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Wer hat den Schwarzen Peter?

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Finanzminister Dr. Hannes Androsch hat seinen Budgetentwurf für das Jahr 1971 als ein Budget der Wende und der neuen Schwerpunkte bezeichnet. Die Begründung darf auf Grund der Veröffentlichungen als bekannt vorausgesetzt werden.

Der Budgetentwurf der Minderheitsregierung Dr. Kreisky mag kein sozialistisches Budget sein in dem Sinne, daß von ihm gesellschafts-verändernde Impulse ausgehen sollten. .Sozialistisch“ to einem weiteren Sinn ist aber dieses Budget vielleicht doch insofern, als daß ein überproportional angewachsenes Defizit von 9,5 Milliarden Schilling — von 101,2 Milliarden auf 111,1 Milliarden Schilling, bei recht optimistisch geschätzten Einnahmen von 101,6 Milliarden Schilling —, somit eine Ausgabensteigerung von 10 Prozent, in der gegenwärtigen fortgeschrittenen Konjunkturphase vielleicht doch nicht so „konjunkturgerecht“ ist, wie dies der Finanzminister behauptet. Vielleicht aber liegt dieser Akzent auf der von Handelsminister Dr. Staribacher im September dieses Jahres offen deklarierten Linie, wonach das Wirtschaftswachstum vor der Geldwerterhaltung rangiere. Aus dieser Einstellung heraus kalkulierten die Sozialisten auch im Hinblick auf die Einnahmen inflatorisch: sie setzten eine Einnahmensteigerung von 10 statt wie bisher 8 Prozent ein, bei der Gewerbe- und Bundesgewerbe-srteuer sogar Mehreinnahmen von 18 Prozent. Daß sie, ganz abgesehen von der Verlängerung der bekannten Sondersteuern, auch eine rigorosere Steuereinhebung planen, zeigt sich etwa bei der Körperschaftssteuer, die sie um 20 Prozent höher einsetzen. Bei der Bundesmineralöl-steuer ist die Erhöhung des Dieselölpreises von 70 Groschen schon einkalkuliert.

Noch in einer anderen Hinsicht ist dieses konventionelle, mit ganz bescheidenen Umschichtungen operierende Budget in einem entfernteren Sinne „sozialistisch“: Vor allem infolge der generellen Arbeitszeitverkürzung ist der Personalstand des Bundes, der in der letzten Phase der Regierung Klaus stabilisiert werden konnte, wieder stark in Bewegung geraten. Es gibt wieder mehr Schreibtische. Allerdings nicht überall gleich. Bei der Gendarmerie ist die Personalsteigerung am geringsten — 8 Prozent —, bei der Post am höchsten, 15 Prozent, bei einem Durchschnitt von 8 bis 9 Prozent. Alles in allem gibt es 3130 neue Dienstposten. Es fällt ferner auf, daß Verkehr und Justiz 261 beziehungsweise 75 Millionen weniger bekommen, und es fällt nicht mehr auf, daß bei der Landesverteidigung 69 Millionen eingespart wurden. Es fällt dem Wiener auf, daß für den Umbau des Franz-

Josef-Bahnhofs, die Schnellbahn und die Elektrifizierung der Verbindungsbahn nicht ernsthaft vorgesorgt wurde, und es ist erstaunlich, daß für die verstaatlichte Industrie nichts im Budget steht. Die Landwirtschaft erhielt zwar 30 Millionen mehr für den Grünen Plan, muß aber drastische Kürzungen bei den Stützungen einstecken.

Ein besonderes Kapitel ist das zweigeteilte Kulturbudget. Aus einem Ministerium wurden zwei gemacht. Der Verwaltungsäufwand des Unterrichtsministeriums betrug 1970 7,7 Millionen Schilling, und der Verwaltungsaufwand der Bundesministerien für Unterricht und Kunst sowie Wissenschaft und Forschung beträgt nun 1971 insgesamt 11,95 Millionen Schilling. Personalaufwand: 1970 50,8 Millionen, 1971 beide Ministerien 60,2 Millionen Schilling. Während aber der Anteil des Kulturbudgets am Gesamtbudget somit von 11,86 (1970) auf 12,02 Prozent (1971) gestiegen ist, sank der Anteil an der Steigerungsrate des Gesamtbudgets (1971: 9,7 Prozent) von 0,24 (1969 bis 1970) auf 0,16 (1970 bis 1971) Prozent. Die entsprechende durchschnittliche Steigerungsrate des Kulturbudgets in den Jahren 1966 bis 1970 betrug 0,35 Prozent. Nur wenn man die bisher getrennt budgetiert gewerbliche Forschung dazurechnet, kommt man auf eine Steigerung von 0,2 Prozent.

Bau von Bundesschulen: 1970 890 Millionen, 1971 960 Millionen, also um 70 Millionen mehr. Im Jahr 1970 betrug der Zuwachs 240 Mü-lionen.

Das Defizit der Bundestheater — ein beliebtes Angriffsziel der Sozialisten noch im Vorjahr — blieb erhalten. Was aber mehr beunruhigen muß: Auf dem Hochschulsektor sind die sogenannten ordentlichen und außerordentlichen Dotationen der Lehrstühle, mit denen der Lehr-und Forschungsbetrieb aufrechterhalten wird, absolut und relativ zurückgegangen. Sie betrugen 1969

143.8 Millionen, 1970 182 Millionen (+ 38,2 Millionen), 1971 betragen sie

177.9 Millionen (— 4,1 Millionen). Dies bedeutet: weniger Geräte für die Institute, obwohl es mehr Personal und mehr Hochschulen gibt. Es handelt sich dabei um die Verschärfung jenes Ubelstandes, über den nicht zuletzt in sozialistischen Zeitungen soviel zu lesen war: hochqualifizierte Fachkräfte in den physikalischen, chemischen Instituten müssen ihre Zeit mit „Basteln“ billiger Geräte verbringen, weü für moderne Apparate kein Geld da ist. 1969 gab es für diese Ausgaben pro Lehrkraft (Professor und Assistent) 33.179 Schilling, 1970 40.562 Schilling (+ 22,3 Prozent), 1971 gibt es 37.285 Schilling (— 8,7 Prozent). Das in richtiger Weise vermehrte wissenschaftliche Personal (von 4487 auf 4771, um 284 mehr) wird also nicht richtig ausgelastet.

Nun wird im Rahmen der Budgetdebatte die Möglichkeit bestehen, weitere Verschiebungen im Budget vorzunehmen. Die Mehrheit im Parlament kann also neuerlich „retuschieren“. Und hat damit auch den Schwarzen Peter in der Hand. Dr. Kreisky und seine Minister können sich im Detail die Schuldigen suchen.

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