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Wir sollten uns ein besseres Brot leisten

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Im letzten Jahrhundert hat sich das Brot stark verändert. Es wird zwar heute in großer Vielfalt und für Auge und Gaumen attraktiv angeboten, sein Nährwert aber läßt vielfach zu wün-' sehen übrig.

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Im letzten Jahrhundert hat sich das Brot stark verändert. Es wird zwar heute in großer Vielfalt und für Auge und Gaumen attraktiv angeboten, sein Nährwert aber läßt vielfach zu wün-' sehen übrig.

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Jede Getreidenahrung auf der ganzen Welt, gleichgültig ob sie aus Hirse, Gerste, Hafer, Roggen, Weizen oder Reis gewonnen war und in welcher Zubereitung sie auch genossen wurde, hat man bis zum 19. Jahrhundert ausschließlich aus dem vollen Korn hergestellt.

Die Tatsache, daß das aus dem vollen Korn hergestellte Mehl durch den hohen Fettgehalt des Keims nicht haltbar ist, da es in wenigen Wochen ranzig wird, brachte im Zuge der Entstehung der Großstädte ernste Versorgungsprobleme. Der Wunsch, ein Mehl herzustellen, das unbegrenzt haltbar war, führte schließlich zu der revolutionierenden Entdeckung. Die Beseitigung des ölhaltigen Keims brachte die Lösung des Problems: Das haltbare Mehl, die Mehlkonserve, war geschaffen...

Diese zunächst ganz harmlos erscheinende Ausmerzung des Getreidekeims bei der Mehl- und Brotherstellung bekam ein ganz neues Gesicht, als sich herausstellte, daß der Keim und die Bandschichten wertvolle Vitalstoffe enthalten, die für die Erhaltung der Gesundheit absolut unentbehrlich sind. Zunächst brachte die Vitaminforschung die Erkenntnis, daß der Getreidekeim außerordentlich reich an Vitamin Bl ist...

Die Weltgesundheitsorganisation hat den täglichen Mindestbedarf des Menschen an Vitamin Bl mit 1,5 Milligramm angegeben; russische Forscher nennen drei Milligramm; bei der Errechnung des Durchschnitts-Vitamin Bl-Gehalts in der Nahrung der Menschen vor 100 Jahren und früher kommt man auf Werte bis zu fünf Milligramm.

Dem stehen Durchschnittszahlen, die an der westdeutschen Bevölkerung gewonnen wurden, mit 0,8 Milligramm Vitamin Bl gegenüber. Ähnliche Zahlen werden auch von anderen Völkern genannt. Das bedeutet, daß der Mensch in zivilisierten Staaten an einer ständigen Unterversorgung mit Vitamin Bl leidet...

Auf das Brot angewandt heißt dies, daß es ein grundsätzlicher Unterschied ist, ob ein Mensch das „Kohlenhydrat” Schwarzbrot (aus Auszugsmehl) oder das „Kohlenhydrat” Vollkornbrot ißt. Im Vollkornbrot ist das Vitamin Bl mitgeliefert, das zur Verwandlung der Zuckerstoffe, die beim Abbau der Stärke entstehen, notwendig ist. Im Schwarzbrot ist durch Fehlen des Keims nicht genügend Vitamin Bl vorhanden, so daß der Abbau im Körper nicht ordnungsgemäß vor sich gehen kann. Die Menschen befinden sich also in einem erheblichen Irrtum, wenn sie glauben, sie tun etwas Gutes für ihre Gesundheit, indem sie

Weißbrot meiden und dafür Graubrot beziehungsweise Schwarzbrot essen.

Der Getreidekeim enthält aber nicht nur Vitamin Bl, sondern noch andere Vitamine des B-Komplexes: B2, B6, Pantothensäure, Nikotinsäureamid, Folsäure und Biotin; außerdem finden sich noch Vitamin E, Vitamin K, Inosit, an Mineralien Phosphate, Kalium, Calcium, Magnesium, an Spurenelementen Kieselsäure, Eisen, Zink, Mangan, Kupfer, Bor, Aluminium, Selen, Molybdän, Nickel, Arsen, Fluor, Jod, Kobalt, Chrom, Blei, Brom, Zinn, Titan und Silber. Mehl, das nur zu einem niedrigen Prozentsatz (70 Prozent) ausgemahlen ist, das also den Keim und die Randschichten nicht enthält, erleidet dadurch eine erhebliche Einbuße an Vitalstoffen...

Die erste Qualitätsminderung des Brotes kann beim Wachstumsprozeß des Getreides auf dem Felde, vermutlich zum Teil noch früher, bei der Züchtung der Getreidesorten, beginnen.

Daß zum Beispiel viele Leute gegen Weizen, der wohl zu den hochgezüchtetsten Getreidearten zählt, allergisch sind, nicht aber gegen den züchterisch wenig bearbeiteten Dinkel, gibt doch einen Hinweis, daß bei dieser Hochertragszüchtung „innerlich” etwas gelitten haben muß.

Nach den allgemeinen Gesetzen des Lebens lassen sich höchste Erträge und höchste Qualität selten „unter einen Hut bringen”. Genaues weiß man hier wohl nicht, aber das genannte Phänomen müßte doch sehr zu denken geben.

Mehr weiß man von den Einflüssen der Düngung und des Bodens auf die Pflanzenqualität ... Der bekannte, schon länger verstorbene, französische Professor Andre Voisin schreibt unter anderem: „In der ganzen Welt wird nach standardisierten Methoden gedüngt. Bei der Behauptung, unsere Düngungsmethoden hätten keinen allgemeinen Einfluß auf die Gesundheit, weil der Mensch angeblich eine sehr verschiedene, auf allen möglichen Böden erzeugte Nahrung zu sich nimmt, wird vergessen, daß unsere Methoden der Düngung in allen fortschrittlichen Ländern sehr schnell standardisiert wurden. Ja, man kann sogar behaupten, daß die Entwicklung dahin geht, daß diese Methoden in der ganzen Welt vereinheitlicht werden.

Ebenso kann man auch sagen, daß in Europa die Standardisierung der modernen Düngung sehr schnell zu pflanzlichen Produkten führen wird, die, im Vergleich mit der Zeit vor hundert Jahren, ganz zu schweigen von den Veränderungen der organischen Zusammensetzung, alle, wenn nicht schon jetzt, so doch in Zukunft folgende Mängel aufweisen werden:

■ viermal zuviel Kali,

■ doppelt zuviel Phosphorsäure,

■ um die Hälfte zu wenig Magnesium,

■ sechsmal zu wenig Natrium,

■ dreimal zu wenig Kupfer.”

Ist von einem Nährstoff sehr viel im Boden als Folge einer reichlichen mineralischen Düngung vorhanden, kann dieser die Aufnahme eines anderen notwendigen Nährstoffes entweder erschweren beziehungsweise reduzieren oder fördern. Man spricht hier von Nährstoffsynergismus und Nährstoffantagonismus.

Das heißt, die Gefahr einer unharmonischen Pflanzen- und damit in unserem Fall auch einer unharmonischen Getreidekornzusammensetzung als Folge der heute vor allem im Getreidebau vorherrschenden mineralischen Düngung ist daher sehr leicht gegeben.

Die „innere” Schwäche solchen Getreides zeigt sich besonders auch in der in den letzten Jahrzehnten stark zugenommenen Krankheits- und Schädlingsanfälligkeit solcherart produzierten, „gemästeten”, Getreides. Dabei kann es zu einem Befall des Getreidekornes auch von solchen Pilzen kommen, die ihrerseits Pilzgifte (Mycoto-xine) erzeugen, die für Mensch und Tier gesundheitsschädlich sind.

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