Wolf und Hund: Evolution in Echtzeit
Der Wolf als Symbol einer Zeitenwende: Der Biologe Kurt Kotrschal sieht in der Rückkehr der Raubtiere die Chance auf eine nachhaltigere Gesellschaft. Über eine uralte Beziehung.
Der Wolf als Symbol einer Zeitenwende: Der Biologe Kurt Kotrschal sieht in der Rückkehr der Raubtiere die Chance auf eine nachhaltigere Gesellschaft. Über eine uralte Beziehung.
Die Ehre, mit einem schlafenden Wolf zu kuscheln, wird nur wenigen Menschen zuteil. Kurt Kotrschal gehört dazu. Als das von ihm mitbegründete Wolfsforschungszentrum im Jahr 2009 vom oberösterreichischen Almtal in den niederösterreichischen Wildpark Ernstbrunn übersiedelte, teilte der Biologe drei Nächte lang sein Lager mit jungen Wölfen, um sie durch seine Anwesenheit zu beruhigen. Denn Wölfe können in einer ihnen unbekannten Umgebung panisch reagieren. Wer bei ihnen übernachtet, sollte sie gut kennen: Bei Kotrschal kein Problem – hatte der Wolfsforscher die Tiere doch von klein auf aufgezogen. So war eine starke Bindung zwischen Mensch und Wolf entstanden – eine Voraussetzung, um differenziertes Wissen über die Wölfe zu gewinnen.
Stürmische Entwicklungen
Diese sehr persönlich geschilderten Erinnerungen eröffnen das jüngste Buch von Kotrschal, das darauf abzielt, „unsere alten Beziehungskisten zu Wolf und Hund“ auf dem Fundament aktuellen Wissens besser zu verstehen. Zu viel ist passiert, seit der emeritierte Professor der Uni Wien sein erstes Buch zum Thema („Wolf – Hund – Mensch“, 2012) veröffentlicht hat: In vielen Ländern Europas haben die Wolfspopulationen stark zugelegt, sodass auch nach Österreich immer mehr Wölfe eingewandert sind. Mit ihnen kam eine aufgeheizte Debatte, in der Naturschützer, Landwirte und Jäger teils heftig aneinandergeraten. Angesichts der stürmischen Entwicklungen rund um die Wölfe im Freiland und aufgrund neuer Erkenntnisse in der Wissenschaft beleuchtet der Autor das Thema nun aus einer anderen Perspektive. In „Der Wolf und wir“ (2022) geht es primär um die Chancen, die die Rückkehr des sagenumwobenen Raubtiers angesichts von Klimakrise und Artensterben bietet.
Als Beutegreifer an der Spitze der Nahrungspyramide erfüllt der Wolf wichtige ökologische Funktionen. So hat die Wiederansiedlung von Wölfen im amerikanischen Yellowstone-Nationalpark ein ganzes Ökosystem verändert und zahlreiche Arten vermehrt, darunter Füchse, Fische und Adler. In Österreich machen die Nationalparks allerdings nur 2,6 Prozent der Staatsfläche aus. In der Kulturlandschaft und Weidewirtschaft führt die Wiederkehr des Wolfes zu Problemen; am Herdenschutz führt daher kein Weg vorbei, so Kotrschal. Abseits von „grünen“ Lippenbekenntnissen sei der Wolf die „echte Nagelprobe, wie ernst es uns ist mit der Umstellung unserer Lebens- und Wirtschaftsstile in Richtung Nachhaltigkeit“.
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