenn Patienten Opfer werden

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Amputationen gesunder Gliedmaßen, in Operierten vergessene Instrumente, chirurgische Eingriffe an den falschen Organen - all das kommt vor und lehrt Patienten das Gruseln.

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Amputationen gesunder Gliedmaßen, in Operierten vergessene Instrumente, chirurgische Eingriffe an den falschen Organen - all das kommt vor und lehrt Patienten das Gruseln.

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Mit dem Abgelten eines erlittenen Schadens ist es so eine .Sache - besonders dann, wenn man meint, Opfer eines ärztlichen „Kunstfehlers' geworden zu sein. Weltweit ist eine stärkere Besinnung auf die Rechte der Patienten zu registrieren, und man wehrt sich daher auch zunehmend gegen die Folgen von Fehlbehandlungen. Manchmal hören wir etwa aus den USA von einschlägigen Ersatzforderungen, die der dortigen Rechtsprechung angepaßt sind und uns geradezu exotisch hoch vorkommen. Hierzulande ist das Prozessieren um eine derartige Entschädigung aber nach wie vor eine mühsame, langwierige und noch dazu riskante Sache. Verliert man nämlich ein solches Gerichtsverfahren, muß man ja nicht nur die eigenen, sondern auch die Kosten des Gegners bezahlen.

Was kann man wirklich tun, wenn man meint, durch fehlerhafte Behandlung eines Mediziners geschädigt zu sein? Einerseits sehen wir geradezu verbissene prozessuale Schritte von Menschen, die sich im Recht glauben, während andere resignieren. Sie tragen die Wut über ihren Schaden, den niemand abgelten will, sozusagen ewig mit sich herum. Dabei gibt es heute sehr gute Möglichkeiten, Rat einzuholen und zielführende Schritte zu unternehmen, um einen Ersatzanspruch zu klären. Es sollte auf jeden Fall sorgsam überlegt werden, wen man als Hilfe heranzieht, ehe man zu einer Gerichtsklage schreitet. Ebenso muß bedacht werden, ab welchem Zeitpunkt man sich einem Rechtsanwalt anvertraut, der seine Bemühungen natürlich in Rechnung stellt. Eine entsprechende Rechtsschutzversicherung kann von großem Vorteil sein.

Als ersten Schritt darf man es keinesfalls unterlassen, sich an den zu wenden, von dem man meint, daß er eine falsche Behandlung zu verantworten habe. Er muß Gelegenheit erhalten, sein Verhalten und die Folgen zu prüfen und sich darüber mit dem Patienten entsprechend auseinanderzusetzen. Unter Umständen ist eine befriedigende Aufklärung der Sache möglich. In diesem Stadium der Erörterung sollte man jedenfalls schon präzise angeben können, was für Folgen eines angenommenen Fehlers man zu tragen hat. Dabei ist es günstig, auf Beobachtungen eines anderen Arztes oder sonstige - auch eigene - exakte Feststellungen zurückgreifen zu können.

Kommt es zur klaren Ablehnung einer Entschädigung oder einem vertröstenden Ausweichen ohne Ergebnis, muß bedacht werden, daß eine gerichtliche Geltendmachung jedenfalls binnen drei Jahren nach Bekanntwerden des Schadens erfolgen muß, soll nicht Verjährung eintreten. Diese Zeit muß genützt werden, die betreffenden Ansprüche möglichst ohne Prozeß durchzusetzen. Dabei gibt es'rriehrere Möglichkeiten. Allgemein wird es geraten sein, einen öffentlichen Patientenanwalt zu befassen, wie er in mehreren Bundesländern durch gesetzliche Grundlage geschaffen wurde.

Will man ein Krankenhaus beziehungsweise ein Ambulatorium belangen, muß man sich an den Spitalserhalter wenden. Er haftet ja für das Vorgehen aller Personen, die er im Zuge der Behandlung heranzieht, also auch für diesen unterlaufene Kunstfehler. Handelt es sich dabei um den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Sozialversicherungsträger, ist auch eine Beschwerde bei der Volksanwaltschaft möglich. Die 'unberechtigte oder auch nicht hinreichend begründete Zurückweisung eines Schadenersatzanspruches wäre nämlich ein „Mißstand in der Verwaltung”.

Vor allem in der Auseinandersetzung mit freipraktizierenden Ärzten kann eine Einrichtung in Anspruch genommen werden, die bei den Ärztekammern fast aller Bundesländer eingerichtet wurde, nämlich die der Schieds- oder Schlichtungsstellen. Sie beraten unter dem Vorsitz eines Bichters, und neben Vertretern des Ärztestandes fungiert auch ein weiterer Jurist als Mitglied. Sinn dieser Gremien ist, einen Schadenersatzprozeß zu vermeiden und berechtigte Ansprüche im außergerichtlichen Weg zu bereinigen.

Die Erfahrungen mit diesen Kommissionen können grundsätzlich als gut bezeichnet werden. Hier gilt nicht das Sprichwort, daß „keine Krähe der anderen ein Auge aushackt”. Man geht bei der Prüfung keineswegs parteilich vor. Die gesetzliche Interessenvertretung der Ärzteschaft hat sowohl ein Interesse daran, daß das Ansehen des Berufsstandes gewahrt wird, als auch daran, daß ihre Mitglieder aussichtslose Prozesse vermeiden. Kann die Schiedsstelle einen Kunstfehler und dadurch erlittene Nachteile objektiv feststellen, unterwerfen sich die betroffenen Ärzte im Regelfall dem Ergebnis des Verfahrens, damit wird das Führen eines Prozesses hinfällig.

Diese und jede andere Form der Verlagerung des Problems auf eine objektive und fachliche Ebene ist unerläßlich. Denn unser Schadenersatzrecht knüpft den Anspruch auf Entschädigung an ganz bestimmte Voraussetzungen. In Frage kommen Schmerzensgeld, Abgeltung von Behinderungen, aufgelaufenen Kosten und Erwerbsentgang. Für den Zuspruch einer Entschädigung muß ein Fehler festgestellt worden sein, der dem Arzt unter Zugrundelegen des bei ihm vorauszusetzenden Fachwissens nicht hätte unterlaufen dürfen. Dazu müssen Nachteile treten, die eindeutig als Folge dieses verschuldeten Fehlers anzuerkennen sind.

Jeder Betroffene wird gut beraten sein, nicht nur sein subjektives Empfinden zugrundezulegen. Auch bestes ärztliches Bemühen kann ja fehlschlagen, und dafür allein gibt es keineswegs einen Schadenersatzanspruch. Ob Haftung gegeben ist, muß rein rechtlich beurteilt werden. Jedes ärztliche Gutachten über die einwandfreie oder falsche Behandlung des Patienten ist nur Grundlage der Entscheidung, nimmt diese aber nicht vorweg.

Wenn auch die Schaffung der erwähnten Beschwerde- und Schlichtungsinstanzen zweifellos einen großen Fortschritt bedeutet, ist das Kapitel der Patientenrechte noch längst nicht zu Ende geschrieben. Hier muß noch viel Aufklärung, Hilfe und Unterstützung geschehen. Ein gewisses „Ausgeliefertsein” liegt in der Natur der Sache. Es sollte möglichst gering gehalten werden und allmählich einem höheren Selbstbewußtsein der Patienten weichen. Der Weg dorthin ist sicher noch weit, aber das Ziel muß ganz allgemein eine faire, partnerschaftliche Beziehung zwischen den Kranken und denen sein, welche die Gesundheit der Menschen als ihr Berufsziel gewählt haben.

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