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Zerfall der Elemente

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Als Becquerel im Jahre 1896 entdeckte, daß Uranerze ohne jede äußere Einwirkung Strahlen aussenden, konnte man noch nicht absehen, welche Möglichkeiten sich hier der Erforschung atomarer Verhältnisse bieten. Die Analyse der Uranerze führte zwei Jahre später das Ehepaar Curie zur Entdeckung des Radiums. Die radioaktiven Strahlen, die dieses Element aussendet, erwiesen sich zum Teil als Träger positiver und negativer Elektrizität (Alpha- und Betastrahlen), zum Teil als Wellenstrahlung (Gammastrahlen). Ihre nähere Untersuchung brachte in wenigen Jahren die Entdeckung der Grundstoffverwandlung mit sich; denn schon 1900 konnte Rutherford feststellen, daß das radioaktive Element Thorium ständig ein Gas entwickelt, das er Thoriumemanation nannte. Man erkannte bald, daß es sich hier um den Zerfall eines Elementes handelte.

Wir wissen heute, daß alle Atome einen positiv geladenen Atomkern besitzen, der fast die gesamte Masse des Atoms in sich vereinigt; dieser Atomkern ist von einer Elektronenwolke umgeben. Die Elektronen sind bekanntlich die kleinsten Träger negativer Elektrizität. Die Umwandlung von Elementen durch den radioaktiven Zerfall hat uns gelehrt, daß auch der Atomkern nicht ein einheitliches Gebilde, sondern ebenfalls zusammengesetzt ist, und zwar wird er aus zwei Arten von Elementarteilchen: einem positiven, dem Proton, und einem elektrisch neutralen, dent Neutron, aufgebaut. Da der Atomkern nur positive Ladungen enthält, so wird bei schweren Kernen sein Gefüge instabil, weil hier die gegenseitige Abstoßung der gleichnamigen Ladungen so groß wird, daß die Bindungskräfte zwischen den Protonen und Neutronen nicht mehr ausreichen, um den Kern zusammenzuhalten. Als Folge davon tritt der Zerfall der Atomkerne ein: Die meisten radioaktiven Kerne senden Alphastrahlen aus. Die Träger dieser Strahlen, die sogenannten Alphateilchen, bestehen aus zwei Protonen und zwei Neutronen. Sendet nun ein Kern ein solches Alphateilchen aus, dann vermindert sich somit seine Massenzahl um vier, hingegen seine Ladung nur um zwei Elementarladungen, weil nur die Protonen elektrisch geladen sind. Durch die Aussendung eines Alphateilchens wird die Ordnungszahl — das ist die Anzahl der Protonen im Atomkern — um zwei vermindert, das Element rückt an eine andere Stelle im periodischen System der Elemente. Da sich ein Neutron unter Aussendung eines Elektrons in ein Proton verwandeln kann, so kommt es vielfach zur Aussendung von Elektronenstrahlen, den sogenannten Betastrahlen, wenn durch die Aussendung von Alphastrahlen ein Neutronenüberschuß entstanden ist. Die Umwandlung eines Neutrons in ein Proton bedeutet aber eine Erhöhung der Ordnungszahl um eins. Die Ordnungszahl ist deswegen für die Charakterisierung der chemischen Grundstoffe wichtig, weil alle chemischen Eigenschaften der Grundstoffe durch die Elektronen der Atomhülle bestimmt sind. In einem neutralen Atom muß aber die Anzahl der Elektronen der Atomhülle gleich der Anzahl der Protonen im Atomkern sein. Aendert sich also die Ordnungszahl, so wandelt sich das entsprechende Element in ein anderes um. Durch den radioaktiven Zerfall der schweren Kerne entstehen ganze Zerfallsreihen. So zerfällt zum Beispiel das Uran mit dem Atomgewicht 238 und der Ordnungszahl 92 durch die Aussendung eines Alphateilchens in ein Thoriumisotop (Isotope sind Atome gleicher Ordnungszahl, aber verschiedenen Atomgewichtes). Dieses Thoriumisotop hat einen Neutronenüberschuß, geht daher durch zweifache Elektronenaussendung in ein Uranisotop (Atomgewicht 234) über. Nun folgen fünf Alphateilchenemissionen nacheinander, so daß die Zerfallsreihe über das Ionium, Radium, Radiumemanation und Radium A

zu Radium B führt. Darauf folgt wieder abwechselnd Elektronen- bzw. Alphateilchenemission. Das Endprodukt des Zerfallsprozesses ist wie in den anderen zwei Zerfallsreihen (Thorium- und Actiniumreihe) das stabile Blei.

Die übersichtliche Form, die uns heute das Schema der natürlichen Radioaktivität liefert, war aber erst das Ergebnis einer mühevollen Arbeit von Chemikern und Physikern, die ein unübersichtliches Gemenge von Substanzen und Strahlungen analysieren mußten, um eine Klärung der Zusammenhänge erreichen zu können. Die Trennung der radioaktiven Substanzen ' wird dadurch erschwert, daß verschiedene Zerfallsprodukte die gleiche Ordnungszahl besitzen, sich daher auf chemischem Weg nicht trennen lassen. Außerdem reichern sich in jedem radioaktiven Element die Zerfallsprodukte an und stören die Messung durch ihre eigene Strahlung.

Eine Einmaligkeit in der Bewältigung dieser schwierigen Aufgabe stellt d i e dreißig jährige Zusammenarbeit des Chemikers Otto Hahn mit der Physikerin Lise Meitner dar. Otto Hahn ist 1879 in Frankfurt am Main geboren und studierte in Marburg an der Lahn physikalische Chemie. Im Laboratorium von Ramsay begann er mit der Analyse radioaktiver Substanzen und entdeckte dort das Zerfallsprodukt des Thoriums Radiothor. Hahn stieß oft auf Mißtrauen auch unter den Autoritäten seiner Zeit. Zwei weitere Entdeckungen sind das Mesothor 1 und Mesothor 2, deren Existenz er schon früher auf Grund von Strahlungserscheinungen vorhersagte. 1907 begann seine Zusammenarbeit mit Lise Meitner, die sich äußerst erfolgreich erwies. Lise Meitner wurde 1878 in Wien geboren, studierte hier Physik und ging nach ihrer Promotion nach Berlin, wo sie ihre Zusammenarbeit mit Otto Hahn begann. Seit 1938 lebt sie in Stockholm, wo sie ihre kernphysikalischen Forschungen fortsetzt.

Die natürliche Radioaktivität ist aber nicht die einzige Möglichkeit, Kernumwandlungen zu beobachten. Dem italienischen Physiker F e r m i gelang es nämlich, durch das Beschießen von Atomkernen mit Neutronen eine Reihe von an sich stabilen Elementen künstlich radioaktiv zu machen. Hahn beschoß nun schwere Elemente mit Neutronen und dabei stellte sich heraus, daß das Uranisotop mit dem Atomgewicht 235 das Neutron nicht anlagert, sondern in zwei Atomkerne mittlerer Größe gespalten wird. Dabei wird mehr Energie frei als notwendig ist, um den Kern zu spalten: Der Atomkern des Urans ist durch die elektrische Abstoßung der Protonen schon so labil, daß eine leichte Deformation des Kerns genügt, um ihn in zwei stabile Bruchstücke zu spalten. Da die Bruchstücke eine geringe Ladung besitzen, so können sich in ihnen die Kernteilchen viel fester aneinander binden; durch die festere Bindung verlieren die Spaltprodukte potentielle Energie, welche sich in Bewegungsenergie umwandelt. Diese macht sich als Wärmeentwicklung geltend. Wichtig ist, daß neben den zwei Restkernen durch die Spaltung noch zwei weitere Neutronen auftreten, welche nun Weiter! Uranatome spalten können. Die Ni'utronenzahl steigt also bei jeder Reaktion auf das Doppelte, so daß in einem Stück Uran eine Kettenreaktion ausgelöst werden kann, welche zu einer unvorstellbaren Wärmeentwicklung führt. Dieser Prozeß ist die Grundlage der Atombombenexplosionen.

Die Entdeckung Hahns, die er 1939 veröffentlichte und für die er 1946 den Nobelpreis erhielt, ist so die Voraussetzung einer gefahrvollen Entwicklung geworden. Um so mehr verdient es unsere Aufmerksamkeit, daß Otto Hahn am 2 4. Februar 1953 im Großen Saal des Wiener K o n z e r t h a u s e s über das Thema „Atomenergie für den Frieden“

und seine langjährige Mitarbei« terin Lise Meitner am 2 5. Mära 1953 über „das Atom unddasUni-versum“ sprechen werden. Die Bedeutung der Forscher für die Entwicklung der modernen Physik rechtfertigt unser Interesse an beiden Vorträgen.

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