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ZUM BEISPIEL: SCHWEDEN

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Das Schwedische Filminstitut hat der Universität Stockholm vorgeschlagen, an der Universität eine Lehrkanzel für Filmwissenschaft zu errichten. Das Professorenkollegium hat diesem Vorschlag zugestimmt. Voraussichtlich ab 1969 wird in Stockholm eine Professur für Fiirmgeschichte oder Filmwissenschaft — die Abgrenzung des Themas ist noch nicht entschieden — geschaffen werden, bis dahin aber werden am Theatergeschichtlichen Institut Vorlesungen und Seminare zur Filmgeschichte gehalten. Zur Abhaltung einer solchen Vorlesung wurde ich als Gastprofessor im Sommersemester 1966 nach Stockholm berufen.

Ein solcher Entschluß eines Professorenkollegiums einer Universität ist für europäische Verhältnisse geradezu revolutionär. Nicht deshalb, weil sich die Wissenschaft in Europa nicht mit dem Film beschäftigt. Aber wo sie es auf akademischem Boden tut, tut sie es am Rand, entweder an Akademien, deren vorwiegende Pflicht es ist, Berufsausbildungen zu vermitteln, oder als Rand- und Teilgebiete anderer Disziplinen, sei es der Soziologie, der Kommunikationswissenschaft, der Publizistik, der Theaterwissenschaft, der Pädagogik, der Psychologie oder anderer Hochschulfächer. Es ist eine Ausnahme, wenn man etwa an einer Universität in Italien das Fach Filmgeschichte durch eine echte Professur vertreten findet.

Was steht hinter diesem Fakultätsentschluß? Ich glaube, eine neue Einstellung der offiziellen Kreise Schwedens zum Film überhaupt, die zu einem der interessantesten Experimente geführt hat, mit denen ein kleines Land die Filmkrise zu meistern versucht.

Vor drei Jahren wurde in Schweden das Schwedische Filminstitut gegründet. Das Institut ist eine Stiftung der Schwedischen Filmwirtschaft, der Produzenten, der Verleiher, der Kinobesitzer. Es entstand auf Grund einer Vereinbarung mit der schwedischen Regierung. Der schwedische Staat hat auf die Einhebung der Vergnügungssteuer auf Filmvorführungen verzichtet. Dafür hat die Filmwirtschaft zehn Prozent ihrer Karteneinnahmen für die Finanzierung der Stiftung Schwedisches Filminstitut zur Verfügung gestellt und ihm die Aufgabe übertragen, die Existenz und Förderung einer schwedischen Filmproduktion und die Entwicklung der kulturellen und wissenschaftlichen Filmartbeit in Schweden sicherzustellen. Die Verwendung der Mittel ist in dem Vertrag mit der Regierung festgelegt: 30 Prozent dienen der Förderung schwedischer Filme im Verhältnis zu ihrem Kassenerfolg. 18 Prozent sind für Qualitätsprämien für schwedische Langfilme bestimmt, zwei Prozent für Qualitätsprämien für Kurzfilme. 15 Prozent sind zur Deckung von Fehlbeträgen für solche schwedische Spielfilme bestimmt, die eine Qualitätsprämie erhalten haben. Fünf Prozent der Mittel dienen der Öffentlichkeitsarbeit und 30 Prozent der kulturellen und wissenschaftlichen Arbeit, wie zum Beispiel der Schule für den Filmnachwuchs, der Filmforschung und Filmwissenschaft, der Filmklubarbeit, dem Filmarchiv, Forschungsaufträgen und Veröffentlichungen, dem Kinderfilm und so weiter. Das Budget des Instituts, zirka zwölf Mil lionen Schwedenkronen im Jahr, entspricht einem Schillingwert von zirka 60 Millionen.

Das Auffälligste an dieser Verteilung der Mittel ist der hohe Anteil, den die schwedische Filmwirtschaft den kulturellen Aktivitäten zukommen läßt. Einrichtungen wie das Schwedische Filmarchiv (Filmhistoriska Samlingarna) oder die Filmklubarbeit, die jahrzehntelang mit unzulänglichen Mitteln und viel opferfreudigem Idealismus dahin- yegetierten, blühen nun auf( die Filmschule wurde zur Gewin-

niung eines talentierten'Nachwuchses gegründet und ein erfahrener Filmproduzent und Filmhistoriker — eine solche Personalunion gibt es in Schweden in der Person von Rune Waidekranz — zum Rektor bestellt. In Österreich mag es besonderes Interesse finden, daß der Direktor des Schwedischen Filminstituts, der schwedische Staatsbürger Harry Schein — er ist mit der bekannten schwedischen Schauspielerin Ingrid Thulin verheiratet —, gebürtiger Österreicher ist. Er hat zur Verwirklichung der schwedischen Filmreform Entscheidendes beigetragen.

Die Überlegungen der schwedischen Filmwirtschaftler, die hinter diesem Anteil stehen, scheinen mir aber sehr real zu sein. Es geht um die Integrierung des Films in das Kulturleben des Landes. Das Theater ist in Europa längst ins Kulturbewußtsein einbezogen, der Film und das Kino noch nicht. Die schwedischen Filmwirtschaftler aber scheinen erkannt zu haben, daß es die Öffentlichkeit gar nicht interessiert, ob es der Filmwirtschaft gut oder schlecht geht, daß aber die Qualität und der Charakter der Filme im In- und Ausland zum Diskussionsgegenstand werden, und daß die Bedeutung des Films überhaupt von dem Grad abhängt, in dem er als Teil des Kulturlebens eines Landes anerkannt wird.

Mit einem Grundproblem hat sich jede Filmförderung auseinanderzusetzen: Wie verhindert man den Auftragsfilm, die Übermacht der Institution nach dem Grundsatz „Wer zahlt, der schafft an“? Wie wahrt man trotz Filmförderung die schöpferische Unabhängigkeit des Produzenten oder des Künstlers?

Das Schwedische Filminstitut hat sich dazu folgende Grundsätze festgelegt: Es unterstützt nur den fertigen Film. Das Filmprojekt ist Angelegenheit des Produzenten oder des Künstlers. Er muß das Geld dafür aufbringen und das Risiko tragen. Die Chancen, die ihm die Förderung durch das Institut bringt, liegen in zwei Richtungen: Macht er einen Publikumsfilm, der sein Geld an der Kinokasse einbringt, so erhält er vom Institut, je größer sein Kassenerfolg in Schweden ist, um so mehr als Zuschuß aus den ersten 30 Prozent des Budgets. Macht er einen künstlerisch interessanten Film, so erhält er einen Zuschuß aus den 18 Prozent des Budgets, und ergibt sich, daß der Film zwar künstlerische Meriten hat, aber seine Produktionskosten an der schwedischen Kinokasse nicht einspielt, dann erhält er außerdem einen Beitrag zum Verlust aus den dafür vorgesehen 15 Prozent des Budgets. Die Rechnung eines Produzenten, der einen künstlerischen Film macht, kann also auch dann noch aufgehen, wenn das Publikum an der Kinokasse nicht mitmacht. Kunst kommt von Können, argumentieren die Schweden, nicht von Gefallen.

Wer entscheidet nun, ob ein Film künstlerisch interessant oder qualitativ wertvoll ist? Dafür ist eine Jury von sieben Personen vorgesehen; Fachleuten, die ebenso unabhängig der Regierung wie der Filmwirtschaft gegenüberstehen und die ohne Diskussion und ohne Einstimmigkeit unabhängig voneinander die zu prüfenden Filme von 0 (ohne Qualitätsprämie) bis 3 (außergewöhnliches Kunstwerk) benoten. Die aus dieser Benotung errechnet Durchsohnittspunkte- zahl ergibt im Verhältnis ziur Punktezahl der anderen positiv bewerteten Filme den Anteil jedes Films an dem gesamten zur Ausschüttung vorgesehenen Betrag (kein Film darf allerdings mehr als 20 Prozent der ganzen Summe erhalten), ein Vorgang, der keine Ermessensentscheidung und kaum eine Einflußnahme von Interessenten ermöglicht.

Da Koproduktionen — der mit dem OCIC-Preis ausgezeichnete Film „Au Hazard Balthazar“ von Robert Bresson ist zum Beispiel eine französisch-schwedische Koproduktion — an diesen Filmförderungen teilhaben, ist die schwedische Reform auch für Produzenten anderer Länder, die koproduzieren wollen, von unmittelbarem Interesse.

Daß Schwedens Nachbarland Dänemark nach diesem Beispiel eine ähnliche Regelung für seine Filmproduktion und für seine Filminvestitionen verwirklicht, daß die Zahl der schwedischen Filme ansteigt und neue schwedische Filmschöpfer sich einen internationalen Namen machen, daß Schwedens Kinobesuch weniger absinkt, all das scheint mir nicht das wichtigste Ergebnis der schwedischen Reform zu sein. Das wichtigste Ergebnis scheint mir zu sein, daß in diesem Land — von der Filmwirtschaft ausgehend und von der Regierung unterstützt — der Versuch unternommen wird, den Film — zuerst den schwedischen und dann den Film überhaupt — ins Kultudbewußtsein zu integrieren. Dieser Versuch verdient europäisches Interesse. Dazu gehört niioht, daß wir zu allen schwedischen Filmen ja sagen. Das tun auch die Schweden nicht. Das gibt’s auch im Bereich der bildenden Kunst oder der Literatur nicht.

In totalitären Regimen hat der Film seinen legitimen Platz in der Wertordnung unabhängig vom Kommerziellen als Propaganda. In der freien Welt aber hat er seine Zukunft nur als Kulturgut. Erkennt das die Filmwirtschaft? Zum Beispiel in Schweden!

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