6642111-1957_51_30.jpg
Digital In Arbeit

Wer oder was ist „beliebt“?

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn man Betrachtungen darüber anstellt, weshalb einige Autotypen besonders beliebt sind, so wird man zu der Erkenntnis kommen, daß in Mitteleuropa so ziemlich an der Spitze aller vielgefahrenen Typen der VW steht. Die Zulassungsziffern sprechen hier eine ziemlich klare Sprache, abgesehen davon, daß der Eindruck, den man bei der Betrachtung des Straßenverkehrs gewinnt, dies von vornherein vermuten läßt.

Worauf gründet sich nun eigentlich die Beliebtheit dieses Fahrzeuges? Handelt es sich hier um eine Massenpsychose, dann ist die Tatsache erstaunlich, daß sie seit Kriegsende nicht nur Deutschland und große Teile Europas, sondern seit mehreren Jahren bereits auch das in bezug auf technische Artikel teils kühl denkende, teils sehr anspruchsvolle Käuferpublikum Nordamerikas ergriffen hat. Gegen eine Massenpsychose spricht nicht nur, daß sie nunmehr bereits länger als ein Jahrzehnt andauert und der VW ein Wagen ist, mit dem man nicht nur zehntausende, sondern sogar' sehr oft hunderttausend Kilometer und mehr zurücklegt. In solchen Fällen wird einem ein Fahrzeug entweder ein Freund, oder man trachtet, es baldmöglichst unter günstigsten Bedingungen abstoßen zu können. Aber scheinbar spricht der VW seinen Besitzer bzw. Fahrer effektiv auch noch nach längerem

Gebrauch immer noch an, da sonst die bisher erreichten Verkaufsziffern von bald zwei Millionen einfach undenkbar wären. Das gibt immerhin zu denken.

Das Käuferpublikum setzt sich aus einem Querschnitt durch die Bevölkerung zusammen, so daß der Arbeiter ebenso wie der Direktor, der Reisende genau so wie der Geschäftsmann in Betracht gezogen werden müssen. Und all diesen ganz verschieden fundierten Existenzen wird der Volkswagen gerecht. Es bekennen sich auch Menschen zu diesem Erzeugnis, die das aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus keineswegs müßten. Man kann heute nicht sagen, daß der VW von annähernd zwei Millionen Käufern gewählt wurde, wie es den bereits verkauften Exemplaren entspricht, denn man kann ruhig nicht nur eine weitere Million Secondhand- Käufer dazurechnen, sondern auch die Familien von diesen drei Millionen, wodurch sich diese Zahl zumindest noch verdoppelt.

Es ist ganz und gar unerklärlich, daß ein deutscher Journalist in sachlich anfechtbarer Form all diese Millionen quasi als nicht urteilsfähig und in eine Psychose verstrickt hinstellt. Man kann heute von jedem durchschnittlichen Kraftfahrer ein relativ gut fundiertes technisches Allgemeinwissen auf dem Kraftfahrzeugsektor annehmen, aber ganz abgesehen davon, wird ein Automobil auch dem blutigsten Laien nur dann gut erscheinen, wenn er aus eigener Erfahrung sieht, daß ihm eine Type wenig Aerger, wenig Reparaturen und damit einen sparsamen Betrieb gewährleistet. Die Behauptung, daß der VW vor allen Dingen deshalb so hohe Verkaufsziffern aufweist, weil er seinerzeit als „KdF-Wagen“ stark propagiert wurde, im Krieg als Kübelwagen manchem Landser das Leben erleichtert, ja vielleicht sogar gerettet hat und überhaupt durch besondere Verläßlichkeit gekennzeichnet war, darüber hinaus aber nach dem Krieg als erstes Automobil in Deutschland wieder produziert wurde, so mag dies sicher eine gewisse Richtigkeit haben. Heute aber, nach fast zwölf Jahren bzw. zwei Jahrzehnten, würde ein solcher Nimbus allein kaum noch wirksam sein, und die Tatsache, daß der VW im Krieg geradezu Unwahrscheinliches geleistet hat, dürfte kaum noch einen besonderen Werbeschlager abgeben, aber immerhin als Zeichen einer konsequenten Entwicklung aus einem erstklassigen Erzeugnis heraus Geltung haben.

Die Frage, ob das Fahrzeug auf Grund der zwei Jahrzehnte seines Alters unmodern ist oder nicht, läßt sich zweifach beantworten. Einerseits hat es sich karosseriemäßig kaum von seiner Grundkonzeption entfernt und wirkt vielleicht trotz seiner aerodynamisch günstigen Formgebung überholt. Wir sind heute Heckflossen, zumindest aber Pontonbauweise gewohnt. All diese Errungenschaften der äußeren Linienführung sind Modeerscheinungen, die vielleicht nächstes Jahr zum Nachteil des heurigen Käufers schon wieder restlos verschwunden sein können. Bei der Beurteilung eines Fahržeugřs aber sollte man sich über Form und Farbgebung nur dann Rechenschaft geben, wenn sie einen integrierenden Bestandteil der Konstruktion darstellen, also maximale Stromlinie, mehr Sicherheit durch grelle Farbgebung usw. Bei den meisten heutigen und damit modernen Wagen aber ist die Karosserie eher an Modeeinfälle als an technische Zweckmäßigkeit gebunden. Der VW macht hierbei nicht mit, verdient aber auch den Vorwurf „überaltertes Aussehen" nicht; Er stellt heute eine unter vielen anderen Formgebungen dar.

Hier drängt sich einem die Frage auf: Was ist überhaupt modern? Modern ist, was gefragt ist und gekauft wird; modern ist, was gefällt! Und anscheinend gefällt der VW, denn wie wir aus dem Werk erfahren, hat es trotz eines täglichen Ausstoßes von rund 2000 Fahrzeugen neun Monate Lieferzeit.

Was jedoch die Gesamtkonstruktion des VW anbelangt, so kann man auch heute noch nicht von einer unmodernen Konzeption sprechen. Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, daß der Konstrukteur, Professor Ferdinand Porsche, ein Mann mit unwahrscheinlichem Weitblick war oder der VW eben einen großen Wurf darstellt, wie er im Automobilbau nur selten gelingt. Wir denken hier an das klassische Beispiel, das Ford-Modell T. Diese damals einmalige Konstruktion wurde in nicht .weniger als 10 Millionen Exemplaren hergestellt. Es ist aus verschiedenen Gründen mit einiger Sicherheit anzunehmen, daß der VW auch in den nächsten Jahren noch nicht veraltet sein dürfte und die heutige Konzeption, Form und Ausführung erhalten bleiben werden.

Auch der Konstruktion kann man keineswegs den Vorwurf der Ueberalterung machen, denn der luftgekühlte Antriebsmotor zeigt alle Merkmale einer modernen Hochleistungsmaschine, die aber absichtlich stark gedrosselt ist, um bei möglichst großer Wartungsfreiheit ein Maximum an Lebensdauer zu erreichen. Man möchte sagen, dieser überquadratische, obengesteuerte und luftgekühlte 1200-ccm-Motor stellt einen Super-Drosselmotor dar. Das Vollsynchrongetriebe entspricht immer noch letzten Erkenntnissen auf diesem Gebiet und die unabhängige Federung aller vier Räder (Torsionsstäbe) ist ein wesentlicher Bestandteil der heutigen Automobilkonstruktion. Man könnte noch eine Reihe anderer . wesentlicher Konstruktionsmerkmale aufzählen, die heute allgemein in Anwendung sind, um unter Beweis zu stellen, daß hier von einer veralteten Konstruktion nicht die Rede sein kann. Und wenn man im Hinblick auf die Fahrleistung des VW etwa mit dem Goliath 1100 oder dem DKW 3—6 vergleicht und feststellt, daß er gegenüber diesen beiden Fahrzeugen etwas schlechter abschneidet, so muß man in Erwägung ziehen, daß diese beiden Fahrzeuge um rund 8000 Schilling teurer sind als der VW

zuwarten. Aber gerade das will man ja nicht; Man legt keinerlei Wert darauf, ein Superfahrzeug irgendwelcher Art zu schaffen, sondern man bezweckt einzig und allein, einen robusten, langlebigen und vor allen Dingen erhaltungsmäßig billigen Gebrauchsgegenstand zu schaffen, mit dem der blutigste Laie zurecht kommt, und der in der Lage ist, vier Personen und Gepäck von Qrt A bei niedrigsten Kosten sicher und so oft wie möglich nach Ort B zu bringen.

Außerdem darf, wer über den VW diskutiert und dabei objektiv bleiben will, das ausgezeichnete Servicenetz und die billigen Reparaturen nicht unberücksichtigt lassen, denn sie sind für viele Tausende von Käufern ein sehr wesentlicher Faktor in ihrer Betriebskostenrechnung. Man darf aber auch nicht übersehen, daß eben durch die „antiquierte“ Formgebung der Wiederverkaufspreis des Fahrzeuges unwahrscheinlich hoch erhalten bleibt und Preisstürze von rund zwanzigtausend Schilling innerhalb eines Jahres, wie man das bei anderen Fahrzeugen der Mittelklasse leider erleben kann, Unmöglich sind.

Der Hang zum VW, den so viele Autokäufer und -Interessenten zeigen, beruht also durchaus nicht auf einer Massenpsychose, sondern findet seine Erklärung in nüchternen Erwägungen Und bezüglich der Form ist es eher ein gutes Zeichen, daß sich auch der technisch nur wenig belastete Käufer von der Hülle eines ansonsten verläßlichen technischen Gebrauchsgegenstandes so wenig beeindrucken läßt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung