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Worauf die SPÖ zielt

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Im Frühjahr legte die SPÖ bekanntlich einen neuen Vorschlag zur Reform des österreichischen Wahlrechtes vor, dessen wichtigste Bestimmungen folgende waren: Das Bundesgebiet soll — wie bisher — in 25 Wahlkreise und zwei (bisher vier) Wahlkreis verbände eingeteilt werden. Ähnlich dem geltenden Wahlrecht hätte die Mandatsverteilung in zwei Ermittlungsverfahren zu erfolgen: Zunächst wird die Wahlzahl in den einzelnen Wahlkreisen so errechnet, daß die Zahl der gültigen Stimmen durch die Zahl der zu vergebenden Mandate dividiert wird; da bisher die Zahl der gültigen Stimmen durch die um eins vermehrte Zahl der zur Vergebung gelangenden Mandate dividiert wurde, hat der SPÖ-Vorschlag im ersten Ermittlungsverfahren zur Folge, daß einerseits die Wahlzahl ig ,dgp einzelnen Wahlkreisen höher und dadurch die Erringung eines Grundmandates schwieriger wird, anderseits mehr Mandate zur Verteilung im zweiten Ermittlungsverfahren übrig bleiben. Das zweite Ermittlungsverfahren spielt sich in den Wahlkreisverbänden ab; nach dem SPÖ-Vorschlag sollen die Bundesländer Wien und Niederösterreich den Wahlkreisverband I, alle übrigen Bundesländer den Wahlkreisverband II bilden. An der Vergebung der Mandate in diesem zweiten Ermittlungsverfahren sollen nur jene Parteien teilnehmen, die entweder — so wie bisher — im ersten Ermittlungsverfahren ein Grundmandat erhalten oder die in einem der beiden Wahlkreisverbände mehr als fünf Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen erreichen konnten. Das stark abgeänderte zweite Ermittlungsverfahren soll nun die größere „Wahlgerechtigkeit“ garantieren. Dies geschieht folgendermaßen: Es werden nicht — wie bisher — die Reststimmen ermittelt, sondern es wird für jeden der beiden Wahlkreisverbände eine Wahlzahl dadurch errechnet, daß die gültigen Stimmen der im ersten Ermittlungsverfahren erfolgreichen Parteien (die also ein Grundmandat oder mehr als fünf Prozent der Stimmen erhalten haben) addiert und durch die Zahl der im gesamten Wahlkreisverband zu vergebenden Mandate dividiert werden. Jede Partei soll dann so viele Mandate erhalten, als die vorgenannte Wahlzahl in der Zahl ihrer Stimmen enthalten ist. Dies wird erreicht, indem aus dem Vorrat der Restmandate jeder Partei zu den bereits erlangten Grundmandaten so viele Restmandate zugewiesen werden, daß sie die vorberechnete Mandatszahl erhält. Daraus ergibt sich also, daß das erste Ermittlungsverfahren praktisch nur der Feststellung allfälliger Grundmandate dient, die endgültige Ermittlung und Verteilung der Mandate aber ausschließlich in den Wahlkreisverbänden vor sich geht.

Gegen diesen Vorschlag wurden nun seitens der ÖVP verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. Zweifellos haben die Argumente der stärksten Partei die maßgeblichen

Fachleute der SPÖ bewogen, knapp vor Beendigung der Frühjahrstagung des Nationalrates einen etwas modifizierten Vorschlag auszuarbeiten, der allerdings nichts Wesentliches an dem vorstehenden Wahlverfahren und damit am rechnerischen Ergebnis ändert: Nach der Wahl vom November 1962 ist der Nationalrat bekanntlich gegenwärtig aus 81 Mandataren der ÖVP, 76 der SPÖ und 8 der FPÖ zusammengesetzt; nach dem oben geschilderten SPÖ-Vorschlag ergäbe sich eine Zusammensetzung von 77 ÖVP-, 76 SPÖ- und 12 FPÖ-Mandataren; der jüngste SPÖ-Vorschlag hätte ein Verhältnis von 78:75:12 zur Folge. Zum besseren Verständnis muß nun jedoch auf die Wahlrechtsbestimmungen unseres Bundesverfassungsgesetzes eingegangen werden.

Die Grundsätze der Bundesverfassung

Im wesentlichen schreibt das Bundesverfassungsgesetz für die Wahl des Nationalrates folgendes zwingend vor:

1. Der Nationalrat ist auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Wahlrechts nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu wählen;

2. das Bundesgebiet ist in räumlich geschlossene Wahlkreise einzuteilen, deren Grenzen die Landesgrenzen nicht schneiden dürfen;

3. die Zahl der Abgeordneten ist auf die Wahlkreise im Verhältnis der Bürgerzahl der Wahlkreise zu verteilen;

4. eine Gliederung der Wählerschaft in andere Wahlkörper als in Wahlkreise ist nicht zulässig. • Gegen den oben geschilderten

Wahlrechtsentwurf der SPÖ wurde nun hauptsächlich angeführt, daß er die nach Wahlkreisen aufgeteilten Mandate in Wirklichkeit nicht „wahlkreisweise“ vergebe, also die verfassungsrechtlichen Grundsätze wenn schon nicht direkt verletze, so zumindest zu umgehen trachte. Über den Erfolg einer allfälligen Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof waren und sind die Fachjuristen verschiedener Meinung. Da aber die SPÖ seit dem Habsburg- Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes diesbezüglich eher zum Pessimismus neigen dürfte, hat sie es sich jedenfalls angelegen sein lassen, dem Koalitionspartner nach Möglichkeit den Weg zum Verfassungsgerichtshof überhaupt abzuschneiden.

Die wenigen Veränderungen, die Fachleute der SPÖ an dem oben geschilderten Wahlverfahren nunmehr vorgenommen haben, beruhen offensichtlich auf folgenden Überlegungen: Die Verfassung schreibt zwingend vor, daß das Bundesgebiet in räumlich geschlossene Wahlkreise eingeteilt werden muß, ohne deren Zahl festzulegen; auf diese Wahlkreise sind die Mandate im Verhältnis der Bürgerzahl aufzuteilen. Die letztere Bestimmung hat bisher anscheinend stets die SPÖ benachteiligt, denn in Wahlkreisen mit einer gegenüber der Zahl der Wahlberechtigten verhältnismäßig noch viel größeren Bürgerzahl waren Mandate entsprechend billiger, und das scheint erfahrungsgemäß, in ländlichen. kinderreichen Gegenden, die zugleich politisch mehr der ÖVP zuneigten, der Fall gewesen zu sein. Daher benötigte die SPÖ bisher bei jeder Nationalratswahl mehr Stimmen für die Erlangung eines Mandates als die ÖVP und blieb auch zweimal — trotz größerer Stimmenzahl — um ein Mandat hinter der ÖVP zurück.

Je größer allerdings die Wahlkreise, desto mehr sind Schwankungen im

Verhältnis zwischen Bürgerzahl und Zahl der Wahlberechtigten ausgleichbar. Da nun die Verfassung die Zahl der Wahlkreise nicht festlegt, müßte es eigentlich genügen, das Bundesgebiet in zwei Wahlkreise einzuteilen, die allerdings räumlich geschlossen sein müssen. Auf diese zwei Wahlkreise wären die zu vergebenden Mandate im Verhältnis der Bürgerzahl auf zu teilen. Naheliegende Folgerung für die Wahlrechtsexperten der SPÖ: Man muß nur aus den oben geschilderten Wahlkreisverbänden, in denen das Ermittlungsverfahren sich vollziehen soll, „Wahlkreise“ machen, und den Grundsätzen der Bundesverfassung ist Genüge getan!

Der neueste SPÖ-Vorschlag

Der im Nationalrat zur Wahlrechtsreform vorgelegte letzte sozialistische Vorschlag sieht nun im einzelnen folgendes vor: An Stelle der bisherigen Wahlkreisverbände sollen laut diesem Vorschlag zwei „Verbandswahlkreise“ treten: Verbandswahlkreis I soll aus den Bundesländern Wien, Niederösterreich und Burgenland, Verbandswahlkreis II aus Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Vorarlberg, Steiermark und Kärnten bestehen. Die 165 Nationalratsmandate werden zunächst auf die beiden Verbandswahlkreise nach dei Bürgerzahl aufgeteilt. Innerhalb der beiden Verbandswahlkreise werden die Mandate ebenfalls nach der Bürgerzahl auf die 25 Wahlkreise aufgeteilt. Dies stellt sicher, heißt es in dem Vorschlag, daß sowohl die einzelnen Wahlkreise als auch die Verbandswahlkreise der Bestimmung der Bundesverfassung über das Mandatszuteilungsverfahren entsprechen. Die Bezeichnungen „erstes“ unc „zweites Ermittlungsverfahren“ sollen durch die Bezeichnungen „vorläufiges“ und „endgültiges Ermittlungsverfahren“ ersetzt werden.

In den einzelnen Wahlkreisen wird ein vorläufiges Ermittlungsverfahren ‘ tfürchgefühSd. Dieses ist dem ersten Ermittlungsverfahren des geltenden Wahlrechtes ähnlich: Di Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen wird durch die Zahl der Mandate des Wahlkreises dividiert. Die so gefundene Zahl ist die Wahlzahl. Nunmehr werden die Parteistimmen des Wahlkreises durch die Wahlzahl dividiert und den Parteien vorläufig so viele Mandate zugewiesen, als die Wahlzahl in ihrer Stimmensumme enthalten ist.

Die zahlenmäßige Zuteilung der Mandate auf die Parteien erfolgt im endgültigen Ermittlungsverfahren auf der Ebene des Verbandswahlkreises. Hiezu werden die Gesamtstimmen jeder Partei im Verbandswahlkreis zusammengezählt. Am endgültigen Ermittlungsverfahren nehmen nur jene Parteien teil, die in einem der beiden Verbandswahlkreise fünf Prozent der Stimmen erreicht haben oder im vorläufigen Ermittlungsverfahren ein Mandat zugewiesen erhielten (Grundmandat).

Sodann werden im Verbandswahlkreis die Stimmen jener Parteien addiert, die am endgültigen Ermittlungsverfahren teilnehmen. Die so gewonnene Summe wird durch die Zahl der Mandate dividiert, die dem Verbandswahlkreis zugeteilt wurde. Diese Zahl ist die Wahlzahl des Verbandswahlkreises. Jede Partei erhält im Verbandswahlkreis nunmehr so viele Mandate, als die Wahlzahl in ihrer Parteisumme enthalten ist. Können auf diese Weise nicht alle Mandate vergeben werden, so ist die Division auf drei Dezimalstellen vorzunehmen, und die übrigen Mandate sind nach der Größe dieser Dezimalreste zuzuteilen.

Im endgültigen Ermittlungsverfahren erhält jede Partei zahlenmäßig so viele Restmandate zugesprochen, als die Differenz zvwischen ihren Grundmandaten und der im endgültigen Ermittlungsverfahren errechnten Mandatszahl beträgt. Die Zuteilung dieser Restmandate erfolgt jedoch wieder in den Wahlkreisen, und zwar derart, daß die Restmandate jeder Partei in jenen Wahlkreisen vergeben werden, in denen im vorläufigen Ermittlungsverfahren nicht alle Mandate vergeben wurden. Diese Vergebung wird nach der Größe der Reststimmensummen der Parteien in den Wahlkreisen vorgenommen.- f; £ - , :

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