6569148-1950_11_13.jpg
Digital In Arbeit

Wohnungswiederaufbau und Mietzinse

Werbung
Werbung
Werbung

In dem großen Wohnungsreferat am Fünften österreichischen Städtetag hat Bürgermeister Dr. Koref die einzig richtige und logische Konsequenz gezogen, wenn er sagte, daß „denen, die im glücklichen Besitz einer Wohnung sind, denen das furchtbare Unglück erspart blieb, durch den Bombenkrieg Wohnung, Hab und Gut zu verlieren, auf die Dauer nicht erspart bleiben kann, im Dienste und im Interesse der anderen zu gewissen Opfern herangezogen zu werden“. Nun ergibt sich die schwierige Frage, wie weit die beati pogsidentes zu solchen Opfern herangezogen werden können, ohne die wirtschaftlich Schwachen unerträglich zu belasten und dadurch erst recht die Grundsätze der Gerechtigkeit zu verletzen und einen berechtigten Lohn- und Preiskampf auszulösen.

Schon Dr. Koref hat an einzelnen Beispielen — die sjch in jader Stadt tausendfach ereignen — erwähnt, daß der Mietzinsschutz —-nur von diesem soll hier die Rede sein — zu krassen und jeder Gerechtigkeit Hohn sprechenden Auswüchsen geführt hat. Es ist kein Zweifel, daß die Einkommen- durchwegs gedrückt sind, und man ist daher bei oberflächlicher Betrachtung geneigt, zu glauben, daß eine Erhöhung der bisherigen Mie ten tatsächlich zu unerträglichen Verhältnissen führen könnte. Andererseits steht aber nun wieder fest, daß es noch immer Wohnungen gibt, deren Mieten monatlich unter 10 S liegen und auf jeden Fall eine Erhöhung vertragen. Es ist nun die Frage, wo die Grenze der Erträglichkeit von Mietzinserhöhungen zugunsten des Wiederaufbaues gefunden werden kann und welche Auswirkungen bei der Einhaltung solcher Grenzen zu erwarten sind. Hiezu kann die Stadt Innsbruck verläßliche Ziffern liefern, weil sie beim Auftauchen eines ganz ähnlichen Problems Wege beschritten hat, die zwangsläufig dazu führten, die beiden aufgeworfenen Fragen zu beantworten.

Dasselbe Problem: nämlich die Zu-lässigkeit notwendiger Preissteigerungen wurde schon mehrmals bei den notwendigen Erhöhungen von Strom und Gas aufgeworfen. In Innsbruck wurde es in der Weise gelöst, daß man alle wirtschaftlich schwachen Schichten der Bevölkerung von der Erhöhung ausnahm, weil man sich sagte, daß Strom und Gas deswegen unter den Selbstkosten abgegeben werden können, weil ein Teil diese Selbstkosten nicht erschwingen kann. Dies führte dazu, daß in Innsbruck ein Sondertarif für wirtschaftlich Schwache (Minderbemittelte) eingeführt wusde. Dieser Sondertarif beinhaltet eine 50pro-zentige Ermäßigung der normalen Tarifarten. Innsbruck besitzt etwa 100.000 Einwohner mit 25.000 Haushalten. Unter den Sondertarif für wirtschaftlich Schwache fällt jeder Haushalt, der das folgende Familieneinkommen nicht überschreitet:

5 350.— für den Haushalts vorstand

, 200.— für die Ehegattin

„ 200.— für das erste Kind

„ 150.— für das zweite und dritte Kind

„ 300.— für jedes weitere Kind

Aus diesem Tarif ergibt sich also, daß Innsbruck keineswegs engherzig verfährt, denn die Begünstigung der 50pro-zentigen Ermäßigung kann jeder Haus halt erreichen, der in folgende Einkom-mensgEenzen fällt:

Ehepaar kinderlos . . .-. . . S 550.— mit 2 Kindern..... 900.—

mit 4 Kindern . . . . „ 1350.— , mit 6 Kindern . . , . „ 1950.—

Bemerkenswert sind die Auswirkungen auf der Einnahmenseite. An diesem Sondertarif nehmen 24.280 Personen, also 24 Prozent der Bevölkerung oder 8260 Haushalte, also 33 Prozent der gesamten Haushalte teil. Der Einnahmenentgang, den dieser Sondertarif verursacht, beträgt aber lediglich etwa 5 Prozent der Gesamteinnahmen. Dies ist ja begreiflich, denn die wirtschaftlich schwachen Teile der Bevölkerung müssen überall sparen, natürlich auch bei Strom und Gas. Daher sind sie an sich schon die schwächsten Verbraucher. Wenn sie den Sondertarif nicht hätten, würde ihr Verbrauch noch weit mehr eingeschränkt sein, so1 daß also der wirkliche Einnahmenentgang sicherlich picht einmal 5 Prozent beträgt. Andererseits steht aber fest, daß etwa 76.000 Einwohner oder 67 Prozent der Haushalte sich in Einkommensverhältnissen bewegen, die man nicht mehr als wirtschaftlich schwach bezeichnen kann. Wenn ein Ehepaar mit zwei Kindern mehr als 900 S monatliches Einkommen bezieht, so kann man gewiß nicht von einem hohen Einkommen sprechen; ebensowenig kann man aber behaupten, daß diese nicht eine angemessene Mietzinserhöhung zugunsten des allgemeinen Wohles ertragen könnten. In dem Kreis der Bezieher des Sondertarifs sind 1971 Einzelpersonen, meist Witwen und kleine Rentner, andererseits aber 9518 Kinder und Jugendliche enthalten. Da die übrigen 76.000 Personen, die am Sondertarif teilnehmen, auf etwa 17.000 Haushalte aufgeteilt sind, ergibt sich durchschnittlich eine Haushaltsgröße von 4Vs Köpfen, also von Familien mit 2 bis 3 Kindern. Es steht also fest, daß alle diese Familien ein höheres Einkommen besitzen als 900 S bei zwei Kindern oder 1050 S bei drei Kindern.

Die Stadt Innsbruck hat auch bei der Berechnung der Mietzinse für Neubauten seit 1945 neue W e g e beschritten, um die Selbstkosten für diese Neubauten wenigstens teilweise wieder hereinzubringen und der Stadtgemeinde die Möglichkeit zu schaffen, immer wieder weitere Neubauten zu erstellen. Bekanntlich sind die Selbstkosten für eine neugebaute Wohnung etwa mit 50.000 bis 70.000 S zu veranschlagen, was einer Monatsmiete von mindestens 350 S gleichkommt. Das Wohnungsamt, das diese Wohnungen vergibt, kann unmöglich auf das Einkommen der Bewerber Rücksicht nehmen, es muß sich ausschließlich vom Gesichtspunkt der Wohnungsbedürftigkeit leiten lassen. Andererseits hat sich die Stadtverwaltung gesagt, daß es zweifellos ungerecht und dem Sinne der für die Wohnbautätigkeit gewährten öffentlichen Mittel widerspricht, wenn eine solche Wohnung zum gleichen Preis vergeben wird, gleichgültig, ob der eine 600 S und der andere 2000 S Monatseinkommen bezieht. Es wurde daher der Mietzins in diesen Wohnungen individuell nach öm Einkommen festgesetzt. Es werden somit, wenn mehrere Familienmitglieder verdienen, alle Einkommensquellen als ein Gesamteinkommen (Familieneinkommen) berechnet. Hievon werden für jedes in Versorgung stehende Mitglied, also für Frau und Kinder, allenfalls für Eltern, Großeltern, die im Familienverband wohnen, je 100 S in Abzug gebracht. Der verbleibende Rest, somit das rektifizierte Einkommen, gilt als die Berechnungsgrundlage für die Mietzinsbildung. Es ergibt sich somit an dem Muster eines dieser Häuser folgendes Bild:

Obwohl diese Mieten noch lange nicht die Höhe der Selbstkosten erreichen, sind sie immerhin sehr hoch, haben aber bisher zu keinerlei Schwierigkeiten geführt. Jedermann ist heute, angesichts der Wohnungsnot bereu, auch einen beträchtlichen Teil seines Einkommens zu opfern, wenn er nur ein Dach über dem Kopf erhält, überdies bezahlen die meisten in diesen Wohnungen weniger, als sie bisher als Untermieter bezahlen mußten. Selbstverständlich wird eine Erhöhung der Mieten, die bisher unter Mietzinsschutz standen, viel größere Schwierigkeiten verursachen. Aber es muß doch gelingen, auch diese Kreise davon zu überzeugen, daß geradezu die Existenz unseres Staates davon abhängt, die Mittel für den Neubau von Wohnungen zu erhalten.

Was sind nun die Folgerungen aus diesen Ziffern? Die Stadtgemeinde Innsbruck besitzt in eigener Verwaltung 3003 Wohnungen und erzielt daraus 2,354.000 S an Mieteinnahmen. Dies ergibt, daß die Miete im Durchschnitt monatlich 65 S beträgt. Nun sind aber von diesen städtischen Wohnungen etwa 90 Prozent nach dem Jahre 1925 erbaut, unterliegen also nicht dem Mietengesetz und sind an sich schon teurer als Mieterschutzwohnungen. Umgekehrt stehen aber etwa 90 Prozent aller übrigen, im Privatbesitz befindlichen Wohnungen unter dem Mietengesetz. Um nun die Kosten eines Mieterschutzhauses vergleichen zu können, wurde ein städtisches Haus, das ungefähr dem Durchschnitt entspricht, herausgegriffen. Dieses Haus besitzt 10 Wohnungen mit einem Hauptmietzins von 4802 Kronen jährlich, somit heute •.......... S 1085.25 die Betriebskosten betragen derzeit ca. i-s........ 3572.— die Miete insgesamt somit jährlich S 4657.25 oder monatlich S 388.—. Je Wohnung also jährlich S 475.70 oder monatlich S 46.57. Es ergibt sich daher die Folgerung, daß die Wohnungen, soweit sie unter Mietzinsschutz stehen, durchschnittlich zwischen 46 S und 65 S, also etwa mit 55 S durchschnittlich zu bewerten sind. Wenn man nun erwägt, daß drei Viertel der Bevölkerung ein Einkommen besitzen, welches eine langsame und stufenweise Erhöhung der Mieten bis zu einem Durchschnittsbetrag von minde- stens etwa 100 S rechtfertigt, so bedeutet dies auf Innsbruck bezogen, daß rund 17.000 Haushalte eine Erhöhung von durchschnittlich 45 S monatlich nicht als unerträglich bezeichnen dürfen. Wenn man also alle Kreise, die nach der Staffelung von Innsbruck als wirtschaftlich schwach bezeichnet werden, von einer Mietzinsbildung überhaupt ausnimmt oder — was auf dasselbe hinauskommt —, wenn man ihnen die Mietzinserhöhung in Form von Mietzuschüssen wieder voll rückvergütet —, so ergäbe dies für Innsbruck allein eine Mehreinnahme von jährlich etwa 10 Millionen Schilling, somit einen Betrag, der die Erbauung von 150 Wohnungen ermöglichen würde. (Auf etwa 3,000.000 städtische Einwohner in Österreich umgerechnet, würden sich schon 300 Millionen Schilling oder 4500 Wohnungen ergeben.) Wenn dieser Betrag als Zinszuschuß verwendet werden könnte, würde die Zahl der Wohnungen natürlich bedeutend höher sein. Um die Größenordnung dieser Zahl einschätzen zu können, genügt der Hinweis, daß in Innsbruck jährlich der Konsum von getränkesleuerpflichligen Genußmitteln etwa 35 Millionen Schilling beträgt. Jedenfalls steht fest, daß bisher zwei Drittel der Wohnungen mehr oder weniger verschenkt wurden, und zwar an Begüterte. In der ganzen Berechnung sind die Erhöhungen von Geschäftsmieten nicht inbegriffen. Auch für diese können ähnliche Grundsätze bei einer Erhöhung ihrer Mieten beobachtet werden, wobei allerdings nicht vergessen werden darf, daß Geschäftsmieten und Mieten für gewerbliche Räume ja gleichzeitig Steuerabzugsposten für den Gewerbetreibenden sind und daher lange nicht so drückend empfunden werden können als eine Mietenerhöhung für Wohnungen.

Es ist klar, daß die ganze Regelung, wie sie in diesen Ziffern zum Ausdruck kommt, die Wirkung eines Zuschlages zur Einkommensteuer besitzt, weil ja das Einkommen maßgebend ist, ob überhaupt und bis zu welcher Höhe der betreffende Haushalt von einer Mietzinserhöhung belastet wird. Aber der Sinn der Rfgelung des Wiederaufbaus soll ja daria bestehen, daß diejenigen herangezogen werden, die nach ihrem Einkommen hiezu befähigt sind, und diejenigen verschont bleiben, die vom Schicksal nicht begünstigt wurden. Jedenfalls wäre es betrüblich, wenn durch Verallgemeinerung einzelner krasser Fälle das ganze Problem wieder in eine dogmatische Erstarrung und in das Gebiet der Schlagworte geriete und die Lösung hinausgeschoben würde. Wenn sich die Demokratie nicht als mutig genug oder als unfähig erweist, ein solches Problem zu lösen, dann darf sich niemand wundern, wenn das Vertrauen in sie erschüttert wird. Wir alle haben es erlebt, wohin eine solche Vertrauenskrise führen kann. Als Ziel muß uns die soziale Gerechtigkeit vorschweben, und nur diese; dann wird die große Aufgabe zwar noch immer schwierig, aber nicht unlösbar sein. Möge der gute Wille, der bisher allen Reibungen zum Trotz, die beiden großen Parteien Österreichs immer wieder zur Zusammenarbeit befähigte, auch hier dir; richtige Lösung finden lassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung