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Zum Schutze des Lebens

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Als ich die Abhandlung über die Abtreibung und verwandte Delikte als Reehtsproblem im Jahre 1955 verfaßt hatte, konnte ich nicht voraussehen, daß eben beim Landesgericht für Strafsachen Wien in der nächsten Zeit eine Reihe von Strafverfahren anhängig sein wird, die gerade die Abtreibung der Leibesfrucht zum Gegenstand haben. Beängstigend ist das Sinken der Geburtenziffer in Oesterreich, die nicht mehr als 15 Promille (Vorarlberg 19,7 Promille, Niederösterreich 15,8 Promille) beträgt und vor allem, daß Wien sogar einen negativen Rekord mit nicht weniger als 7 Promille aufgestellt hat. Wenn wir die Geburtsraten in Deutschland mit 16 Promille, Frankreich mit 20 Promille, den Niederlanden mit 22 Promille und Nordamerika mit 25 Promille vergleichen, so liegt .die Vermutung nahe, daß in Wien eine so intensive Geburtenbeschränkung betrieben wird, daß $ie, wie H. Knaus in seinem Aufsatz zur Frage der Ursachen unseres Geburtenrückganges („Wiener Medizinische Wochenschrift“, 1956, Nr. 1) erklärt, kaum mehr unterboten werden kann und zwangsläufig zu einer stetigen Abnahme der Einwohnerzahl führen muß. Wenn hier zu dem Problem der Abtreibung Stellung genommen wird, so sollen jedoch nicht die gynäkologischen Gründe, aber auch nicht die biologischen Gründe, welche zur Ablehnung der Abtreibung führen .könnten, näher behandelt, sondern das Problem . vorwiegend vom juristischen Standpunkt unter Berücksichtigung religiöser und moralischer Erwägungen erörtert werden.

Das kanonische Recht sah von jeher in der Abtreibung des belebten Embryos ohne Rücksicht auf die Entwicklungsstufe das Verbrechen der Tötung. Diesem Standpunkt der katholischen Sittenlehre entspricht es, wenn Papst Pius XI. in seiner Enzyklika „Casti con-nubii“ vom 31. Dezember 1930 die Beseitigung der Leibesfrucht ein schweres Vergehen und einen ruchlosen Frevel nennt. Papst Pius XII. verweist in seiner Ansprache an die Teilnehmer des Kongresses katholischer Hebammen Italiens am 29. Oktober 1951 darauf, daß keine menschliche Autorität, keine Wissenschaft und keine medizinische, eugenische, soziale, wirtschaftliche oder moralische Indikation einen gültigen Rechtstitel abgebe für eine direkte freie Verfügung über ein unschuldiges Menschenleben. Et kommt zum Schluß, daß das Leben eines unschuldigen Menschen unantastbar ist und daher jeder direkte Angriff gegen dieses Leben zu einer Verletzung fundamentaler Gesetze wird, ohne die ein gesichertes menschliches Zusammenleben nicht möglich ist.

Den Rechtsgrundsätzen der katholischen Sittenlehre folgten die österreichischen Gesetzgebungswerke seit der Constitutio Criminalis Theresiana (1768) über das Josefinische Strafgesetzbuch (1787) sowie über das Strafgesetzbuch von 1803 und 1852, ebeSso wie das Deutsche Reichsstrafgesetzbuch vom Jahre 1870. Sie sehen in der Abtreibung ein als Verbrechen strafbares Delikt. Diese Gesetzgebungswerke haben sich damit grundsätzlich in Gegensatz zum römischen Recht gestellt, das dem Embryo keinen direkten strafrechtlichen Schutz einräumte, sondern ihn nur insofern schützt, als durch seine Beseitigung das Rechtsgut des Lebens und der Gesundheit der Mutter oder das des Vaters auf Nachkommenschaft verletzt wird.

Zu den unverlierbaren Werten, die die Menschheit dem Christentum verdankt, gehört einerseits die Erkenntnis, daß alle Menschen im Besitz einer unsterblichen Seele und daher als individuelle Persönlichkeiten zu achten sind — auf die besondere Wertung der Persönlichkeit hat sich allerdings nicht nur vom christlichen Standpunkt aus auch die Renaissance sehr viel zugute getan —, und anderseits das Verdienst, das besondere Verständnis dafür geweckt zu haben, was man gewöhnlich Menschenwürde nennt. Da mit diesem durch das Christentum der Menschheit geschenkten Fortschritt in der abendländischen Geistesgeschichte die Abkehr von der grundsätzlichen Wertung des menschlichen Lebens durch die Römer verbunden war. mußte es bei der Erkenntnis bleiben, daß die Tötung der Leibesfrucht Unrecht sei, woraus folgt, daß die Mutter keinVer-fügungsrecht über eine Portio mulieris vel viscerum besitze.

Die unbedingte Ablehnung der Abtreibung der Leibesfrucht fand in Lehre und Rechtsprechung ihre Einschränkung durch die Anerkennung der Unrechtsausschließungsgründe. Nicht der Unrechtsgehalt der Tathandlung steht demnach zur Diskussion, sondern die Frage, welche Umstände das Unrecht ausschließen. Die Rechtslehre hat bereits frühzeitig Rechtfertigungsgründe für eine Schwangerschaftsunterbrechung anerkannt. Dies gilt vor allem für die sogenannte medizinische Indikation. Sie wurde dann als gegeben erachtet, wenn ein Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zur Abwendung einer ernsthaften Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Mutter mit deren Einwilligung die Schwangerschaftsunterbrechung vornimmt. Nicht zuletzt ging man hierbei von der Erwägung aus, daß der Schutz, den die Gesetzgebung der Leibesfrucht wegen der bei dieser vorausgesetzten Persönlichkeit, nämlich des Kindes, ange-deihen läßt, nicht bis zum Abbruch jenes Wesens ausgedehnt werden soll, das bereits in der Sinnenwelt als Persönlichkeit (Mutter) existiert.

Mit der medizinischen Indikation hat sich insbesondere die Strafgesetznovelle 1937 befaßt. Zugleich mit der Novellierung einzelner Bestimmungen des Strafgesetzes im Zusammenhalt mit dem Bundesgesetz zum Schutz des keimenden Lebens, BGBl. Nr. 203/1937, auf Grund dessen ärztliche Prüfungsstellen eingerichtet wurden, ist die medizinische Indikation einerseits genau umschrieben worden und sind anderseits besondere Institutionen für die objektive F e s t s t el 1 u n g der Voraussetzung einer medizinischen Indikation geschaffen worden. Das angeführte Gesetz wurde im Jahre 1939 durch die Bestimmungen der rassenhygienischen Gesetze des Deutschen Reiches abgelöst. In der Folge sind zwar diese nationalsozialistischen Gesetze, welche ebenfalls nur eine medizinische Indikation für zulässig erklärten und für den Eingriff die Erklärung einer Gutachterstelle erforderlich machten, beseitigt worden. Dadurch ist jede nähere Regelung auf diesem Gebiete weggefallen, so daß seither keine praktische Garantie besteht, daß der Unrechtsausschließungsgrund der medizinischen Indikation nicht nur als Deckmantel benützt und damit weniger gewissenhaften Aerzten ein Freibrief für an sich gesetzwidrige Abtreibungen ausgestellt wird (Gabler: „Therapie einer Volksseuche“, Oesterreichische Furche vom 15. Dezember 195 3). Schließlich sind es nicht immer Frauen aus unbemittelten Kreisen, die den Arzt zu diesem Zwecke aufsuchen, und der Grund, daß sie ein Kind nicht gebären wollen, liegt leider oft darin, daß die Geburt ihre Lebensweise stört oder den Lebensstandard senkt.

Damit kommen wir zu einem weiteren Unrechtsausschließungsgrund, der zwar weder von der österreichischen Lehre noch von der Rechtsprechung anerkannt wird, den jedoch zum Beispiel Sowjetrußland und die Staaten der Ostzone zeitweise sowie Schweden in Verbindung mit der medizinischen Indikation als Mischform anerkannt haben, nämlich zur sogenannten sozialen oder wirtschaftlichen Indikation, wonach die wirtschaftliche Notlage der Eltern einen Rechtfertigungsgrund für die Fruchtabtreibung bilden soll. Daß damit gegen die Grundsätze nicht nur der katholischen Kirche, sondern auch der christlichabendländischen Kultur verstoßen wird, habe, ich bereits oben ausgeführt. Nach den abschreckenden praktischen Erfahrungen, die einige Länder mit der vorübergehenden großzügigen Duldung der Abtreibung und vor allem auch aus den Gründen sozialer Indikation gemacht haben, wird auch von den für die Erweiterung des Indikationsgebietes eintretenden Kreisen gerade vor der sozialen Indikation als Rechtfertigungsgrund gewarnt. Derzeit ist sie nur noch in einem einzigen Land, und zwar in Uruguay, zugelassen.

Die medizinische Indikation vermag man juristisch damit zu rechtfertigen, daß bei einem unabwendbaren Widerstreit eines höheren Rechtsgutes mit einem anderen das letztere dem ersteren, nämlich dem höheren Rechtsgut, zu weichen hat, wenn dies das einzige und daher notwendige Mittel zur Erhaltung des gefährdeten höheren Rechtes bildet. Wenn nun das Leben der Mutter dem des werdenden Kindes gegenübergestellt wird, so werden doch noch Rechtsgüter von gleicher Würdigkeit einander gegenübergestellt und abgewogen sowie unter Umständen dem Leben der Mutter der Vorzug gegeben. Wenn hingegen das Rechtsgut des Lebens des Kindes dem Rechtsgut der Vermögenslage der Eltern gegenübertritt, so kommt es zur Konfrontation zweier vollkommen verschiedener Rechtsgüter, bei welcher dem Rechtsgut des Lebens des Kindes gegenüber dem des Vermögens der Eltern von vornherein der höhere Wert eingeräumt werden muß. Nicht nur die religiöse Einstellung, sondern jede moralische Wertung dürfte daher zur notwendigen Schlußfolgerung führen, daß das Rechtsgut des Lebens der Leibesfrucht nicht dem der Notlage der Eltern weichen da ff.

Daß im übrigen die wirtschaftliche Notlage nur ein relativer Begriff ist, daß weiter mit dem Fallen dieses von der Gesetzgebung aufgerichteten Dammes zum Schutz des Lebens sich als nächste Folge die Zulässigkeit der Tötung lebensunfähiger Kinder anschließen könnte, wie es einst in Sparta geschah, und daß schließlich die Vernichtung lebensunwerter erwachsener Personen den Schlußpunkt der Entwicklung bilden kann, dazu bedarf es keiner besonderen Phantasie, wenn man an die jüngst vergangenen Zeiten denkt. Es dürfte daher der Satz, daß sich die Menschheit selbst dadurch am besten schützt, wenn :ie die Leibesfrucht vor Vernichtung bewahrt, nicht unangebracht sein.

Geringere Bedeutung kommt den folgenden Indikationen zu:

Die eugenische Indikation besteht in der Schwangerschaftsunterbrechung zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Allein die Tatsache, daß man nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht mit Sicherheit voraussagen kann, ob die Erbkrankheit auf die Leibesfrucht übertragen wird, spricht gegen die Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung aus diesem Grunde.

Die ethisch indizierte Unterbrechung det Schwangerschaft soll Platz greifen, wenn die Schwangerschaft auf eine strafbare Handlung, wie Notzucht oder Blutschande, zurückzuführen ist. Das Recht auf persönliche Freiheit und geschlechtliche Selbstbestimmung der Frau lasse es nicht zumutbar erscheinen, daß sie ein gegen ihren Willen gezeugtes Kind austrage. Abgesehen davon, daß das Kind vom Zeitpunkt der Empfängnis ein vom Willen der Mutter unabhängiges Recht auf Leben besitzt, hat der Mißbrauch, der zum Beispiel in Thüringen nach dem Jahre 1946 mit der ethischen Indikation getrieben wurde — die Zahl der Unterbrechungen aus diesem Grunde betrug 32,2 Prozent aller Schwangerschaftsunterbrechungen —, dazu geführt, davon abzugehen. Daß plötzlich o viele Frauen Opfer von Sittlichkeitsverbrechen gewesen sein wollten, zeigt, daß gerade bei diesem Indikationsgrunde die Gefahr besonders groß ist, weil für Frauen, die nicht gebären wollen, zumindest der Anreiz besteht, Sittlichkeitsdelikte vorzutäuschen.

Da hier nur zum Grundsätzlichen das Wort ergriffen wird, sei mir die Antwort auf den Einwand gestattet, daß die Uebertretung dieser Gesetzesbestimmungen zum Schutze der Leibesfrucht sehr häufig, die Verfolgungsintensität nicht besonders groß und daß daher Mie Dunkelziffer, nämlich die Zahl der unentdeckten Verbrechen, erschreckend hoch sei. Ist es da — so heißt es — nicht besser, die Bestimmungen gegen die Abtreibung weitestgehend aufzulockern, um so auf diese Weise den tatsächlichen Verhältnissen mehr Rechnung zu tragen? Ich will mit einer Frage antworten: Wird es wohl einem Geestzgcber einfallen, wenn die Verbrechen des Diebstahls, des Raubes, der Veruntreuung und des Betruges zunehmen, weil die wirtschaftliche Not groß ist, nunmehr die Schranken des Eigentums niederzureißen und Aneignung fremder Güter straflos zu machen, um die wirtschaftliche Lage zu verbessern? Darf daher ein Staat die Abtreibung aus sozialen Gründen gestatten, um so ein in erster Linie wirtschaftliches Problem durch Verletzung der heiligsten Güter der Menschheit zu lösen, das, weil es auf vorwiegend wirtschaftlichen Momenten beruht, durch wirtschaftliche Maßnahmen besser gelöst werden könnte? Sollte es nicht möglich sein, daß ein Staat, der für Krankheit und Invalidität Institutionen geschaffen hat, auch solche schafft, welche in wirkungsvoller Weise vermeiden können, daß es die Voraussetzungen für eine sogenannte wirtschaftliche Indikation tatsächlich gibt? Das wäre notwendig, nicht hingegen die Beseitigung von strafrechtlichen Normen, welche zur grundsätzlichen Wahrung des Schutzes des Lebens aufrechterhalten werden müssen.

Wenn ich .auch weiß, daß es ein unsinniger Versuch wäre, Tugend durch Gesetze zu erzwingen, so bleibt es doch eine Notwendigkeit, die Verletzung der wertvollsten menschlichen Güter — und zu ihnen zählt das Leben — gegen Eingriffe zu schützen und als Delikte zu bestrafen. Mißbräuchen wird durch Wiedereinführung eines Prüfungsverfahrens, wie es derzeit in der Schweiz und in der Deutschen Bundesrepublik bereits besteht, zu begegnen sein. Hierbei genügen Strafgesetze sicherlich nicht. Auch soziale Maßnahmen sind notwendig. Vor allem aber sind die richtige geistige Einstellung der Allgemeinheit zur Geburtenfreudigkeit und die entsprechende ethische Haltung der Schwangeren Voraussetzungen für eine begrüßenswerte Wende und Erneuerung.

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