Zu einer Grundlage der Kritik

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Das Leiden der politischen Kritik beginnt mit der Ungewissheit über ihren Gegenstand. Kaum hat man sich vom Schock über eine Mitteilung erholt, hat die aus dem limbischen System aufkeimende Empörung zugunsten rationaler, objektivierbarer Argumentation über einen Sachverhalt zurückgedrängt, muss man erkennen: Es ist nicht immer gleich klar, was wir meinen, sobald einer zu politischer Kritik und Debatte schreitet. Es ist stets etwas ungewiss, worin der Kern, der eigentliche Gegenstand der Kritik besteht. So sind, ehe man etwa zur Kritik an einer Beschlusslage der Bundesregierung gelangt, Vorstufen zu nehmen.

Für Kritik ist Kompromiss Verrat

Auf der ersten Stufe, jener der massenmedialen Vermittlung eines Bildes der Regierung, hinterlässt diese einen mäßigen Eindruck. Hier gilt noch der Kritikergrundsatz, Kompromisse seien Verrat an Grundsätzen. So manches Medium unterliegt dem Irrtum, mit so starker Kritik seine Unabhängigkeit bewiesen zu haben, während es in Wirklichkeit nur die wüste Gestik fundamentaler Opposition übernommen hat. So wird ja auch jegliche Einigung in einer Koalition weniger als Fortschritt in der Sache, sondern mehr als abgefeimter Pakt zulasten Dritter und zugunsten eigenen Machterhaltes betrachtet. Genau solches kommt schon vor, aber jene, die dieses Bild vorwiegend pflegen, erhalten ihre Bestätigung aus dessen selbst gefertigter Herstellung. Was die erste Stufe der politischen Kritik in kritischem Lichte erscheinen lässt.

Jenes Bild, zweite Stufe, welches die Bundesregierung von sich einem unvoreingenommenen Betrachter zu bieten versucht, ist zwangsläufig ebenfalls ein Ausschnitt, ein Teil der Wirklichkeit, und wird bemerkenswerterweise vom Blick auf Massenmedien und ihre Darstellungen geleitet: Das Bild sollte – wem wäre dieser Versuch schon vorzuwerfen? – möglichst gut aussehen, stark wirken. Die etwas entwürdigend wirkende Absicht, in den Medien ein gefälliges Bild abzugeben, zwängt die Politik in den damit vorgegebenen Bilderrahmen: Politik reduziert auf Kommunikation, deren Regeln die Hersteller und Händler dieser Bilder bestimmen.

Erst wenn auch diese Stufe – vermeintlicher – politischer Kritik genommen ist, stößt man zum Kern der Sache vor: Diesfalls zu den aktuellen Beschlüssen über Mindestsicherung und Transparenzdatenbank.

Die Koalition hat, wenn auch in unterschiedlicher Qualität, bei ihrer Klausur beides beschlossen, also offensichtlich verbunden. Das Junktim, welches den zuvor geschilderten Umständen geschuldet zu sein scheint, möge die Projekte nicht entwerten. Es bedarf längst beider.

Grundlagen politischer Kritik

Die Mindestsicherung beseitigt vielleicht ein Problem, schafft aber ein neues. Das Dickicht an unterschiedlichen sozialen Leistungen und an unterschiedlichen Zuständigkeiten für jene, die dringend finanzieller Hilfe bedürfen, ist nach Expertenansicht völlig undurchschaubar. Ein Kahlschlag an Kompetenzen, eine Vereinheitlichung der Materie erscheinen dringend geboten. Was fehlt, ist hingegen eine Abschätzung der Folgen: Wie viel an administrativem Aufwand kann künftig eingespart werden? Wie viel an Kosten wird die Mindestsicherung verursachen? Hier, so hat man den Eindruck, sind noch Berechnungen anzustellen.

Gleiches gilt wohl für die Transparenzdatenbank, die auf die Idee eines Transferkontos zurückgeht. Das auf Gegenseitigkeit beruhende Preis-Leistungs-Verhältnis zwischen Staat und Bürger – wer gibt wem wie viel wofür? – entzieht sich mangels allgemein bekannter Grundlagen über die Datenlage dem umfassenden Gespräch. Doch bei vierzig unterschiedlichen Steuern und der nahezu zehnfachen Anzahl an Transfers, Förderungen et cetera wäre deren offene Darstellung hilfreich. Nicht zuletzt für politische Kritik, die sich ihren Begriff verdient und erst so begänne.

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