"Wie gut die Erde riecht."

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WOLF-DIETER STORL, Ethnobotaniker, über ein (fast) vergessenes Wissen: Die heimische Kräutermedizin.

Die Furche: Herr Storl, was sind Sie?

Wolf-Dieter Storl: Ich bin Wissenschafter.

Die Furche: Wenn man googelt, findet man auch die Bezeichnung "der Schamane aus dem Allgäu".

Storl: Das wurde mir angehängt.

Die Furche: Sie mögen das nicht?

Storl: Auch das wurde mir angehängt. Ich habe einfach gesagt, dass ich Schamanenexperte bin. Was auch stimmt. Ich habe etwa meine Master-Arbeit über eine Spiritistenkolonie in Ohio geschrieben. Später habe ich mich auf den Umgang mit Pflanzen in verschiedenen Kulturen konzentriert - also: Ethnobotanik. Fragen, die mich interessieren, sind: Wie geht ein Volk oder Stamm mit Pflanzen um? Was sind Nahrungspflanzen, was Medizinpflanzen? Welche Götter oder Geister sind damit verbunden?

Die Furche: Wobei Sie sich besonders für das hiesige traditionelle Pflanzenwissen interessieren.

Storl: Und dass es hier eine große Lücke gibt, ist mir erst vor rund drei Jahren so richtig klar geworden. Ich war gerade am Kartoffel-Ausgraben - ich lebe abgelegen im Allgäu, müssen Sie wissen - und da kam ein Schwarzer auf dem Fahrrad. Er fragte: Hello, are you Mr. Storl? Und ich sagte: Ja. Wie sich herausstellte, war er Professor für Native Religion an der Universität von Kalifornien. Er hat mich extra aufgesucht, weil er mein Buch "Die Pflanzen der Kelten" gelesen hatte. Das handelt von Pflanzen, die hier indigen sind. Ich hab es "Die Pflanzen der Kelten" genannt. Man könnte auch sagen: Pflanzen der Germanen oder der Westslawen. Da habe ich alles über Mythologie und Heilkraft hineingeschrieben.

Die Furche: Und er hat Sie nur wegen des Buches aufgesucht?

Storl: Ja, er meinte: Europa ist für die Religionsforschung und Volkskunde ein weißer Fleck. Und zwar nicht das Europa der Römer und Griechen, sondern das ursprüngliche Europa mit den nördlichen Waldländern.

Die Furche: Woher haben Sie dieses Wissen? Was sind Ihre Quellen?

Storl: Ich habe nicht nur eine Quelle. Meine Sachen werden auch von Leuten angegriffen, die einen ganz engen Zugang haben: Etwa nur die klassischen Schriften von Plinius oder Strabon kennen. Und dann die Archäologie. Aber es gibt auch Märchen und Sagen und volkskundliche Überlieferungen. Dann lese ich die Schriften der Engländer - die haben keine Berührungsängste und sind stolz auf ihre angelsächsischen Wurzeln - dann auch die Holländer, Belgier, Franzosen etc. Da bleibt man nicht regional begrenzt. So ergibt sich ein Muster.

Die Furche: Haben Sie klassische Texte, die Sie studieren?

Storl: Es gibt einige Texte: Etwa das "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens". Oder das Werk Heinrich Marzells, der sein ganzes Leben damit verbracht hat, Pflanzennamen im deutschsprachigen Raum zu sammeln. So an die hunderttausend Namen. Das sind ganz wunderbare Schlüssel.

Die Furche: Das Volkswissen ist auch ein Wissen, das mündlich weitergegeben wurde und wird. Geht da zurzeit nicht gerade viel verloren?

Storl: Vieles geht verloren. Das stimmt. Andererseits: Sehr viel von diesem Wissen kommt gar nicht erst an die Oberfläche. Bei uns gibt es ganz Alteingesessene, die schon sehr lange in diesen Bergen leben - die waren schon da, ehe die Alemannen hier siedelten und vielleicht sogar die Kelten. Wenn ich ein normaler Arzt wäre oder mich als Wissenschafter vorstellen würde, würden sie sicher schweigen. Aber ich wohne quasi auf neutralem Boden. Auf der einen Seite ist Bayern, auf der anderen Württemberg. Mir können sie so Dinge erzählen.

Die Furche: Auch magische Dinge. Dabei scheinen Sie ein zwiespältiges Verhältnis zu den Naturwissenschaften zu haben. Einerseits übernehmen Sie die Terminologie, schreiben darüber, dass eine Pflanze Kalium, Phosphor etc. brauche. Andererseits zitieren Sie Goethe: "Mikroskope und Fernrohre verwirren eigentlich den reinen Menschensinn."

Storl: Das scheint ein Widerspruch, ist es aber nicht. Ich kann die Dinge auf verschiedenen Ebenen erklären. Etwa der Wirkstoff-Ebene - und das stimmt. Eine andere Ebene ist die magische Wirksamkeit, wie die Kräuterfrauen sie kennen. Oder mit planetarischen Einflüssen, wo die Brennessel dann eine Mars-Pflanze ist. Was das Goethe-Zitat betrifft: Mit der modernen Wissenschaft verlieren wir das Phänomen selbst- etwa den Menschen in der Medizin. Wir verlieren ihn als ein beseeltes, fühlendes, denkendes Wesen. Wir sehen nur mehr Organe, Fehlfunktionen und chemische Prozesse. Das ist schon korrekt. Aber wir müssen auch zurückfinden zu einer anderen Sichtweise, einer schamanischen Sichtweise.

Die Furche: Und wieder naturnaher leben, wie Sie es selbst tun. Ist das nicht allzu romantisch? Das Bauernleben ist doch in Wahrheit sehr hart.

Storl: Es wurde mir ja vorgeworfen, dass ich den edlen Wilden wieder heraufbeschwöre. Ich sehe das nicht so. Ich sehe nur, dass wir uns im Laufe der Evolution als Teil der Natur entwickelt haben. Und je mehr wir uns davon entfernen, desto stärker laufen wir Gefahr, uns selbst zu verlieren. Wir werden bizarr, schräg und krank.

Die Furche: Noch ist nichts verloren. Bio-Produkte etwa boomen zurzeit.

Storl: Das ist auch wunderbar. Ich lerne in meinen Kursen Menschen kennen, die sind vollkommen ausgebrannt. Die haben Monate lang kein richtiges Feuer gesehen. Die wissen nicht mehr, wie es ist, barfuß zu laufen. Wie gut die Erde riecht. Für die sind solche Erfahrungen ein Rettungsanker. Das überrascht nicht: Die Natur ist immer eine Lebensquelle gewesen.

Das Gespräch führte Thomas Mündle.

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